Der Angeklagte muss sich unter anderem wegen Mordes, versuchter Vergewaltigung mit Todesfolge und Nötigung vor Gericht verantworten. Foto: dpa/Boris Roessler

Schwerer Gang für die Mutter der getöteten Schülerin Ayleen: Vor Gericht schildert sie ihre letzte Begegnung mit ihrer Tochter. Dabei gehe es ihr darum, über die Gefahren in sozialen Netzwerken aufzuklären, sagt ihre Anwältin.

Die Schülerin Ayleen hat vor ihrem gewaltsamen Tod die Chats mit ihrem mutmaßlichen Mörder vor ihrer Mutter geheim gehalten. Vor dem Gießener Landgericht beschrieb die Mutter am Mittwoch als Zeugin nicht nur die letzte Begegnung mit ihrer Tochter, sondern auch, dass diese sich in den Wochen vor der Tat verändert habe. „Es ist allen aufgefallen“, sagte die 54-Jährige. Ayleen sei generell sehr schüchtern und zurückhaltend gewesen und „Ärger weitgehend aus dem Weg gegangen“. Seit etwa Mai habe sie lustlos, teilnahmslos und in sich gekehrt gewirkt. Sie selbst habe gedacht, es liege vielleicht an Problemen in der Schule oder mit einem Lehrer, sagte die Mutter, die in dem Prozess auch als Nebenklägerin auftritt. Den Angeklagten habe das 14-jährige Mädchen nie erwähnt.

 

Es ist das letzte Mal, dass sie ihre Tochter sieht

Den Gerichtssaal betritt die zierliche blonde Frau am Mittwochmorgen schwarz gekleidet. Sie blickt nicht zur Anklagebank. Als sie den Ablauf des 21. Juli vergangenen Jahres schildern soll, beginnt sie kurz zu weinen, fasst sich dann wieder. Ayleen sei am Mittag jenes Tages etwas „weinerlich“ gewesen, es sei ihr nicht gut gegangen. Gegen Abend verlässt die 14-Jährige das Elternhaus und sagt, sie wolle einem Jungen aus der Nachbarschaft einen Pulli zurückbringen. Sie habe sich noch gewundert, sagt die Mutter, sonst sei ihre Tochter so gut wie nie allein irgendwo hingegangen, und viel Kontakt zu dem Jungen habe sie auch nicht gehabt.

Es ist das letzte Mal, dass sie ihre Tochter sieht, danach verschwindet die 14-Jährige. Erst Tage später wird ihre Leiche im Teufelsee nahe Echzell im hessischen Wetteraukreis entdeckt. Der jüngere Bruder hatte noch mit der Schwester geschrieben, er war mit seiner Mutter unterwegs zum Schuhe kaufen - doch die Mutter äußert Zweifel, dass alle vor Gericht verlesenen Nachrichten wirklich von dem Mädchen stammen. Teils seien darin Formulierungen enthalten gewesen, die ihre Tochter niemals verwendet hätte.

Über einen Messengerdienst kennen gelernt

Ob der angeklagte 30-Jährige Einfluss auf diese Nachrichten genommen haben könnte, gilt als unklar. Er und die Schülerin sollen sich über einen Messengerdienst und ein Onlinespiel gekannt haben. Er soll dem Mädchen zahlreiche Nachrichten mit stark sexualisierten Inhalten geschrieben, immer wieder Nacktfotos von ihr gefordert und sie damit unter Druck gesetzt haben. Der Deutsche muss sich unter anderem wegen Mordes, versuchter Vergewaltigung mit Todesfolge und Nötigung vor Gericht verantworten.

Laut Anklage soll er Ayleen am 21. Juli 2022 mit seinem Auto in ihrem Heimatort Gottenheim nahe Freiburg abgeholt und sie in ein Waldgebiet nahe Langgöns in Hessen gebracht haben. Dort solle der verurteilte Sexualstraftäter versucht haben, die Schülerin zu vergewaltigen und sie schließlich erwürgt haben. Ihre Leiche soll er mit dem Auto zum Teufelsee gebracht und versenkt haben.

Schon in der Zeit vor ihrem Tod unterhielt Ayleen Kontakte über soziale Netzwerke, sagt die Mutter. Von Tiktok und Instagram habe sie gewusst, und ihre Tochter habe ihr auch erzählt, dass sie Follower habe. Einige Zeit vor der Tat habe das Mädchen einen jungen Mann aus Kassel kennengelernt, der auch über Nacht nach Gottenheim kommen wollte. Sie habe das verboten und Ayleen klargemacht, dass sie niemand zu sich kommen lassen könne, den sie nicht persönlich kennt. Das sei aus ihrer Sicht ein „falsches Verständnis von Freundschaft“, sagt die Mutter. Die 14-Jährige sei deshalb wütend und beleidigt gewesen - dabei habe sie ihre Tochter bloß vor einer potenziellen Gefahr schützen wollen.

Mutter: „Es gibt für alles eine Lösung“

Das Verhältnis zu ihrer Tochter sei eigentlich gut gewesen, darum sei sie auch so entrüstet darüber gewesen, dass Ayleen nichts von ihren Problemen erzählt habe. „Ich bin so eingestellt, es gibt für alles eine Lösung“, sagte die Frau. „Wenn wer was hat - es wird keinem der Kopf abgerissen.“ Mit ihrem Mann lebt sie in einer Patchwork-Familie, der neben Ayleen und ihrem jüngeren Bruder noch acht weitere, bereits erwachsene Kinder angehören.

Der Angeklagte verfolgt die Zeugenanhörung der Mutter am Mittwoch nach außen hin regungslos. Sein Anwalt spricht später von einem „nervenstarken Auftritt“ der Frau. Die Nebenklagevertreterin beschreibt ihre Mandantin als eine „sehr resiliente, tatkräftige Frau“. Die Familie sei „unheimlich angefasst“ und es stehe auch die Frage im Raum: „Was hätte ich merken können?“ Zugleich wolle die Mutter alles nachträglich für das Mädchen tun. Ihr gehe es stark um Aufklärung über das Verhalten in sozialen Netzwerken, gerade auch mit Blick auf etwas naivere junge Menschen.