Fahrlässige Tötung: Ein Arzt wollte Freispruch, ist aber gescheitert Foto: dpa

Weil sie schwere Fehler bei der Geburt eines Jungen gemacht haben sollen, waren ein Arzt und eine Hebamme vom Amtsgericht zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Der Arzt will in der Berufung einen Freispruch erreichen.

Stuttgart - Eine Schwangerschaft völlig ohne Komplikationen ist für eine Frau im April 2010 zur Katastrophe geworden. Die heute 38 Jahre alte Frau und ihr Lebensgefährte hatten sich auf einen gesunden Jungen gefreut. Doch am späten Abend des 12. April vor fünfeinhalb Jahren erblickte ein schwer geschädigter Bub in einer Stuttgarter Geburtsklinik das Licht der Welt. Zwei Tage später war der Säugling tot.

Nachdem sich das Paar Rat bei einem Gutachter geholt hatte, erstattete es im Mai 2011 Strafanzeige. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte die Hebamme und den Arzt im Oktober vergangenen Jahres zu jeweils sechs Monaten auf Bewährung. Die Hebamme nahm das Urteil an, gab ihre Tätigkeit, die sie als Traumberuf bezeichnet hatte, auf und befindet sich nach wie vor in psychologischer Behandlung. Der Gynäkologe, dessen Anwälte vor dem Amtsgericht auf Freispruch plädiert hatten, greift das Urteil in der Berufung vor dem Landgericht an.

„Der Kleine atmet nicht“, ruft der Vater

„Der Kleine atmet nicht“, hatte der Vater des Jungen gerufen, nachdem der Säugling auf den Bauch der Mutter gelegt worden war. „Da war zuvor absolut nichts Ungewöhnliches. Und dann habe ich mit der Saugglocke ein blasses, lebloses Baby rausgeholt“, so der Arzt vor dem Amtsgericht. Er habe keinen Fehler gemacht, die Hebamme habe ihn schlicht nicht informiert.

Rückblende: Der Geburtstermin der Frau sollte der 4. April 2010 sein. Der Bub wollte nicht kommen, also einigten sich die Eltern mit dem Mediziner, die Niederkunft am 12. April in der Geburtsklinik, in der der Arzt und die Hebamme als Belegkräfte arbeiteten, einzuleiten. Um dies zu erreichen, setzten Arzt und Hebamme das Wehenmittel Cytotec ein.

Cytotec ist eigentlich ein Mittel zur Behandlung von Magengeschwüren, wirkt aber auch als Wehenauslöser. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es vor Geburten eingesetzt wird, was als Off-Label-Use bezeichnet wird. Allerdings muss die werdende Mutter zwingend darüber informiert werden. Dies habe er getan, sagt der Arzt, was die Frau nachhaltig bestreitet.

Hebamme hat Arzt nicht informiert

Bereits am Vormittag soll die Kardiotokografie (CTG), die die Herztöne des Ungeborenen misst, auffällig gewesen sein. Darüber habe die erfahrene Hebamme den Arzt nicht informiert.

„Die Frage ist: Konnte sich unser Mandant auf die Hebamme verlassen?“, so Anwalt Frank Theumer. Er beantwortet die Frage mit einem klaren Ja. Schließlich habe die Frau mehr als 1200 Kinder zur Welt gebracht, auch den Sohn des angeklagten Arztes. Und hat die Hebamme an besagtem Tag einen überforderten, fahrigen Eindruck gemacht? Nein, sagt Theumer. Selbst die Eltern des toten Jungen hatten die Hebamme als ruhig und professionell beschrieben.

Landgericht mildert Urteil

Tatsache ist, dass es die Geburtshelferin versäumt hatte, den Arzt über das höchst auffällige CTG am späten Abend zu informieren. Offenbar hat sie sogar Vermerke in der Behandlungsakte nachträglich zu ihren Gunsten geändert. Trotzdem sagt Reiner Skujat, Vorsitzender Richter der 31. Berufungskammer: „Der Arzt durfte sich nicht auf die Hebamme verlassen.“ Zwei Personen mit sehr großer Erfahrung hätten damals entscheidende Fehler gemacht. Hätte der Mediziner gegen 20 Uhr an jenem Abend, ehe er die Klinik verließ, reagiert, wäre ein gesunder Junge auf die Welt gekommen, so Richter Skujat. Aber: „Der Pflichtenverstoß der Hebamme wiegt erheblich schwerer.“

Also ändert das Landgericht den Schuldspruch des Amtsgerichts ab. Die Freiheitsstrafe auf Bewährung wird kassiert. Der Arzt muss stattdessen 100 Tagessätze à 180 Euro Geldstrafe bezahlen. Ein Freispruch komme aber nicht infrage.