An vielen Kinderspielplätzen auch in Stuttgart gibt es giftige Pflanzen. Foto: Superingo/Adobe Stock

In der Vergiftungs-Informations-Zentrale in Freiburg, die auch für Stuttgart zuständig ist, gehen relativ viele Anrufe zum Thema Giftpflanzen ein – häufig traten bei den Kindern jedoch keine Symptome auf. Das zeugt von einer tiefen Verunsicherung der Eltern.

Stuttgart - „Da!“, sagte der kleine Junge und streckte seiner Mutter eine rote Beere entgegen. Leonie M. (Name von der Redaktion geändert) musterte die kleine Frucht – und dann den Baum, von dem diese stammte. Es war ein Nadelbaum. Mit Schreck wurde Leonie M. bewusst, dass dies eine Eibe sein könnte. „Hast du auch eine Beere in den Mund gesteckt“, fragte sie ihren Sohn. Der nickte erst – schüttelte aber den Kopf, als die Mutter noch einmal nachhakte. Leonie M. suchte sicherheitshalber im Internet die Nummer der Giftnotrufzentrale heraus. Und wurde erst einmal beruhigt: Das Fruchtfleisch der Beere sei nicht giftig, nur der Samen darin. Der müsse allerdings zerbissen werden, damit das Gift freigesetzt werde. Das sei eher unwahrscheinlich, da er sehr hart sei. Die Nadeln des Baumes sowie die Rinde seien zwar ebenfalls giftig, ihr Aussehen animierten – anders als die Beeren – die Kinder aber nicht unbedingt dazu, sie in den Mund zu stecken.

Leonie M. sollte dennoch darauf achten, ob bei ihrem Sohn Symptome wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall sowie weite Pupillen auftreten würden. Dann solle sie sofort einen Arzt aufsuchen, denn prinzipiell zählt die Eibe zu den mittel- bis hochgiftigen Pflanzen, die in schweren Fällen auch zu Bewusstlosigkeit und Herzrasen oder sogar zum Tod führen können.

Viele giftige Pflanzen schmecken bitter

Doch Symptome blieben zum Glück aus. Diese Erfahrung machen die Ärzte der Vergiftungs-Informationszentrale in Freiburg, die auch für Stuttgart zuständig sind, häufig: Zwar erhalten sie relativ viele Anrufe zum Thema Giftpflanzen – im Jahr 2015 waren es 2600 –, bei den meisten der Kinder, die hauptsächlich zwischen ein und vier Jahren alt waren, traten jedoch keine Symptome (bei 1910) oder allenfalls leichte Symptome (bei 510) auf. Mittlere (bei 51) bis schwere Symptome (bei drei) waren äußerst selten, Todesfälle nach versehentlicher Einnahme von Pflanzen bei Kindern gab es bisher nicht.

Worin liegt diese Diskrepanz zwischen der Anzahl der Anrufe bei der Giftnotrufzentrale und den tatsächlichen Vergiftungsfällen begründet? „Die Eltern rufen uns auch an, wenn ihr Kind ein Kleeblatt gegessen hat“, sagt Elisabeth Schatz, pharmazeutisch-technische Assistentin am Universitätsklinikum Freiburg und zuständig für die Vergiftungs-Informationszentrale. Oft fehle den Menschen das Hintergrundwissen über Pflanzen, deshalb seien Eltern oft unsicher. „Sie googeln, sind dann noch verwirrter – und rufen schließlich bei uns an“, sagt Schatz. Doch selbst wenn ein Kind eine tatsächlich giftige Pflanze in den Mund gesteckt und geschluckt haben sollte, so hätten die meisten Pflanzen nur eine geringe Giftigkeit. Zudem probierten die Kinder meist nur eine kleine Menge, da viele Pflanzen bitter schmeckten. „Den Kindern passiert dafür, wie viel sie probieren, extrem wenig“, so Elisabeth Schatz.

Giftige Pflanzen dürfen auch auf Kleinkinderspielplätzen stehen

Sollten jedoch Vergiftungssymptome auftreten, die über eine leichte Schleimhautreizung im Mund hinausgingen, sollte man die Giftnotrufnummer wählen und gegebenenfalls einen Arzt aufsuchen – am besten mit einem Teil der Pflanze, damit diese bestimmt werden könne. Im Olgäle, dem Stuttgarter Kinderkrankenhaus, registriert man in der Notaufnahme ein bis zwei Fälle pro Jahr, sagt Ulrike Fischer, Pressesprecherin des Klinikums Stuttgart. Meist ginge es um den Riesenbärenklau oder giftige Beeren.

Leonie M. und ihr Sohn hatten mehr Glück. Darüber ist die Mutter freilich froh, sie ist aber gleichzeitig „entsetzt, dass so etwas überhaupt passieren konnte“, denn das Ganze spielte sich auf einem Spielplatz ab, noch dazu auf einem ausgewiesenen Kleinkinderspielplatz im Stuttgarter Heusteigviertel. Darf eine mittel- bis hochgiftige Pflanze dort stehen? „Ja“, sagt Walter Wagner vom Garten-, Friedhofs- und Forstamt. Laut einer DIN-Norm seien nur vier Giftpflanzen auf Kinderspielplätzen verboten: Pfaffenhütchen, Seidelbast, Stechpalme und Goldregen. Kirschlorbeer, dessen Giftigkeit gering bis mittelstark ist, würde indes sogar bewusst gepflanzt. Eiben pflanzten sich eher selber aus – sie dürften aber sehr wohl auf Spielplätzen stehen und würden auch nicht entfernt. „Ein Pferd stirbt, wenn es ein paar Kilo Eibennadeln frisst, aber kein Kind kommt auf die Idee, eine Handvoll Nadeln zu essen – das sagt einem schon der menschliche Verstand“, sagt Wagner. Allerdings gilt laut Schatz die Regel, dass man einem Kind bereits bei mehr als drei zerkauten Samen medizinische Kohle gibt und es in der Kinderklinik überwacht.

Hinweisschilder seien eine „teure Angelegenheit“

Bei Kleinkindern ist es zudem mit dem menschlichen Verstand noch nicht weit her. Dennoch macht es für Wagner keinen Unterschied, ob es sich um einen Spielplatz oder einen Kleinkinderspielplatz handelt. Er verweist auf die elterliche Aufsichtspflicht. Dass kein Elternteil sein Kind immer im Auge behalten kann, Kleinkinder aber einfach alles in den Mund stecken, kann er nicht von der Hand weisen. Generell ist er aber der Meinung, dass „man nicht alle Lebensrisiken ausschließen kann“.

Wäre es eine Möglichkeit, Hinweisschilder an giftigen Pflanzen anzubringen? Damit könnte man auf Elisabeth Schatz‘ Erfahrung, dass die meisten Eltern viele Pflanzen gar nicht kennen, reagieren. „Da sehen wir keine Veranlassung oder Dringlichkeit“, so Wagner. Das sei eine „teure Angelegenheit“, und es gäbe „anderen Bedarf“. Zudem würden andere Schilder, die auf Kinderspielplätzen stehen, auch nicht beachtet. „Solche etwa, auf denen um Rücksichtnahme auf Nachbarn gebeten wird.“ Zusätzliche Schilder wären demnach nutzlos.