Dreharbeiten für den Colours-Werbespot: Der Tänzer Alessio Marchini mit Kamerateam Foto: Bastian Ungemach

„Alte Zachen“ heißt das Stück des israelischen Choreografen Nadav Zelner. Doch alt wirkt gar nichts, wenn zwei Tänzer von Gauthier Dance das Duett vor Stuttgarter Kulisse tanzen. Zu sehen sind Film und Stück beim neuen Abend „Infinity Reloaded“.

Stuttgart - Absperrgitter, Bagger, Kräne, Baugruben, soweit das Auge reicht. Man muss schon etwas masochistisch veranlagt sein, um Stuttgart in diesen Tagen zu lieben. Allen, die mit ihrer Stadt hadern, bietet Gauthier Dance nun Momente des Trosts: Der kurze Film mit dem die Theaterhaus-Tanzkompanie für die neue Auflage ihres Festivals Colours im nächsten Sommer wirbt, zeigt Stuttgart aus einer Perspektive, die ausschließlich für gute Laune sorgt. Auch bei Reginald Lefebvre und Alessio Marchini, den beiden Tänzern, die in diesem Spot zu einer poppigen Variante des Gospelsongs „Rock my soul“ an ganz unterschiedlichen Orten in der Stadt die Hüften schwingen.

Zu sehen ist der Film derzeit in einer kurzen Version als Werbetrailer in den Innenstadtkinos. Wer Lust auf mehr hat, kann auf Youtube den kompletten Tanzausflug mitmachen. In Popsonglänge führt er von der Markthalle und der Innenstadt durchs Grüne hinaus auf den Killesberg und die Karlshöhe, um dann im Theaterhaus, dem Veranstaltungsort von Colours, zu enden. Auf ein Dutzend unterschiedlicher Schauplätze wurde „Alte Zachen“, ein Duett des israelischen Choreografen Nadav Zelner verteilt; Häppchen, die sich zu einem witzigen und jungen Stück Tanz fügen. Wie zwei zu Späßen aufgelegte Doppelgänger Freddie Mercurys schütteln die beiden die Köpfe, werfen die Arme nach oben und zaubern plötzlich aus dem Wirbel der Körper eine elegante Arabesque.

Bei all der guten Laune übersieht man, welche Leistung in dem nur scheinbar leichten Stück steckt. „Nadav Zelner ist sehr jung, Anfang zwanzig, und so choreografiert er auch: schnell, irre präzise, voller Power“, sagt Reginald Lefebvre über die Zusammenarbeit mit dem Newcomer der israelischen Tanzszene, der sein 2015 in Tel Aviv uraufgeführte Stück im Februar in Stuttgart mit allen männlichen Tänzern Eric Gauthiers einstudierte. „In diesem Duett hört man nicht eine Sekunde auf, sich zu bewegen“, erklärt Alessio Marchini die Herausforderung von „Alte Zachen“. „Nadav Zelner hatte uns geraten: ,Geht dieses Duett mit Energie an – und genießt es. Auf keinen Fall dürft ihr darüber nachdenken, was ihr tut!‘ Und das stimmt. Sobald man anfängt zu denken, kommt man nicht am Ende an.“

Die Zeichen stehen auf Unterhaltung

Schwarzweiß karierte Shorts, gelbes Hemd, darüber lila Fliege, unten Socken in derselben Farbe: auch was die ungewöhnliche Straßenkleidung der beiden Protagonisten betrifft, stehen die Zeichen auf Unterhaltung. Als Variation des Leichten, das so schwer herzustellen ist, macht sich dieses Tanzstück wunderbar vor der Stuttgarter Kulisse. Nicht ganz so sommerlich, wie es wirkt, waren die Bedingungen an den beiden Drehtagen. „Wir haben früh am Morgen begonnen, weil das Licht da gut ist und noch nicht so viele Leute in der Stadt unterwegs sind“, erzählt Reginald Lefebvre. „Aber im Oktober um acht in Shorts und Socken in Stuttgart? Das war nicht so lustig.“

Der Franzose aus Korsika tanzt in der zweiten Saison bei Gauthier Dance, bereits die vierte ist es für seinen italienischen Kollegen Alessio Marchini aus Rom. Beide kamen nach Stuttgart, weil sie das enorm breite Repertoire und den jungen Stil von Gauthier Dance schätzen, weil sie hier mit bekannten und mit jungen Choreografen wie Nadav Zelner arbeiten können und weil die Kompanie viel auf Tour ist. „Ich reise sehr gerne“, sagt Alessio Marchini. Und beide haben durch den Filmdreh auch neue Orte in der Stadt kennengelernt. Den Skaterpark am Pragfriedhof zum Beispiel oder die Karlshöhe, wo sie in lockerem Sprint die Stufen am Biergarten zur Aussichtsplattform erklimmen. Beeindruckt hat die Tänzer vor allem die Kulisse auf dem Dach eines Gebäudes an der Hirschstraße. Mit der mächtigen Stiftskirche im Hintergrund erinnern die beiden Tänzer nun an die alten Stars des Stuttgarter Balletts wie Birgit Keil, die einst Hannes Kilian ebenfalls in luftiger Höhe fotografierte.

Im nächsten Jahr: ein abendfüllendes Stück Tanz für junge Menschen

Wie fühlt es sich an, wenn man wie ein Filmstar auf großer Leinwand auftritt? Im Kino haben sich die beiden Tänzer noch gar nicht gesehen. „Mein Deutsch reicht leider nicht aus, um Filme zu schauen“, bedauerte Alessio Marchini, „aber wahrscheinlich könnte ich gar nicht glauben, dass ich das bin.“ Einen annähernd großen Auftritt wird das Duo beim neuen Abend von Gauthier Dance haben. Denn „Alte Zachen“ findet sich auch im Programm von „Infinity Reloaded“, dem eigentlichen Auftritt wird die Projektion des Colours-Werbespots vorangehen. Von diesem Donnerstag an bis einschließlich Silvester soll „Infinity Reloaded“ mit einer besondern Stückauswahl Gauthier Dance in Feierlaune zeigen, mit dabei sind Muntermacher wie Itzik Galilis getanzte Screwball Comedy „Cherry Pink and Apple Blossom White“ und Eric Gauthiers Kultstück „Ballet 101“ – zum ersten Mal mit Gauthier als Sprecher live auf der Bühne. Roberto Scafatis „Freistoß“ bringt wechselnde Überraschungsgäste auf die Bühne, den Anfang macht der ehemalige VfB-Torwart Timo Hildebrand.

Nadav Zelner wird gleich mit zwei Arbeiten vertreten sein. Außer dem frechen Männer-Duo „Alte Zachen“ ist das weibliche Gegenstück „Chopsticks“ zu sehen. „Das ist ein Choreograf, der auch ein junges Publikum ansprechen kann“, hofft Eric Gauthier und hat bei dem israelischen Newcomer, der monatlich den Video-Kanal Youtube mit neuen Choreografien füttert, ein abendfüllendes Stück bestellt. „Ich habe mir für den Tanz immer etwas wie die Theaterhaus-Produktion ,Was heißt denn hier Liebe?‘ gewünscht. Und ich glaube, dass Nadav Zelner ein junges Stück gelingen kann. Er bringt Glück und Tanz zusammen.“

Info

Der Abend „Infinity Reloaded“ ist von diesem Donnerstag bis 31. Dezember im Theaterhaus zu sehen – und ziemlich ausverkauft. Neu im Programm: Itzik Galilis „Cherry Pink and Apple Blossom White“, Eric Gauthiers „Ballet 101“, Roberto Scafatis „Freistoß“. Nadav Zelner ist mit zwei Arbeiten vertreten: mit „Alte Zachen“ und „Chopsticks“.

Das Festival Colours bringt vom 6. bis zum 23. Juli 2017 internationale Kompanien ins Theaterhaus. Karten gibt es unter 0711 / 40 20 720 und täglich von 10 bis 21.30 Uhr an der Theaterhaus-Kasse