Das Erste zeigt mit "Bis nichts mehr bleibt" den ersten Spielfilm

Das Erste zeigt mit "Bis nichts mehr bleibt" den ersten Spielfilm zum Thema Scientology. Er glänzt durch Spannung und Sachlichkeit. Trotzdem kämpft die Glaubensgemeinschaft verbissen gegen die Ausstrahlung.

Von Jan Freitag

Um Fiktion mit der Realität abzugleichen, sollte man sich diesen kurzen Film im Internet ansehen: Auf einer ebenso imposanten wie einschüchternden Bühne verspricht Tom Cruise, die Welt zu reinigen. Wie er "clear the world" in die tobende Menge ruft, erinnert der Schauspieler an seinen Kollegen Kai Wiesinger. Im ARD-Drama "Bis nichts mehr bleibt" ruft auch er als Massenverführer Gerd Ruppert "clear" in einen jubelnden Saal und fügt - bescheidener - "Germany" hinzu. Hier geht es naturgemäß bescheidener zu als in Hollywood. Im Öffentlich-Rechtlichen ist Bodenständigkeit angesagt. Auch beim Umgang mit Scientology.

"Bis nichts mehr bleibt" ist die erste fiktionale Annäherung an die umstrittene Organisation. Gemeinsam mit dem Gefühlsfernseh-Lieferanten Teamworx und Degeto ist der ARD damit ein bewegendes, glaubwürdiges Melodram über die Kleinfamilie Reiners gelungen, die Stück für Stück in den Fängen der Scientologen landet. Freiwillig und doch gezwungenermaßen.

Denn wie Felix Klare einen armen Studenten spielt, dem Scientology eine Perspektive bietet. Wie Frank seine Gina (Silke Bodenbender) in die Organisation saugt. Wie beide von den Rekrutierungsoffizieren Wiesinger und Nina Kunzendorf bald umgedreht werden, bis wenigstens einer der zwei mit Hilfe von Ginas Eltern (Robert Atzorn, Sabine Postel) wieder zurückgeschraubt wird - das ist die Arbeit toller Darsteller vor einer stimmigen Achtziger-Jahre-Kulisse. Da Regisseur Niki Stein den rationalen Abstieg gebildeter Menschen ebenso subtil wie schonungslos bebildert, war eine Reaktion der Glaubensgemeinschaft so sicher wie das Amen in der Kirche.

Trotz aller Geheimhaltung wusste sie von jeder Pressevorführung. Den federführenden SWR bombardierte Scientology mit Protest. Die Berliner Zentrale kündigte juristische Schritte wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung an. Ein dokumentarischer Gegenangriff hatte am Drehort Hamburg Premiere. Nicht wir, agitierte die Sekte, die sich Kirche nennt, die anderen sind menschenverachtend, feindselig und böse. Die Beraterin Ursula Caberta zum Beispiel, Hamburgs Scientology-Beauftragte, die ARD und letztlich jeder Kritiker. Von "geheimer Kommandosache" ist die Rede, von "Propagandafilm", "Internet-Terroristen" und sogar von "Hasspredigern".

So wie Bischöfe, Manager, US-Republikaner gern rechte bis linke Methoden ihrer Gegner anprangern und jede Institution unter öffentlichem Druck die Verteidigungsstrategie radikalisiert, so stülpen sich nun die Scientologen Hexenmasken über und zeigen sich vor einem Premierenkino als Opfer. Ist die Wahl der Waffen frei, wird eben stets die größtmögliche gezückt. Auf allen Seiten.

Denn auch wenn sich Produzent Nico Hofmann wundert, "warum das Thema bei uns so runtergespielt wird", bleibt Scientology eine Randerscheinung auf dem Markt der Demagogen. Bundesweit hat die Sekte 6000 Mitglieder. Und was ist das überhaupt - eine Sekte? Wann ist sie gefährlich, wann Konkurrenz? Reicht ein trügerisches Heilsversprechen oder muss schon Gewalt bei der Missionierung mit ihm Spiel sein? Vor allem aber: Wer befindet darüber - die Gesellschaft, Gerichte, Gott? Machen wir uns nichts vor: Wäre das Christentum brandneu - in aufgeklärten Zeiten wie diesen wäre der Gedanke von Himmel, Hölle und Heiligem Geist ein Fall für den Sektenbeauftragten.

Auch deshalb wählt der Regisseur den Weg der bedächtigen Schritte. "Mein Mandant hat damals noch gar nicht gewusst, wie menschenverachtend Scientology ist", sagt Franks Anwältin nach dessen Ausstieg und im Kampf um seine Tochter mit der Sekten-Aufsteigerin Gina; die harte Gehirnwäsche wird in düstere Keller nach Kopenhagen verlegt; und die Stimmen der Scientologen klingen meist fragend, selten fordernd. Das sind Netz und doppelter Boden gegen drohende Klagen. Und sie haben gewirkt. Der Film, dessen Drehbuch sich an einen realen Sorgerechtsfall anlehnt, wird ausgestrahlt.

ARD, 20.15 Uhr, Mittwoch