Jede Frau hat das Recht auf eine Hebamme von der Feststellung der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit. Foto: Sina Schuldt/dpa/Sina Schuldt

Fast keine Geburt läuft heute ohne Eingriffe ab – sehr zum Nachteil von Mutter und Kind. Was sich in der Betreuung von der Schwangerschaft bis nach der Entbindung ändern sollte, darüber beraten derzeit Mediziner, Hebammen und Eltern in Stuttgart.

Stuttgart - „Benvenuto Giuseppe!“ – so steht es über der Haustür der Familie Napolitano in Leinfelden-Echterdingen geschrieben. Diese Willkommensgrüße für ihr erstes Kind bedeuten den Eltern Nunziata und Lazzarino unheimlich viel. Denn der Start ihres Sohnes in die Welt hätte dramatischer nicht sein können: Mit seinen Schultern hatte er sich im Geburtskanal verhakt, gleichzeitig war die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt, die bei der Geburt zudem riss. Minutenlang war die Sauerstoffversorgung unterbrochen. „Als er dann auf der Welt war, habe ich nur einen kurzen Blick auf sein weißes Gesichtchen werfen können“, sagt Lazzarino Napolitano. Dann wurde Giuseppe weggebracht. Später erfuhren die Eltern, dass ihr Sohn reanimiert werden musste.

 

Knapp drei Wochen ist Giuseppe nun alt und schläft ruhig in den Armen seiner Mutter, während Nunziata und ihr Mann von den Stunden erzählen, die sie neun Monate lang herbeigesehnt hatten – und die fast zu den schrecklichsten ihres Lebens gehört hätten. Die Geburt war ein Kraftakt, bestätigt Ulrich Karck, der Ärztliche Leiter der Frauenklinik am Stuttgarter Klinikum, in dessen Perinatalzentrum Giuseppe zur Welt gekommen ist. Dies gilt nicht nur für die Eltern und das Kind, sondern auch für die begleitenden Hebammen und Ärzte. „Es war eine hochdramatische und gefährliche Situation, die Dank des Zusammenspiels von Geburtshelfern und Neonatologen zu einem mit aller Wahrscheinlichkeit guten Ende gebracht werden konnte“, schildert Karck.

Ärzte und Hebammen sind häufig gestresst, die Schwangeren fühlen sich oft alleingelassen

Die Geschichte der Familie Napolitano ist ein gutes Beispiel dafür, was die Geburtsmedizin und Geburtshilfe heute leisten können – wenn die Voraussetzungen stimmen. „Das heißt, dass sich Eltern, Hebammen und Ärzte auf Augenhöhe begegnen“, sagt Karck. Im Klinikum Stuttgart wird schon seit mehr als einem Jahrzehnt auf dieses Miteinander gesetzt. Doch das ist bundesweit nicht die Regel: Ärzte und Hebammen sind häufig gestresst, weil zeitlicher und wirtschaftlicher Druck immer dominanter werden und es oft keine klare Rollenverteilung gibt. Hinzu kommen die überfüllten Kreißsäle, weil sich viele andere Kliniken keine Geburtshilfe mehr leisten können. So fühlen sich die Schwangeren in der Geburtsvorbereitung und bei der Entbindung oft allein gelassen. Das schafft Frust bei allen Beteiligten.

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In Stuttgart beraten derzeit Verbände von Geburtshelfern, Mediziner und Elternvertreter bei einem Fachkongress, wie Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach verbessert werden können. „Es geht darum, zwischen all den Beteiligten mehr Vertrauen zu schaffen“, sagt der Kinderarzt Andreas Oberle, der den Kongress mit ins Leben gerufen hat. „Wir erleben heute, dass Frauen so verunsichert sind, was ihr Körpergefühl angeht.“ Das hängt auch mit der technisch hochgerüsteten Geburtsmedizin zusammen, die sämtliche Risiken möglichst ausschließen will – und dies bei allen Möglichkeiten nicht komplett schaffen kann, wie Oberle weiß. Der Arzt leitet am Klinikum Stuttgart die Sozialpädiatrie – den Bereich, in dem Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen oder chronischen Schäden betreut werden. Darunter sind auch Frühgeborene, die aufgrund einer Geburtskomplikation therapeutische Hilfe benötigen.

Bei einer Schwangerschaft können Hebammen die komplette Vorsorge durchführen

Die vielen Verzögerungen in den Kreißsälen und der Personalmangel in der Geburtshilfe sind nachweislich die größten Risikofaktoren für Geburtsschäden. Dagegen haben Frauen, die kontinuierlich von Hebammen begleitet werden, seltener eine Frühgeburt, bringen ihre Kinder häufiger auf natürlichem Weg zur Welt, haben weniger Zangen- oder Saugglockengeburten und bekommen seltener eine örtliche Betäubung.

Tatsächlich können nach Aussagen des Hebammenverbands Baden-Württemberg die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen sowohl bei einer Hebamme als auch einem Gynäkologen oder im Wechsel durchgeführt werden. Ziel sei es etwa bei der Geburtsvorbereitung, „das Vertrauen in den eigenen Körper und die Körperwahrnehmung zu stärken und Ängste abzubauen.“ Ärzte sowie Hebammen müssten hier vermehrt Aufklärungsarbeit leisten, sich Zeit für die Eltern nehmen und sich auf individuelle Bedürfnisse einstellen. „Nur so lässt sich ein Vertrauensverhältnis in einer so sensiblen und intimen Situation schaffen“, sagt die Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg, Jutta Eichenauer.

Frauen müssen gestärkt werden, um für die Geburt auch bereit zu sein

Doch in Deutschland sind beratende, aufklärende und begleitende Tätigkeiten immer noch schlecht vergütet. Das müsse sich laut Eichenauer ändern. „Außerdem muss es einen verbindlichen Personalschlüssel für die Geburtsbetreuung geben und der Hebammenberuf muss aufgewertet werden – beispielsweise durch eine Hochschulausbildung.“ Letzteres soll nach Plänen der Bundesregierung zum Standard werden.

Am Ende müssen die zufrieden sein, auf die es bei der Geburt ankommt: die schwangeren Frauen. Glücklich seien sie heute, bestätigen die Eltern von Giuseppe. Und doch haben auch sie Fragen: „Es beschäftigt mich schon, ob die Ärzte nicht hätten früher erkennen können, dass es zu einer Komplikation kommen wird“, sagt der Vater. Im Klinikum Stuttgart heißt es daher, dass man sich noch einmal mit der Familie zusammensetzen wolle. Dieses Vorgehen könnte man zur Regel werden lassen, wenn es nach Katharina Desery geht. Die Mutter von drei Kindern ist Vorstandsmitglied der Elterninitiative „Mother Hood“, die sich für den Schutz von Mutter und Kind während Schwangerschaft, Geburt und erstem Lebensjahr einsetzt. „Untersuchungen und Eingriffe müssen so erklärt werden, dass Frauen verstehen, welchen Nutzen und welche möglichen Nebenwirkungen sie haben, welche Alternativen es gibt und was der Grund für ihren Einsatz ist“, heißt es in ihrer Mitteilung zum Kongress. Desery berichtet dabei auch von einer Mutter, bei der diese Voraussetzungen wohl gestimmt haben und sie sich gut aufgehoben gefühlt habe. So sagte diese nach der Geburt: „Ich habe mich so stark gefühlt und dachte, dass ich direkt noch ein Kind bekommen möchte.“