Nach viel Anlaufzeit haben die Geburtshelferinnen Irmfriede Pilz-Buob und Fabienne Ziller in Ludwigsburg ein Hebammenzentrum nahe des Bahnhofs eröffnet. Dort gibt eine tägliche Betreuung für Frauen, die feste keine Hebamme gefunden haben. Doch das Spektrum ist viel größer.
Ludwigsburg - Gerade mal drei Wochen ist Felix auf der Welt. Von der strapaziösen Beckenendlage-Geburt muss er sich noch ein bisschen erholen. „Gut machst du dich“, lobt Irmfriede Pilz-Buob den zarten kleinen Kerl mit seinem vollen, dunklen Haarschopf. Die Hebamme hat den Säugling untersucht, schaut, wie es mit dem Stillen klappt und gibt Felix’ Eltern Miriam und Dominik Braun Ratschläge zu Unruhezuständen und zum Schlafenlernen. „Es ist gut, einfach fragen zu können“, sagt Dominik Braun. Man lese so viel, aber das banne die Verunsicherung nicht. „Das Leben mit einem Neugeborenen ist individuell“, bekräftigt Pilz-Buob. „Kinder, Eltern, äußere Umstände: Das lässt sich nicht über einen Kamm scheren, und es gibt keine Pauschalantworten.“
Die Brauns nutzen die Hebammensprechstunde im neuen Zentrum Justine, das im Neubau Ecke Bahnhof-, Leonberger- und Solitudestraße eröffnet hat. In diese Sprechstunde können Frauen kommen, die vergeblich nach einer Hebamme zur häuslichen Betreuung suchten. „Ich hatte zwar einen Platz in einem Vorbereitungskurs, aber niemanden für die Wochenbettbetreuung. Die Hebamme hatte zu der Zeit Urlaub“, erzählt Miriam Braun. Da sei sie sehr froh über die Hebammensprechstunde gewesen: „Als ich nach drei Tagen im Krankenhaus allein mit dem Baby zuhause war, war das eine große Hilfe.“
Langer Weg zum Ziel
Bis vor kurzem hatte die Hebammensprechstunde, die Irmfriede Pilz-Buob mit engagierten Kolleginnen angesichts des eklatanten Hebammenmangels im Kreis 2017 ins Leben gerufen hatte, in einem Mehrzweckraum im evangelischen Kinder- und Familienzentrum Hoheneck stattgefunden – zweimal pro Woche, als ambulantes Zusatzangebot, das die Hebammen auf ihre normale Tätigkeit draufsattelten. „Es war toll, dass wir den Raum bekommen haben. Aber gerade für Mütter ohne Auto oder mit Migrationshintergrund war der Weg dorthin teils eine Hemmschwelle“, sagt Fabienne Ziller.
Ziller und Pilz-Buob haben als Gründerinnen und Leiterinnen des Hebammenzentrums jetzt wahr gemacht, worauf sie jahrelang mühevoll hinarbeiteten: eine zentrale, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbare Anlaufstelle, die nicht nur das ganze Betreuungs- und Beratungsspektrum rund um die Entbindung anbietet – Geburtsvorbereitung, Rückbildung, Stillen, Säuglingspflege, Beikost und mehr – und mit der ambulanten Sprechstunde hilft. Sie nimmt frischgebackene Mütter und junge Familien auch über das Wochenbett hinaus an die Hand. So hat sich mit der Diplom-Pädagogin Petra Baumann von Pro Familia eine Fachfrau ans Zentrum angedockt, die Kurse für sehr junge Mütter anbietet, die teils noch nicht mit der Schule oder der Ausbildung fertig sind, die aber auch Schwangerenkonfliktberatung macht oder bei Anträgen und Fragen zur finanziellen Absicherung hilft. Den Bereich Sozialberatung würden Ziller und Pilz-Buob gerne weiter ausbauen. Auch Expertinnen für Yoga, Mama-Fitness oder Elementarmusik machen Anbote bei Justine. Und vier weitere Geburtshelferinnen sind stundenweise dabei, die ansonsten in Kreißsälen in Bietigheim-Bissingen und Stuttgart arbeiten. Zudem ist Justine mit dem Kinderwunschzentrum, einer Kinderarztpraxis und einer Apotheke unter einem Dach. Von der Kombination können alle profitieren.
Fabienne Ziller: „Modelle wie unseres sind die Zukunft“
Für Fabienne Ziller und Irmfriede Pilz-Buob war dieses Hebammenzentrum mit erweitertem Ansatz ein lange gehegter Traum. Sie sehen darin aber auch eine Notwendigkeit: Der Hebammenmangel und die weiten Anfahrtswege ließen eine häusliche Betreuung, wie man sie von früher kenne, immer weniger zu. „Wir Hebammen sind am Anschlag. Deshalb braucht es neue Modelle wie unseres. Sie sind die Zukunft. Wir hoffen, dass da die Frauen auch ein Stück weit umdenken“, sagt Fabienne Ziller. „Natürlich machen wir noch Hausbesuche. Aber wenn die Alternative ist, gar keine Versorgung zu bekommen, ist unser Zentrum eine gute Alternative.“ Das Gründerinnen-Duo ist dafür ein finanzielles Wagnis eingegangen, das es bisher alleine stemmt. Der Landkreis und die Stadt Ludwigsburg haben zwar einen Gründungszuschuss zugesagt, auch ist ein Mietzuschuss vorgesehen. Die entsprechenden politischen Beschlüsse sind gefasst. Geflossen ist das Geld aber noch nicht. „Wir freuen uns auf jeden Fall auf die finanzielle Unterstützung. Es war ein guter Austausch mit den politischen Gremien und ein stetiges Aufeinanderzugehen“, sagt Fabienne Ziller. Vor allem eines ist den beiden erfahrenen Hebammen wichtig: dass jede Frau, unabhängig vom sozialen Status und den Lebensumständen, sich bei Justine willkommen und gut aufgehoben fühlt. Viele seien durch Ratgeber, Youtube und einschlägige Webseiten darauf fixiert, immer nur das Beste zu wollen, und verlören dabei ihre Intuition, ist die Erfahrung der Hebammen. „Uns ist wichtig“, sagt Fabienne Ziller: „Die Frauen sollen hier einfach sie selbst sein dürfen, andere Mütter treffen und wissen, dass sie in ihrer neuen Lebensphase nicht alleine sind.“
Für einen guten Start ins Leben
Das Zentrum
Sechs Hebammen, eine Heilpraktikerin mit Osteopathie-Schwerpunkt, eine Sozialpädagogin für Schwangeren- und Schwangerenkonfliktberatung, eine Yoga-Lehrerin und eine Sport- und Fitnesstrainerin, die „Mama-Fitness“-Kurse anbietet, haben sich im Hebammenzentrum Justine zusammengetan. Informationen über ihre Angebote gibt es auf der Website www.justine-hebammenzentrum-ludwigsburg.de
Die Namensgeberinnen
ustine Siegemund (1636 bis 1705) brachte es als Autodidaktin und Dorfhebamme bis zur Hebamme am brandenburgischen Hof und veröffentlichte 1690 das erste anerkannten medizinischen Lehrbuch für Hebammen