Gespräch am Gartenzaun: Gute Nachbarn sollten füreinander da sein, sagt unsere Gesprächspartnerin Andrea Wohlfahrt. Foto: Archiv G

Viele Menschen leben Tür an Tür mit Leuten, über die sie wenig wissen. Am 24. Mai, dem bundesweiten Tag der Nachbarn, soll dieses unpersönliche Nebeneinander ein Ende haben. Andrea Wohlfahrt aus Esslingen feiert an diesem Tag ein Nachbarschaftsfest – und verspricht sich viel davon.

Frau Wohlfahrt, wie gut kennen Sie denn Ihre Nachbarn?

Ich kenne alle Nachbarn bei mir in der Straße, aber ich halte das eher für ungewöhnlich, wie gut unsere Gemeinschaft ist. Wir machen auch jedes zweite Jahr ein Straßenfest. Also bei uns zu Hause wird Nachbarschaft gelebt.

Was ist für Sie gute Nachbarschaft?

Gute Nachbarschaft bedeutet für mich, dass man um Hilfe bitten kann, dass man fragt, ob man helfen kann. Eine gute Nachbarschaft bedeutet für mich auch, dass man zusammenhält. Mein kleiner Sohn hatte mal seinen Fuß eingeklemmt im Gitterbett, und mein Mann war nicht da, da habe ich das Fenster aufgemacht und rausgerufen: ,Kann mir jemand helfen?‘ Da kam sofort ein Nachbar hoch und hat meinen Sohn befreit. Nachbarschaft ist für mich, dass man füreinander da ist.

Sind denn Nachbarschaften Ihrer Meinung nach anonymer geworden?

Auf jeden Fall, so empfinde ich es. Wir haben da im Team mal eine Umfrage gestartet, was uns spontan zu Nachbarschaft einfällt. Dabei haben viele das Wort Anonymität benutzt – einfach dieses Nicht-Wissen, wer der Nachbar ist. Und das ist der Grund dafür, warum wir uns Gedanken gemacht haben. Wir sind jetzt seit einem Jahr hier an unserem neuen Standort, und ich kenne nicht mal die Menschen, die bei uns im Haus wohnen.

Wie erklären Sie sich diese Anonymität?

Ich kann mir vorstellen, dass es den Menschen immer schwerer fällt, andere um Hilfe zu bitten, vielleicht weil man denkt, man müsse alles allein schaffen. Vielleicht aber auch, weil das Verständnis füreinander einfach nicht mehr da ist. Es gibt sehr viele unterschiedliche Gruppen und Menschen in einer Nachbarschaft, die sich ja normalerweise nie begegnen würden – ob alte, junge, alteingesessene oder zugezogene Menschen. Leider nehmen wir uns immer weniger Zeit, um Interesse für andere zu zeigen.

Was, wenn ich ein Mensch bin, der einfach gern für sich ist und seine Ruhe möchte?

Nachbarschaft heißt nicht, dass man immer und jederzeit miteinander sprechen muss. Wenn ich mir überlege: Ich backe heute Abend einen Kuchen und habe aber keine Eier, dann wäre ich vor 100 Jahren zum Nachbarn gegangen. Jetzt überlege ich mir: Wie lange hat der Laden auf? Das hat nichts damit zu tun, dass ich mit jedem immer sprechen muss. Oder wenn meine Waschmaschine nicht mehr funktioniert, gehe ich in den Waschsalon und frage nicht den Nachbarn. Man versucht selbstständig zu sein und sieht es als Schwäche, um Hilfe zu bitten. Eigentlich ist es aber eine Stärke.

Vielleicht will ich meinem Nachbarn auch einfach nicht auf die Nerven gehen?

Ja, vielleicht denken viele, sie stehen dann in der Schuld des Anderen, und selber hat man ja sowieso nie Zeit. Ich denke, wenn jemand nicht kann, muss er ‚Nein’ sagen. Für die meisten Nachbarn ist es aber gar kein Problem, kurz zu helfen. Ich persönlich helfe wahnsinnig gern und fühle mich dann auch zufriedener.

Mit nebenan.de hilft jetzt das Internet, Nachbarschaften zusammenzubringen...

Es gibt eben viele Menschen, die sich in den sozialen Medien zu Hause fühlen, die über diesen Zugang nachbarschaftliche Hilfe ermöglichen und suchen können. Aber es braucht auch das Fest, dass man zusammen auf dem Bänkchen sitzt. Es braucht beides.

Kommen zu diesen Veranstaltungen nicht immer die, die Nachbarschaft eh leben?

Ich bin sehr gespannt. Unsere Hoffnung ist, dass sich bei diesem Fest Nachbarn finden, die das dann Jahr für Jahr mit uns gemeinsam gestalten.

Die Feste am 24. Mai 2019:

Am 24. Mai sind auf den Fildern verschiedene Veranstaltungen: in Bernhausen am Falkenweg 1, 16 bis 20 Uhr. Es gibt ein Kaffee-Tee-Mobil und einen Pizzawagen. Auf dem Fasanenhof trifft sich die Nachbarschaft von 15.30 bis 19 Uhr in der Wohnanlage Fasanenhof, Laubeweg 1. Es gibt Grillwürste, Vegetarisches und mehr. In Degerloch lädt das Wohncafé an der Schöttlestraße 12 ein. Von 11 bis 15 Uhr widmet sich die Veranstaltung – auch künstlerisch – der Frage, was unbezahlbar ist.

Die Idee kommt vom Online-Netzwerk nebenan.de der Good Hood GmbH aus Berlin; nebenan.de will seit 2015 Nachbarn zusammenbringen. Ein Benutzerkonto erhält man nur für die eigene Nachbarschaft. Es ist eine Plattform zum Tauschen, Kontakteknüpfen oder Informieren