Der Datenschutzbeauftragte Jörg Klingbeil fordert Schutz der Persönlichkeitsrechte Foto: dpa

Gemeinderatssitzungen im Internet – das wünschen sich viele Kommunen. Zuerst müssen aber rechtliche Probleme gelöst werden.

Konstanz - Transparenz und Bürgernähe: Das sind die Gründe, warum viele Gemeinden ihre Ratssitzungen im Internet übertragen, darunter München, Braunschweig und Erfurt. Letztlich tun die Kommunalpolitiker das aber auch aus eigenem Interesse, denn nicht selten debattieren sie vor leeren Zuschauerrängen. Vom Internet erhoffen sie sich einen größeren Publikumszuspruch.

Im Südwesten haben bisher zwar nur Konstanz und die Schwarzwald-Kommune Seelbach damit Erfahrung gesammelt. Doch größere Städte wie Heidelberg und Karlsruhe zeigen ebenfalls Interesse und würden den Livestream, wie die Übertragung in Echtzeit heißt, gern einrichten – wenn denn die rechtlichen Probleme gelöst wären.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Jörg Klingbeil, achtet nämlich mit Argusaugen darauf, dass die Persönlichkeitsrechte von Gemeinderäten und Rathausmitarbeitern gewahrt sind. Er hat deshalb Bedingungen gestellt – zum Beispiel, dass die Akteure die Aufnahme stoppen können. Die Hürden waren insgesamt so hoch, dass die beiden Kommunen ihre Übertragung abbrachen. „Schweren Herzens“, so Bürgermeister Thomas Schäfer habe er das SeelbachTV eingestellt.

Ganz eingeschlafen ist die Sache allerdings nicht. Vertreter von Kommunen haben sich vielmehr mit Klingbeil und der Kehler Hochschule für öffentliche Verwaltung zusammengetan, um zu erkunden, wie man Ratssitzungen doch noch internettauglich macht. Den Stein der Weisen haben sie zwar noch nicht gefunden, doch sie verständigten sich auf ein Experiment: Konstanz und Seelbach übertragen die Sitzungen wieder – doch diesmal unter den gestrengen Augen des Datenschützers. „Ich bin offen“, sagt Klingbeil nun, „vielleicht bekommen wir das datenschutzkonform hin.“

Testen will man zum Beispiel, ob es möglich ist, einzelne Passagen der Sitzung auszublenden. Das ist deshalb notwendig, weil es Ratsmitglieder geben kann, die nicht wollen, dass manche Äußerungen von ihnen publik werden – etwa weil sie vertrauliche Dinge mitteilen. Der Bürgermeister muss also die Möglichkeit haben, die Übertragung per Tastendruck zu unterbrechen. Doch das funktioniert nur, wenn er einen zeitlichen Puffer hat. Geht das?

Konstanz bietet Zusammenschnitt

„Es gibt dafür jetzt ein kleines Gerät, das die Übertragung um mehrere Sekunden verzögert“, sagt Kay-Uwe Martens, Professor für Rechts- und Kommunalwissenschaften an der Kehler Hochschule. Wie das im Rat selbst und beim Publikum ankommen wird, ist noch völlig offen. „In Bayern zum Beispiel erscheint dann immer ein schwarzes Bild“, sagt Martens, der bereits das alte Seelbacher Projekt betreut hat. Gut möglich, dass der Zuschauer gerade deshalb neugierig darauf wird, was die Volksvertreter gesagt haben.

Ohne deren grundsätzliches Einverständnis, sich filmen zu lassen, muss die Kamera ohnehin blind bleiben. Denn Gemeinderäte sind keine Parlamente, ihre Mitglieder betreiben lediglich ehrenamtlich Politik – und fürchten mitunter um ihre Spontaneität, wenn man sie filmt. In wiefern Rathausmitarbeiter diese erweiterte Form der Öffentlichkeit ertragen müssen, ist noch umstritten. „Die Gemeinden sagen mir, da träten sowieso nur die Amtsleiter auf“, sagt Klingbeil. Und die müssten es wohl hinnehmen, wenn sie gefilmt werden.

Das Problem des Zeitpuffers stellt sich in Konstanz übrigens nicht: Der Gemeinderat will dort keine Livestreams, sondern kleine Zusammenschnitte der Sitzungen anbieten, so genannte Podcasts. Die sind dann zwar erst nach redaktioneller Bearbeitung am Tag nach der Sitzung abrufbar, doch dann bereits datenschutzrechtlich aufbereitet. Der Konstanzer OB Uli Burchardt verspricht sich davon ein größeres Interesse als bei Livestreams, denn die Bürger müssen nicht die komplette Sitzung verfolgen, sondern können gezielt Tagesordnungspunkte auswählen. „Das kommt mir attraktiver vor“, sagt auch Klingbeil.

Ob Gemeinderatssitzungen dadurch attraktiver werden, dass man sie am heimischen PC verfolgen kann, muss sich aber erst noch erweisen. „Probieren sollte man’ s, aber ich hab’ Zweifel, ob das Interesse wächst“, sagt Norbert Brugger vom Städtetag. Gemeinderatssitzungen seien ja bereits öffentlich. Es seien wohl eher die großen Städte, die das Instrument einsetzen wollen.

Um den Gemeinden Rechtssicherheit zu bieten, plädiert der Städtetag für einen klärenden Passus in der Gemeindeordnung. Wenn der Landtag dieses Paragrafenwerk demnächst reformiert, könne man diese Neuerung aufnehmen, so Brugger. Hessen hat diesen Schritt bereits getan und festgelegt, dass die Gemeinden über ihre Hauptsatzung regeln können, ob es ein Rathaus-Fernsehen geben soll oder nicht.

„Das verschiebt das Problem aber lediglich auf die untere Ebene“, gibt sich Klingbeil skeptisch. Aber gehört es dort nicht hin? Bisher zeigt das Innenministerium jedenfalls wenig Neigung, die Gemeindeordnung an dieser Stelle zu ändern. Live-Streaming sei ja bereits jetzt möglich, wenn die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten würden, so das Argument.

Martens hat sich übrigens mehrere Gemeinderatsübertragungen in den USA angeschaut und war beeindruckt von der dortigen Argumentation: Es kommt nicht darauf an, wie viele Menschen zuschauen, sondern dass Transparenz herrscht. Martens: „Das sehe ich genauso.“