Experten fordern eine neue Sperrdatei für abhängige Spieler. Denn viele Glücksspielsüchtige lassen sich für ein Büro sperren und spielen im nächsten weiter. Es fehlen klare Regeln.

Stuttgart - Den Anzug hatte Paolo K. jederzeit im Kofferraum des Autos. Seine Frau sollte nicht riechen, dass er stundenlang im Kasino verbrachte und sich der Zigarettenrauch in seinen Klamotten festsetzte. Zehn Jahre war der Büroangestellte K., der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, süchtig nach Glücksspielen. Zunächst ging er ins Kasino, später dann in Wettbüros.

Die Geschichten von Spielsüchtigen sind hundertfach erzählt worden. Die meisten folgen der gleichen Dramaturgie: Erst die Euphorie, dann der Absturz. Paolo K. zogen Sportwetten in ihren Bann. „Jeder hat seine eigene Schwäche. Die Spieler, die ich kenne, sind jeweils auf ihre ganz persönliche Art betroffen“, sagt K. Er kennt viele Spieler. Seit kurzem besucht er eine Selbsthilfegruppe. Und ist spielfrei.

Die Branche ist größtenteils ein rechtsfreier Raum

Fast 500 000 Menschen leiden in Deutschland laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter einer Spielsucht oder sind von der sogenannten nicht-stoffgebundenen Abhängigkeit gefährdet. Die Politik geht dagegen vor – teilweise. Zwar reguliert die Bundesregierung das Geschäft mit Glücksspielautomaten immer stärker. Doch sieht es bei Fußball-, Pferde- und anderen Sportwetten ganz anders aus.

In der Branche können die Betreiber zumeist im rechtsfreien Raum frei schalten und walten. Das kritisiert der Glücksspielforscher Tilman Becker. „Die unklaren rechtlichen Bestimmungen für den Sportwetten-Markt führen dazu, dass es immer mehr illegale private Anbieter gibt“, sagt Becker von der Universität Hohenheim. Er leitet die Forschungsstelle Glücksspiel der Universität und hat mehrere Studien zu dem Phänomen geleitet. Beckers Forschungsstelle zufolge sind rund 95 Prozent der deutschen Sportwetten-Anbieter illegal. „Viele setzen kein Mindestalter voraus und keine Identifizierung des Spielers“, sagt der Glücksspielforscher. Ohne Kontrollen wie die Aufnahme der Personalie sei auch keine funktionierende Sperrdatei möglich, so Becker.

Darunter litt auch Paolo K. Erst spielte er im Kasino des SI-Centrums. Später zockte er mit feuchten Händen in den Wettbüros. Hier gab es keine Anzugpflicht mehr. Immer wieder kam der Punkt, da wollte er mit dem Spielen aufhören. „Ich habe mich für ein Wettbüro sperren lassen, bin ins nächste aber schon wieder reingekommen. Das war fatal“, sagt K., der in einem Café am Olgaeck in Stuttgart sitzt. Nicht weit entfernt leuchtet die Neonschrift eines Wettbüros. Etwa 60 gibt es in Stuttgart insgesamt.

Experten fordern Lizenzierungen

Ein einheitliches Sperrregister könnte vielen Glücksspielabhängigen das Leben erleichtern. „Dazu braucht es aber lizenzierte Sportwetten-Anbieter“, sagt Professor Becker. Zumindest in der Theorie soll eine zentrale Stelle in Deutschland die Sportwetten überprüfen. Für Erlaubnisse und Konzessionen der privaten Betreiber verantwortlich ist ein bundesweit zuständiges Glücksspielkollegium mit Sitz in Hessen: die Gemeinsame Geschäftsstelle Glücksspiel in Wiesbaden. Insgesamt 20 Konzessionen soll sie erteilen. Geschehen ist bisher nichts.

Kritik übt auch die Chefin des landeseigenen Toto-Lotto-Unternehmens, Marion Caspers-Merk. „Seriosität und Spielerschutz sind bei nicht lizenzierten Anbietern sicher schwer überprüfbar“, sagt sie unserer Zeitung. „Zwar steht im Glücksspielgesetz des Landes, das Spielerdaten nach Hessen geleitet werden. Dort weigert man sich aber, diese anzunehmen.“ Oder ist womöglich überfordert. Aus einer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage an das hessischen Innenministeriums, das unserer Zeitung vorliegt, geht hervor: 40 Antragsteller bemühen sich derzeit um eine Konzession. „Die Antragsteller haben insgesamt gesehen teilweise falsche, aber auch ungenaue Unterlagen“, heißt es seitens des Ministeriums. „Konkrete Angaben zu dem Zeitpunkt der Vergabe der Konzessionen“ seien nicht möglich.

„Weil es sich um einen Staatsvertrag handelt, liegt der Ball bei den Ministerpräsidenten. Sie müssen sich zu einem neuen Ansatz durchringen“, sagt Wolfgang Greilich von der FDP-Fraktion in Hessen. „Wir müssen weg von der Begrenzung auf 20 Konzessionen. Stattdessen sollten ein qualitativer Maßstab angesetzt werden“, so Greilich. Erst dann sei die Rechtssicherheit garantiert. Und die Grundlage geschaffen für ein einheitliches Sperrregister.Stuttgart -