Gerd Harry Lybke beim „Über Kunst“-Abend in der Staatsgalerie Stuttgart Foto: Steffen Schmid

Näher dran an herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene – die „Stuttgarter Nachrichten“ machen es mit der Gesprächsreihe „Über Kunst“ möglich. Jetzt beeindruckte „Judy“ Lybke als Gast in der Staatsgalerie.

Stuttgart - Es ist ein sehr entspannter Gerd Harry Lybke, der das Podium im Vortragssaal der Staatsgalerie Stuttgart betritt, um mit „Über Kunst“-Moderator Nikolai B. Forstbauer, Autor der „Stuttgarter Nachrichten“, vor großem Publikum zu diskutieren. Lybke ist – und keinen überrascht dies – extravagant gekleidet, vermischt in seinem Auftreten Attribute des konservativen Geschäftsmanns und des Bohemiens, verkündet hintersinnig: „Nein, ich habe nicht den Schneider gewechselt!“

Das eigene Bild muss man auch leben

Gerd Harry Lybke inszeniert sich sehr bewusst, sieht die Öffentlichkeit klar als Teil seiner Arbeit an. Gelegentlich spricht er vom Mythos der eigenen Person, springt dann sogleich hinein in seine Arbeit, in sein Metier. „Das geprägte Bild“, sagt er, „wird authentisch, wenn man es lebt. Und wenn man es dann auf der Leinwand hat, ist es natürlich die Wahrheit. Sehen Sie sich jeden amerikanischen Film an! Das ist alles die Wahrheit.“

Erfinder der „Neuen Leipziger Schule“

Die Leinwand freilich gehört nicht nur dem Kino, sie gehört auch dem Maler, und Gerd Harry Lybke war es, der der deutschen Malerei inmitten starker Aufmerksamkeit für die Kunst mit Fotografie und Video internationale Präsenz verschafft. Lybke gilt als Erfinder der etwa mit Neo Rauch, aber auch dem in Leonberg geborenen und heute in Paris lebenden Tim Eitel verbundenen „Neuen Leipziger Schule“, sieht aber auch auch die Gefahr solcher Begriffsbildung: „Dass auf einer Party in New Yorik von der ‚Leipzig School‘ die Rede ist und keiner weiß, wovon er redet – soweit darf es nicht kommen“.

Fährmann und Vampir

Gerd Harry Lybke sieht sich selbst als Fährmann und Vampir – als einen, der die Kunst sicher von hier nach dort bringt, und als einen, der sich in die Kunst verbeißt, der immer auch das Leben der mit ihm verbundenen Künstlerinnen und Künstler mitlebt.

Im Jahr des Mauerbaus geboren

Geboren 1961 in Leipzig, lernt er Maschinenmonteur, träumt von der Raumfahrt und vom Schauspiel. Von 1983 bis 1989 arbeitet er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig als Aktmodell und erlebt so „die Malerei gewissermaßen hautnah“. Bis heute ist die Malerei wichtig in Lybkes Galeriearbeit, konsequent verfolgt er aber auch das Schaffen von Olaf Nicolai, der an der Stuttgarter Akademie lehrenden Birgit Brenner oder Carsten Nicolai – von Künstlerinnen und Künstlern, die einem analytischen Ansatz folgen.

1983 gründet er die Galerie in seiner Leipziger Dachgeschosswohnung

Eigen+Art gründet Gerd Harry Lybke, der begeistert und begeisternd für Leipzig schwärmt, für die „Offenheit der Stadt und ihrer Menschen“, bereits 1983. Mit der Öffnung der Grenzen präsentiert er die Galerie 1990 mehrere Monate in Tokyo, 1991 in Paris. 1992 wird Berlin der zweite Galeriestandort, 2012 kommt das Eigen+Art Lab hinzu, ein Forum für junge Künstlerinnen und Künstler, die nicht exklusiv mit Lybkes Galerie verbunden sind. „Für mich“, sagt er, „ist das klar eine Möglichkeit, wach zu bleiben“. Schon, weil der internationale Erfolg auch Gefahren birgt: „Vielleicht ist man am Schluss nur noch von 40 Sammlern auf der ganzen Welt abhängig, weil alle anderen der Preisentwicklung nicht mehr folgen können.“ Überhaupt – das Geld ist für Lybke eine reale „dritte Person“ im Wechselspiel zwischen Künstler und Galerist. Dann aber sagt er sehr entschieden: „Zuletzt geht es doch um Liebe, darum, sich mit jemandem zu beschäftigen.“

Sichtbar machen, „wofür man brennt“

Das gilt für den Galeristen auch für private Sammler: Nahezu alle Museen verdankten sich historisch solchem Engagement, betont er. Und sagt mit Blick auch auf die wachsende Zahl privater Kunstmuseen: „Es ist gut, zu Lebzeiten sichtbar zu machen, wofür man brennt.“ Lybke erinnert hier an den Stuttgarter Sammler Rudolf Scharpff, der vor elf Jahren bei Neo Rauch eigens ein neues Bild für die Staatsgalerie Stuttgart in Auftrag gab, finanzierte und das Großformat „Ordnungshüter“ dem Museum stiftete.

Stuttgart? „Eine Stadt mit tollem Lebensgefühl“

Überhaupt Stuttgart – „eine Stadt mit einem tollen Lebensgefühl“, wie Lybke sagt: Auch über eine weiteres Kunstschwergewicht führt die Spur von Eigen+Art nach Stuttgart: Carsten Nicolais spiegelnde Skulptur „Polylit“, 2006 auf dem Kleinen Schlossplatz als Werk der Sammlung des Kunstmuseums Stuttgart vor dem Kunstmuseums-Kubus positioniert. Dass dieses Werk bisher nicht Opfer von Graffiti-Sprayern wurde, ist für Lybke bezeichnend für den Wert dieser Arbeit: „Sie besitzt eine Präsenz, auf die man sich nicht noch einmal drauflegen möchte“, sagt er. Kunst, wenn sie gelingt, hat für ihn „immer etwas zu tun mit einer Gedankenwelt und ihrem deutlichen, klaren Ausdruck.“

Unternehmer und Romantiker

Kunstmarkt, Geldwert, Ideal: Diesen Gegensatz hält Gerd Harry Lybke aus. „Ich bin ja auch romantisch“, sagt er, „und natürlich bin ich ein knallharter Geschäftsmann, ein Unternehmer.“ Um näher an seinen Künstlern zu sein beschäftigt Lybke heute 28 festangestellte Mitarbeiter; nur zwei von ihnen sind Männer. Und wie geht der Romantiker Lybke mit den Realitäten seiner Branche um, mit Steuerwirrwarr, Folgerecht, Kulturschutzgesetz und vielem mehr? „All diese Dinge“, sagt Gerd Harry Lybke, „existieren, aber für mich überwiegt das Glück.“

Der Ansporn? Mit Kunst zu arbeiten

Mit Kunst zu arbeiten, mit den Menschen, die die Kunst machen – dies, sagt Gerd Harry Lybke, sei für ihn Ansporn genug. Energisch plädiert er dabei, sich in Ausstellungen für eine Künstlerposition zu entscheiden, die Künstlerinnen und Künstler nicht hinter Themenlinien verschwinden zu lassen.

„Aktueller Kunstdiskurs findet nicht statt“

Nachdenklich zeigt sich Lybke, als es um die Rolle der Medien geht. „Ein aktueller Kunstdiskurs, „sagt Gerd Harry Lybke, „ist nicht mehr vorhanden“. „Heute werden meist nur noch Preise abgefragt.“ Der Galerist, der sich gerne festbeißt, für den das Gespräch mit dem Künstler fast so wichtig ist, wie das Werk, bedauert dies. Zugleich ist er überzeugt: „Die private Galerie wird keine Nische werden, sonst würde die Kunst eine Nische werden“.

Kunst? „Etwas, das uns Menschen ausmacht“

Und er betont: „Ich denke, das ist etwas, das uns als Menschen ausmacht. Dass wir Kunst machen, sie anschauen, uns mit Kunst beschäftigen. Das ist schon immer da, und das wird sich nicht ändern. Es wird immer Leute geben, die sich über kreative Freiräume äußern und so die Welt reflektieren.“

„Kunst kann man kaufen, das tut nicht weh“

Die Galerie, summiert er zuletzt die Konkurrenz etwa mit Auktionshäusern, bleibe das Kunstangebot mit der niedrigeren Schwelle: „Dort bekommt nicht der den Zuschlag, der die meiste Knete auf den Tisch legt, dort gibt es feste Preise. Dort merken die Leute: Kunst kann man kaufen, das tut nicht weh.“ Und deshalb bleibt Gerd Harry Lybke zuversichtlich. „Ich denke“, sagt er, „die Zukunft gehört mir, und das ist total phantastisch“.