Aus und vorbei: Irene Blümlein, Harald Schmidt, Janina Guilliard und Klaus Hink trennen mittlerweile Welten. . Foto: Tom Weller

Die schlechte Stimmung hat einem geräuschvollen Stühlerücken Platz gemacht. Warum im Gemeinderat nicht nur die Unabhängige Liste Plochingen (ULP), sondern auch der Wählerwillen untergegangen ist.

Plochingen - Es war an einem Dienstag Anfang Dezember 2019, als Janina Guilliard am Ende einer langen Ratssitzung dem verdutzten Bürgermeister Frank Buß plötzlich eine dickes Paket mit 1271 Unterschriften in die Hand drückte. Mehr als ein halbes Jahr nach dem Kommunalwahlkampf, in dem die Unabhängige Liste Plochingen (ULP) mit ihrem Bürgerbegehren für ein neues Stadtbad auf Unterschriften- und Stimmenfang gegangen war. Bei der jungen Akteurin handelte es sich um eben jene Stadträtin, die vor wenigen Tagen von der ULP zur CDU wechselte. In die Fraktion, die vor der Wahl so weit von einer schnellen Reaktivierung Plochinger Badefreuden entfernt war wie keine andere am Neckarknie.

 

Die verunglückte Unterschriftenübergabe war der Anfang vom Ende der ULP-Fraktion. Die Liste war 2019 mit fast 20 Prozent der Wählerstimmen und vier Köpfen auf Anhieb ins Alte Rathaus eingezogen. Heute hält Harald Schmidt als einziger noch ihr Fähnlein im Gemeinderat hoch. Klaus Hink dreht seit Ende 2019 sein eigenes Ding im Gremium, Irene Blümlein sitzt seit rund drei Wochen in der SPD-Fraktion, und zuletzt hat auch noch Guilliard die Reißleine gezogen.

Unheilige Allianz

Dabei hatte Schmidt damals ein Gegengewicht zu den etablierten Parteien schaffen wollen. Fünf Jahre zuvor hatte er erfolglos auf der Liste der Freien Wähler kandidiert. Die traten 2019 nicht mehr an. Das schuf Platz für die Hallenbadpartei, die sich als Pool für alle Unzufriedenen anbot. Im „Fuhrmannshaus“, so erzählt er, hatte er Klaus Hink kennengelernt, der sich – zur Erleichterung vieler – 2014 eigentlich schon in den kommunalpolitischen Ruhestand verabschiedet hatte. Vor Jahrzehnten war er einmal für die CDU ins Rathaus eingezogen, schnell in Unfrieden aus der Fraktion geschieden und saß seitdem als Solist im Gemeinderat. Von Anfang an waren viele skeptisch, wie lange die Allianz der so ungleichen, aber gleichermaßen geltungsbedürftigen Männer halten würde. Schmidt, der populäre Plochinger Heimatforscher und Diplom-Kaufmann. Und Hink, promovierter Mitarbeiter im Fachbereich Raumplanung der TU Dortmund im Ruhestand. Das ULP-Programm blieb vage, die beiden Hauptakteure legten allerdings bisweilen schon den Verdacht nahe, sich für Zustimmung vom rechten Rand nicht gerade zu genieren. Das Bürgerbegehren war jedenfalls die Klammer, die die mit heißer Nadel gestrickte Liste zusammenhielt.

Warum Fraktionschef Schmidt dann so lange auf dem Unterschriftenpaket saß, obwohl Hink Dampf machte, hatte keiner so richtig verstanden. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren beide offenbar heillos zerstritten. Hink trennte sich von der Fraktion. Nicht zuletzt, weil er wusste, was passieren würde: Die Stadtverwaltung hatte dank der späten Unterschriftenübergabe genug Zeit, den Finanzierungsvorschlag für das neue Stadtbad einzukassieren.

Das große Thema der Hallenbadpartei ging baden: Schmidt ließ sich auf den Kompromiss ein, dass die Plochinger nach einem Architektenwettbewerb entscheiden sollten, was ihnen ein neues Bad wert ist. Wohlwissend, dass der noch lange auf sich warten lässt. Er zog das Bürgerbegehren zurück.

Keine Wertschätzung

Bei allen strittigen Themen gingen ULP und Hink von Anfang an auf Konfrontationskurs zu Gemeinderat und Rathaus. Gerne und vor allem dann, wenn sie so emotional aufgeheizt waren wie das geplante Punkthaus auf dem Bruckenwasen. Die Auseinandersetzungen wurden sehr persönlich, teils sogar beleidigend geführt – zumal Hink als Solist seiner Meinungsfreudigkeit wieder ungebremst Ausdruck verleihen konnte. Zuletzt sollte eine Redezeitbeschränkung die eigentlichen Mehrheitsverhältnisse im Gremium wieder zurechtrücken. Schmidt wurde indessen vorgeworfen, in seinen scharfen Amtsblatt-Beiträgen Sachverhalte bewusst zu verdrehen. Vor allem CDU und SPD reagierten zunehmend empfindlich auf die Attacken. Sie vermissten die gegenseitige Wertschätzung im Gremium, ließen sich aber immer wieder zu Repliken provozieren.

Das erklärt, warum die CDU nicht laut aufgeheult hat, als ULP-Stadträtin Irene Blümlein vor zwei Wochen Knall auf Fall zur SPD wechselte, die ULP ihren Fraktionsstatus verlor – und die SPD an Sitzen mit der CDU gleichzog. Ihr Wunsch nach einem harmonischen Miteinander, mit dem Blümlein den Wechsel vor allem begründete, war Balsam auf ihre geschundenen Ratsseelen – und Genugtuung. Auch die OGL blieb still. Obwohl ihr die Plochinger GroKo vor nicht einmal zwei Jahren Wählertäuschung vorwarf, weil sich ihre grüne Jung-Stadträtin Lara Kerner nach nur wenigen Wochen wieder aus dem Gremium verabschiedet hatte.

Die Beute geteilt?

Dass nunmehr vor wenigen Tagen auch noch Janina Guilliard die Seiten gewechselt und damit den alten Stimmenabstand zwischen CDU und SPD wiederhergestellt hat, erweckt zwangsläufig bei vielen den Eindruck, dass sich die Große Koalition die Beute genüsslich geteilt hat. Wenngleich die Beteiligten auf die Gewissens- und Entscheidungsfreiheit der Mandatsträgerinnen verweisen. Die Not der beiden Stadträtinnen muss auch groß gewesen sein. Laut Schmidt habe Blümlein ihren Wechsel unter anderem damit begründet, dass „sie auf der Straße wegen ihrer Zugehörigkeit zur ULP von Freunden und Bekannten nicht mehr gegrüßt werde“. Hinter den Kulissen heißt es, Schmidt habe die Frauen auch nie in die Fraktionsarbeit einbezogen. „Gemäß der Baden-Württembergischen Gemeindeordnung steht den Damen der Wechsel frei. Menschlich und persönlich finde ich ihren Schritt gegenüber den Wählern und Wählerinnen inakzeptabel, die klar für eine unabhängige Kraft im Plochinger Gemeinderat votiert haben“, kommentierte Schmidt den Aderlass. Nach dem Ausstieg der beiden würden sich jetzt wieder einige Kandidatinnen und Kandidaten vermehrt für die ULP engagieren, die sich nach der Wahl etwas zurückgezogen hätten. „Der harte Kern besteht jetzt wieder aus bis zu 15 Personen. Dahinter haben wir noch eine ähnliche Anzahl an Fachleuten, die uns themenspezifisch unterstützen.“

Bissige Kommentare

„Die jetzige Situation im Gemeinderat zeigt, dass die ULP-Wähler betrogen wurden. Alle vier der Hallenbadpartei sind bei der nächsten Gemeinderatswahl nicht mehr wählbar“, wettert ein langjähriger kommunalpolitischer Beobachter. „Ich dachte, die Transferliste ist für 2021 geschlossen“, kommentiert ein anderer auf der Plochinger Facebook-Seite den vorerst letzten Akt des Trauerspiels. „Ich finde es ziemlich krass, wie es bei Euch in Plochingen abgeht. Hoffentlich kommt jetzt mal Ruhe rein“, so ein Gemeinderat aus einer Nachbargemeinde auf selbiger Seite. Damit dürfte allerdings kaum zu rechnen sein. Schließlich hat sich keiner aus der Ratsrunde verabschiedet.