Das geplante Aus der Leonberger Gynäkologie stößt in Fachkreisen auf heftige Kritik: Das Potenzial der Klinik sei sehr viel größer, werde aber nicht genutzt. Gibt es noch Hoffnung?
Insider hatten schon länger damit gerechnet, nun ist es amtlich: Der Bau einer neuen Großklinik am Böblinger Flugfeld kostet, Stand jetzt, eine dreiviertel Milliarde Euro. Eine Summe, die selbst die Befürworter des Megaprojekts mehr als schlucken lässt. In medizinischen Kreisen in und um Leonberg macht sich regelrechter Zorn breit, dass die seit Jahren emporschnellenden Kosten am Flugfeld zwar bedauert, aber letztlich durchgewunken werden, gleichzeitig aber in anderen Häusern „bestehende Strukturen zerstört werden“.
Einer der Ärzte, die diesen Kurs nicht nachvollziehen können, ist Karlheinz Roth. Der Gynäkologe betreibt in der Leonberger Innenstadt seit 30 Jahren eine eigene Praxis und war vorher am Krankenhaus in der Frauenklinik. Einen Bereich, den es in gut zwei Jahren nicht mehr geben wird. Zumindest wenn es nach dem Willen der kommunalen Betreibergesellschaft geht, dem Klinikverbund Südwest.
Der Krankenhauszusammenschluss, dessen Träger die Landkreise Böblingen und Calw sind, will seine Struktur vom Kopf auf die Füße stellen und neben dem Großkrankenhaus bei Böblingen ein weiteres Schwerpunkthaus in Nagold bereithalten. In diesen beiden Kliniken soll es nur noch Entbindungsstationen geben. Die Geburtshilfen in Leonberg und Herrenberg würden den Sparplänen zum Opfer fallen.
Während in Herrenberg der Krankenhausbetrieb in seiner bisherigen Form eingestellt werden soll, sind in Leonberg Einschnitte in der Kardiologie geplant. Die Gynäkologie soll sogar komplett verschwinden und damit auch der von Hebammen geführte Kreißsaal, der erst vor knapp zwei Jahren eingeführt wurde. Offiziell begründet wird dies mit Personalmangel und möglichen Problemen bei Notfällen.
„Kein Personalmangel in der Leonberger Gynäkologie“
Für den Mediziner Roth ist das der falsche Weg. „Wir haben in der Leonberger Gynäkologie keinen Personalmangel“, sagt der Frauenarzt, der seine Karriere im Krankenhaus begonnen hatte. „Im Gegensatz zu anderen Bereichen des Klinikverbundes werden hier auch keine externen Kräfte als Aushilfen eingesetzt.“ Als einweisender Arzt mit direkten Kontakten zur Belegschaft sei er sehr gut über die Personalsituation informiert.
Das Argument der Geschäftsführung, dass in Notfällen die medizinische Infrastruktur in Leonberg nicht ausreichend sei, lassen Karlheinz Roth, aber auch andere Mediziner nicht gelten. In Leonberg gebe es einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb, zudem eine Anästhesie und eine Bauchchirurgie. „Damit ist das Krankenhaus auf alle Eventualitäten eingerichtet“, sagt ein Insider.
„Dann haben wir einen Massenbetrieb“
Den Hinweis des Geschäftsführers Alexander Schmidtke, wonach komplexe Operationen ohnehin nicht in Leonberg durchgeführt werden, ist für Karlheinz Roth nicht stichhaltig: „Das ist immer und überall so. Schwierige Fälle werden in einer Spezialklinik behandelt. Dafür sind die da.“ Doch normale Behandlungen könnten ohne weiteres in kleineren Krankenhäusern ausgeführt werden. „Mehr als 95 Prozent der Geburten verlaufen unauffällig“, sagt der Gynäkologe.
Sollten die Leonberger Geburten, für dieses Jahr werden rund 600 erwartet, nach Böblingen gehen, wäre es entgegen der Aussagen des Klinikverbundes vorbei mit den Geburten in persönlicher Atmosphäre: „Dann haben wir da einen Massenbetrieb.“
Viele Mütter würden nach Stuttgart gehen
Zumal der Klinikverbund hohe Einnahmeverluste riskiert. Selbst Geschäftsführer Schmidtke erwartet, dass ein Teil der werdenden Mütter in ein Stuttgarter Krankenhaus wechseln würde. Gäbe es in Leonberg überhaupt keine Geburten mehr, so erwarten Experten einen finanziellen Jahresverlust von bis zu 2,5 Millionen Euro. Dabei gehe das Einzugsgebiet der Leonberger Klinik weit über den früheren Landkreis hinaus. „In Mühlacker und Vaihingen/Enz gibt es keine Geburtshilfen mehr“, meint Karlheinz Roth. „Für die hebammengeführte Entbindungsstation in Leonberg gibt es ein viel größeres Potenzial, als wie es bisher ausgeschöpft wird. Und dass Großkliniken kein Allheilmittel sind, sehen wir in Dänemark. Dort wird mittlerweile bitter bereut, dass viele kleine Häuser dichtgemacht wurden.“
Ein vom Klinikverbund als Ersatz vorgestellter „Aufbau ambulanter gynäkologischer und geburtshilflicher Angebote“ auf einem Gesundheitscampus hält der Facharzt für unrealistisch: „Es gibt keinen Gynäkologen, der mit einer Ambulanz in ein Ärztehaus am Krankenhaus geht, wenn es dort keine Gynäkologie gibt.“
Am Montag hatte der Klinikverbund im Kreistag ein Papier präsentiert, in dem die Auslagerung der Gynäkologie als „zwingend“ und der Aufbau einer gynäkologischen Belegabteilung als „nicht umsetzbar“ bezeichnet wird. In den Gremien gibt es dazu offenbar deutlich andere Ansichten.