Zwei Lehrerinnen müssen nach dem Tod einer Diabetikerin auf einer Studienfahrt mit Bestrafung rechnen, obwohl sie von der Krankheit nicht wussten.
Lehrer, die eine Studienfahrt organisieren, müssen sich vorab aktiv über die Gesundheit der Schüler informieren. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im tragischen Fall einer diabeteskranken Schülerin entschieden, die auf einer Studienfahrt in London starb. Die verantwortlichen Lehrerinnen müssen mit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung rechnen. Die 13-jährige Emily war seit ihrem 7. Lebensjahr an Diabetes Typ 1 erkrankt. Im Sommer 2019 organisierte ihre Schule eine jahrgangsübergreifende Studienfahrt nach London, an der 60 Schüler teilnahmen.
Emily musste sich gleich am ersten Abend nach dem Besuch eines asiatischen Restaurants übergeben. Am Folgetag blieb sie im Bett. Sie übergab sich weiter und wurde immer schwächer. Die Mitschüler machten die Lehrer auf Emilys Zustand aufmerksam, doch diese riefen erst am dritten Tag einen Arzt. Mit extrem überhöhten Zuckerwerten wurde Emily sofort in ein Krankenhaus gebracht. Dort starb sie am vierten Tag der Reise an einem Herzinfarkt.
Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ermittelte zunächst gegen vier mitreisende Lehrerinnen und Lehrer, stellte das Verfahren jedoch wieder ein. Die Lehrkräfte, die Emily nicht aus dem Unterricht kannten, hätten nichts von ihrer Erkrankung gewusst.
Emilys Vater, der von der Mutter getrennt lebt, ließ aber nicht locker und erwirkte ein neues Ermittlungsverfahren gegen zwei Lehrerinnen, die auch für die Organisation der Reise verantwortlich waren. Im März 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Doch im Februar 2023 lehnte das Landgericht Mönchengladbach die Anklage ab. Die Lehrkräfte hätten als medizinische Laien auch bei Kenntnis von Emilys Diabetes nicht erkennen müssen, dass eine Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Auf Fehler bei der Vorbereitung der Reise komme es deshalb gar nicht an.
Gesundheitsdaten sollen schriftlich abgefragt werden
Eine neue Wende nahm der Fall Ende Juni, als das Oberlandesgericht Düsseldorf die Anklage gegen die Lehrerinnen doch zuließ. Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung sei wahrscheinlich. Inzwischen ist die Entscheidung des OLG veröffentlicht (AZ: 4 WS 73/23). Aus ihr ergeben sich Maßstäbe, die für Schulen und Lehrkräfte auch jenseits des Einzelfalls relevant sind. Danach muss die Schule dafür sorgen, dass die Lehrer vor einer Studienfahrt mit wichtigen Informationen versorgt werden. Wenn die Organisation an einzelne Lehrer delegiert wird, müssen sich diese um die Informationen bemühen. Am sichersten wäre es nach Ansicht des OLG gewesen, wenn die Eltern schriftlich nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Kinder gefragt worden wären. Da ohnehin abgefragt wurde, ob sich die Kinder in London selbstständig in Kleingruppen bewegen dürfen, wäre das praktikabel gewesen.
Es war nicht ausreichend, so das OLG, die Schüler bei einer Infoveranstaltung zur Klassenfahrt nach gesundheitlichen Problemen zu fragen. Zum einen war die Teilnahme freiwillig, zum anderen sei denkbar, dass Schüler vor der ganzen Gruppe nicht über gesundheitliche Probleme sprechen.
Emily hätte gerettet werden können
Die Kausalität der Pflichtverletzung für Emilys Tod sah das Gericht jedenfalls gegeben. Hätten die Lehrerinnen vom Diabetes gewusst, hätten sie die Symptome deuten können. Wäre Emily spätestens am Abend des zweiten Tages behandelt worden, hätte sie mit „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gerettet werden können.
Das OLG räumt ein, dass es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelt. Dies müsse dann das Landgericht Mönchengladbach bei der Höhe der Strafe berücksichtigen. Der Strafrahmen bei fahrlässiger Tötung reicht bis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Prozess beginnt am 17. Januar nächsten Jahres.