Die Macher des ersten Blauen Salons der Kunsthalle posen nach dem Konzert an der Aral-Tankstelle in einem Chevrolet Impala von 1960: im Vordergrund der Rapper Marz, dahinter die Kunstvermittlerin Sara Dame (links) und Sarah-Jamila Groiß, die Leiterin der Kunstvermittlung der Kunsthalle. Dahinter der Keyboarder Fabian Meyer, DJ Diversion, der Bassist Jan Mikio Kappes und Markus Bader (von links) Foto: Karen Schnebeck

Sie will unterschiedlichsten Besuchern moderne Kunst vermitteln und bemüht sich schon lange um originelle und packende Ansätze. Jetzt geht die Einrichtung einen Schritt weiter und wagt sich mit einem neuen Format hinaus in die Stadt.

Göppingen - Der Teenager geht ein paar Meter nach vorne, bleibt irritiert stehen und tippelt dann erneut ein paar Schritte in Richtung des glänzend blauen 1960er Chevrolet Impala, der hinter der Aral-Tankstelle in Göppingen parkt. Seine Gedanken sind leicht zu erraten: Was machen die ganzen Leute mitten in der Nacht an der Aral-Tankstelle, wo kommt der Hip-Hop her, und was ist das für ein megacooles Auto?

Tatsächlich bietet sich dem jungen Mann ein unerwarteter Anblick neben der Aral-Waschstraße: Menschen mittleren Alters lungern auf einem alten Sofa und Plastikstühlen herum. Da sind Discolichter, eine Band, und neben der Band steht der chromglänzende amerikanische Designtraum.

Die Jugendlichen sind unwissentlich Teil eines künstlerischen Feldversuchs

Im turnschuh-gefederten Gang der Jungen und Coolen schlendert er davon und taucht wenige Minuten später mit ein paar Freunden und einem Six-Pack wieder auf. Die Jugendlichen schauen sich um, dann schnappen sie sich Plastikstühle und setzen sich – mit etwas Sicherheitsabstand – an den Rand der Gruppe der Älteren. Jung, Alt und Mittelalt nicken nun im Takt zu den Reimen des Stuttgarter Rappers Marz, der mit DJ Diversion und den Bixtie Boys Geschichten von teuren Turnschuhen, gescheiterter Liebe und rechten Idioten in Hip-Hop verwandelt.

Was die Jugendlichen nicht wissen: Sie sind soeben Teil eines Feldversuchs der Kunsthalle geworden. Sie testet an der Blauen Lagune, wie die Göppinger die Aral-Tankstelle seit Jahren nennen, weil manche Jugendliche dort gerne in lauen Sommernächten herumhängen, ihr neues Format, den Blauen Salon.

Jazz-Konzerte-Macher und Kunstvermittlerin machen gemeinsame Sache

Das Publikum, zu dem sich die Jugendlichen gesellt haben, ist eine bunte Mischung aus Kunstfans aus der ganzen Region, die an diesem Abend die Neugier auf das Projekt zuerst in die Kunsthalle und dann an die Tankstelle geführt hat. Und jetzt hat die Neugier und die Freude an der Musik die Jugendlichen zu diesen Kunstfans gebracht. Die Leiterin der Kunstvermittlung, Sara-Jamila Groiß, macht ein sehr zufriedenes Gesicht.

Groiß hatte bei einer Performance von Rimini-Protokoll, die in mehreren privaten Wohnzimmern in Göppingen vor etwas mehr als einem Jahr gezeigt wurde, Kontakte zu Kulturmachern geknüpft, die bisher nichts mit der Kunsthalle und wenig mit moderner Kunst zu tun hatten, dem Göppinger Musiker Markus Bader etwa. Er hat unter anderem die Reihe der Mittwochs-Konzerte der Jazz-IG mitgegründet. In den Gesprächen der neuen Bekannten über Kunst und Kultur kamen rasch Fragen auf: Muss Kunst immer nur in der Kunsthalle stattfinden? Wie könnte man Musik in die Kunsthalle bringen und inhaltlich mit der Ausstellung verknüpfen? Und warum trifft man bei Vernissagen eigentlich immer die gleichen Leute?

Kunstfans denken über ihre Lieblings-Autofilme nach

Aus den Überlegungen von Groiß, Bader und der Stuttgarter Kunstvermittlerin Sarah Dahme darüber, wie man die Kunst zu den Menschen und in die Stadt bringen und welche Rolle Musik dabei spielen könnte, und aus der Erfahrung heraus, wie erfrischend neue Kontakte sein können, ist der Blaue Salon entstanden. Die Kunstvermittlerin der weit über die Region hinausetablierten städtischen Einrichtung, der Musiker und die Freiberuflerin setzen auf einen interdisziplinären Ansatz, auf ungewöhnliche Schauplätze. Und sie wollen Kunstfans aus nah und fern die Chance geben, Kontakte zu knüpfen und mit den Augen des jeweils anderen vielleicht auch neue Einsichten in die Werke der Ausstellungen zu gewinnen.

Beim ersten Blauen Salon, der mit den Autoskulpturen von Stefan Rohrer begann, regten die Organisatoren etwa einen Dialog der Besucher über deren Lieblings-Autofilme an. Sehr zum Erstaunen der Kunstfans zeigte sich, dass die meisten viel mehr solcher Filme kennen – und mögen –, als sie zunächst gedacht hätten. Von Klassikern wie dem Musical „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ über Disneyfilme wie „Ein toller Käfer“, modernen Animationsfilmen wie „Cars“ bis hin zu Quentin Tarantinos „Death Proof“ oder Jim Jarmuschs „Night on Earth“.

Melanie Ardjah, die neue Leiterin der Kunsthalle, hat die Ideen von Groiß und ihren Helfern mit vorangebracht und weiterentwickelt. Schließlich hatte Ardjah nach ihrer Wahl angekündigt, sie sehe ihre wichtigste Aufgabe darin, mit der Kunsthalle an die Lebenswelt der Besucher anzuknüpfen und neue Besucherschichten für die Einrichtung zu erschließen.

Neue Kontakte – Neue Ideen

Format:
Der Blaue Salon soll für die Kunsthalle ein Fenster in die Stadt werden, das neue Besucher von nah und fern anlockt, der Kunst neue Räume in der Stadt eröffnet und neue Kooperationen ermöglicht. Das Programm beginnt stets mit der jeweils aktuellen Ausstellung und schließt mit einem Konzert an einem außergewöhnlichen Ort in Göppingen. Der nächste Salon dreht sich am 1. November um die Ausstellung von Katharina Hinsberg, die am 22. September in der Halle oben eröffnet wird.

Helfer:
Die Stuttgarter Kunstvermittlerin Sara Dahme (www.saradahme.com) spricht in abwechslungsreichen Tischrunden mit den Gästen über Themen der aktuellen Ausstellung und überrascht mit neuen Ideen für das Zusammenkommen und gegenseitige Kennenlernen der Besucher. Der Göppinger Musiker und Kulturschaffende Markus Bader gestaltet und organisiert den Konzertteil. Mit der Auswahl des jeweiligen Ortes und der Band schlägt er eine Brücke zu den Themen des Abends.

Wurzeln:
Der Samen für das neue Format wurde bei einem Projekt des international bekannten und vielfach ausgezeichneten Künstlerkollektivs Rimini-Protokoll gelegt. Der aus Göppingen stammende Künstler Daniel Wetzel gehört zu der Gruppe und hatte zusammen mit seinem Bruder Valentin „Hausbesuch Europa“ in die Stadt geholt. Am Rande der Performance, die in zwölf privaten Wohnzimmern stattfand, ergaben sich neue Kontakte zwischen Kunstschaffenden, Musikern und anderen Bürgern.