Seit 1957 produziert Coca-Cola in Deizisau. 83 Prozent der dort abgefüllten Flaschen werden auch in der Region getrunken. Einblick in einen Weltkonzern, dessen Limo jeder kennt. Mit teils hässlichen Folgen.
Es prasselt laut über den Köpfen von Andreas Dederer und Emre Tezel. Als würden Kieselsteine in eine Blechwanne geschüttet. Das sind die Fanta-Deckel, die gerade vollautomatisch nachgeladen werden. Doch die Flaschen für die Deckel stehen im Stau. Die Maschine stockt. Irgendwo weiter vorne gibt es Probleme. Kurz darauf vernimmt das geschulte Gehör von Andreas Dederer, dass sich der Koloss wieder in Bewegung setzt. Die Flaschen zuckeln los – und es geht rund.
In Windeseile wird Limonade im Drei-Schicht-Betrieb verfüllt und verschraubt, zack Etiketten vorne drauf, hinten drauf. „Jetzt sind sie verkaufsfertig“, sagt der Betriebsleiter Dederer, in neongelbe Schutzkleidung gehüllt. Neben der Stelle, an der sich die fertigen Fantas in Richtung der leeren Kästen schlängeln, kommen ausgetrunkene Flaschen kastenweise an. Bevor sie neubefüllt vom Band laufen, werden sie auf ihrer Rundreise durch die ganze Halle kontrolliert und gewaschen.
Deizisau ist eine von 14 Produktionsstätten in Deutschland
Das Werk in Deizisau ist ein reiner Pfandflaschen-Betrieb und eine von bundesweit 14 Produktionsstätten von Coca-Cola. 83 Prozent der hier abgefüllten Flaschen würden auch in der Region getrunken, sagt Dederer. Zum Beispiel im Stuttgarter Rathaus. Dass die Landeshauptstadt in den Ratssitzungen nach wie vor Coca-Cola ausschenkt, war vor Kurzem auf Kritik gestoßen. Margret Eder aus der Weltladen-Szene prangerte die Stadt an, sich einerseits seit zehn Jahren mit dem Titel Fairtrade-Town zu schmücken, anderseits aber Coke anzubieten. Das will Coca-Cola so nicht stehen lassen und hat die Reporterin nach Deizisau eingeladen – um zu zeigen, wie regional der globale Player im Grunde ist. Auch wenn just an jenem Nachmittag nicht die braune, sondern die gelbe Brause vom Band läuft.
Bevor es dorthin geht, wo die wohl weltweit bekannteste Limo in siloartigen Behältern zubereitet wird, hat Andreas Dederer etwas Theorie vorbereitet. Er positioniert sich hinter einem colaroten Stehtisch in Form einer Dose, an der Wand hinten brummt der Getränkeautomat. Auf einem Großbildschirm serviert er Folien eines Weltkonzerns und würzt sie mit persönlichen Bemerkungen und Lokalkolorit.
Betriebsleiter lebt seit 28 Jahren in Plochingen
Coca-Cola, das sind 700 000 Beschäftigte weltweit. Coca-Cola, das sind aber auch die 325 Mitarbeiter in Deizisau, eine Größe bewusst auf mittelständischem Niveau, wie Dederer erklärt. Er wohnt seit 28 Jahren in Plochingen, das ist einmal die Schleife über die Autobrücke, die den Neckar und die Bundesstraße überspannt. Vor 27 Jahren fing er in Deizisau als Schichtleiter an, er kennt den Betrieb in- und auswendig. Seine Geschichte ist auch die Erfolgsstory eines Einwanderers. In Kasachstan geboren und aufgewachsen, kam er als 25-jähriger Industriemechaniker mit seiner Frau und der fünfjährigen Tochter nach Deutschland. 1996 begann er bei Coca-Cola in Deizisau, kam mit der Zeit an verschiedenen Standorten herum und landete schließlich wieder in Deizisau.
Viele wüssten gar nicht, dass Coca-Cola hier produziere, sagt Dederer. Auch Emre Tezel, der in Filderstadt aufwuchs, ging es so. Heute ist Tezel der Nachhaltigkeitsmanager hier im Werk, seine genaue Berufsbezeichnung: Local Environmentmanager. An jedem Standort gebe es inzwischen diese Stelle, referiert Andreas Dederer. Coca-Cola will bis 2040 emissionsfrei sein.
Coca-Colas Beitrag zur Nachhaltigkeit
Nachdem er einen Spot über eine Kooperation zwischen Deutscher Bahn und Coca-Cola angeworfen hat, nimmt er ein paar werbetaugliche Schlucke von seinem Vio-Mineralwasser. Dann zeigt er noch Fotos von Mitarbeitern in neongelber Coca-Cola-Kleidung, wie sie in der Gegend bei einem Waldkindergarten anpacken oder Insektenhotels zimmern – während der Arbeitszeit wohlbemerkt. Aus Sicht von Coca-Cola ein Beitrag für mehr Nachhaltigkeit.
Aus Sicht von Kritikern hingegen wohl eher klassisches Greenwashing. Greenwashing meint, dass nach außen hin mit plakativen Aktionen der Anschein erweckt wird, ein Unternehmen handele nachhaltig. Gleichzeitig werde aber an den wesentlichen Stellschrauben kaum gedreht. Seit Jahren sieht sich Coca-Cola zum Beispiel mit dem Vorwurf des Bündnisses „Break Free From Plastic“ konfrontiert, der weltweit größte Plastikverschmutzer zu sein. Ein Viertel des Mülls in den Meeren sind Plastikflaschen, hergestellt aus Erdöl. Viele gehen auf das Konto des Getränkegiganten.
Aktuell sind 45 Prozent der produzierten Flaschen bei Coca-Cola Einweg, 25 Prozent Dosen und nur elf Prozent wiederbefüllbar. Ob sich daran zeitnah etwas ändert? Die Kampagne „Welt ohne Müll“ setzt eher auf Recycling statt auf lästige, teure Pfandsysteme. Doch was recycelt werden soll, muss erstens neu hergestellt und zweitens wieder eingesammelt werden. Während die Sammelquote in Deutschland bei 98 Prozent liegt, bringen es die USA auf nur 28 Prozent. Und in Ländern des globalen Süden türmen sich die Müllberge sowieso.
Coca-Cola wird diese hässlichen Geschichten nicht los
Solche hässlichen Geschichten wird Coca-Cola einfach nicht los. Die beispiellose Plastikflut ist ein trauriger Beweis dafür, dass keine Limo bekannter ist als Coca-Cola. Sie steht eben nicht nur in der Döner-Bude am Plochinger Bahnhof im Kühlschrank, sondern gefühlt in allen Kühlschränken dieser Welt. Die Coke ist Kult, sie soll sogar dem Weihnachtsmann seinen Look verpasst haben. Das Zuckergetränk transportiert ein Gefühl. Selbst Leute, die kaum Coca-Cola trinken, durchflutet es, wenn sie kurz in den kühlen Sirupraum schnuppern dürfen.
Da stehen mehrere 1000-Liter-Container eingehüllt in eine Coca-Cola-Geruchswolke. Abgesehen davon, dass sich das betörende Aroma ohnehin nicht fotografieren lässt, Kameras müssen hier draußen bleiben. Der Aufenthalt dauert auch keine fünf Minuten. Das Lager mit dem Konzentrat, wo es immer sieben bis neun Grad haben muss, ist die Herzkammer des Werks. Die Rezeptur des Sirups ist streng geheim, die kenne auch keiner hier in Deizisau, sie liege in einem Tresor in Atlanta, sagt Andreas Dederer.
Dabei war, so ist es überliefert, das Coca-Cola-Rezept ein Missgeschick. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Erfinder John Stith Pemberton eigentlich ein Mittel gegen Kopfweh im Sinn. Wenige Jahre später kaufte Asa Griggs Candler, ein Apothekengroßhändler, die Rechte und begann, das Getränk zu vermarkten. Die zarten Anfänge eines weltumspannenden Konzerns.
Seit 1957 wird in Deizisau produziert
2022 war die Coca-Cola Europacific Partners Deutschland, zu der auch das Deizisauer Werk gehört, mit einem Absatz von fast 3,9 Milliarden Litern die größte Getränkefirma bundesweit. Sie ist der einzige Konzessionär für Abfüllung, Verkauf, Vertrieb. Dann gibt es noch die Coca-Cola GmbH, sie fokussiert sich auf die Vermarktung in Deutschland.
Bereits seit 1957 wird in dem Gewerbegebiet in Deizisau produziert. Lange her: damals wurde gerade der Vorläufer der EU gegründet, die Sowjetunion schockierte den Westen mit ihrem Sputnik-Abschuss, John Lennon und Paul McCartney liefen sich das erste Mal in Liverpool über den Weg, Max Frischs „Homo Faber“ erschien, die Jeans wurde schick – und auch das Plastikzeitalter begann. Dass aus diesem praktischen Gut einmal eine faktische Flut werden würde, hatte damals wohl keiner geahnt.
Ob es Coca-Cola gelingt, bis 2040 klimaneutral zu sein, wird der 52-jährige Andreas Dederer nur noch aus der Ferne beobachten, er ist dann schon im Ruhestand. Und ob es das Werk im Neckartal noch gibt? Die Chancen jedenfalls dürften steigen, wenn irgendwann einmal eine Solaranlage aufs Dach des Gebäudes montiert würde. So jedenfalls ist der Coca-Cola-Sprecher Benedikt Gietmann zu interpretieren. Man sei mit Photovoltaik insofern zurückhaltend, als dass man sich nicht über Jahrzehnte an einen Standort binden wolle, sagt er. Allerdings: "Wir setzen am Standort in Fürstenfeldbruck gerade ein Pilotprojekt zum Thema Photovoltaik-Anlagen um." Nach der Testphase sei eine Ausweitung denkbar.
Klingt nach Zukunftsmusik. Greifbarer ist derweil eine andere kleine Revolution. Andreas Dederer zeigt eine neue Einheitsflasche. Zunächst wirbt er aber noch für eine andere Revolution. Er zeigt eine neue Einheitsflasche. Bisher hat sich der Markenkern der Coke auch beim Flaschendesign niedergeschlagen. Fanta, Sprite und Mezzo Mix können nach dem Spülgang kreuz und quer wiederbefüllt werden. Die Coca-Cola indes behielt immer ihren eigenen Style. Doch um der Vermüllung der Welt entgegenzuwirken, werden die Vorgaben strenger. Von Mitte 2024 an sieht die EU-Einwegplastik-Richtlinie vor, dass Plastikflaschen mit bis zu drei Litern Volumen einheitlich sind. Dann geht es auch der Cola an die Form.