Moderne Kassen speichern jede Bestellung – jedenfalls theoretisch. Foto: dpa-Zentralbild

Ein Lokal im Herzen der Stadt macht sich der Steuerhinterziehung verdächtig. Betrug an Registrierkassen ist weit verbreitet und schwer nachzuweisen. Das Finanzamt kontrolliert, aber das Risiko erwischt zu werden ist gering.

Böblingen - Dieser Restaurantbeleg wird vom nächsten Jahr an riskant: Acht Posten sind aufgelistet, vom alkoholfreien Bier vorab bis zum Salat zum Schluss. 40,60 Euro kassiert der Kellner von diesem Tisch. Wer nur flüchtig hinsieht, dem entgeht, dass vor der Endsumme 40,60 das Wort „Zwischenrechnung“ gedruckt ist. Außerdem ist die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen. Beides gilt bei Steuerfahndern als verdächtig.

Das Lokal, das auf diese Art abkassiert, liegt im Herzen von Böblingen. Bei drei Stichproben wurde jeweils eine Zwischenrechnung vorgelegt. Die ist ein alt bekannter Kniff, um am Finanzamt vorbei zu verdienen, aber nicht der einzige, der in die Software von Registrierkassen ab Werk eingebaut ist. Eine zweite gängige Möglichkeit sind sogenannte Trainingseinstellungen, die dazu dienen sollen, neue Kellner anzulernen. In beiden Fällen werden die eingetippten Beträge nicht verbucht.

Die Steuerprüfer kündigen Kontrollen an – schriftlich

Auch wenn all diese Sonder-Einstellungen stets auf dem Rechnungspapier zu lesen sind – das Risiko, erwischt zu werden, scheint gering. Die Polizei kontrolliert in Gaststätten so ziemlich alles, vom Eichstrich bis zum Fluchtweg, aber nicht die Kasse. Dafür sind die Finanzämter zuständig, und am Tag der Kontrolle liegen mit Gewissheit reguläre Rechnungen auf den Tischen. „Für die Gastronomie gibt es keine Besonderheiten“, sagt Hans Auchter. „Wir behandeln sie wie alle anderen Branchen.“ Was bedeutet, dass die Steuerprüfer ihren Besuch ankündigen, dies der Ordnung halber schriftlich.

Auchter ist Pressesprecher des Finanzamts Böblingen. „Überall, wo Bargeld fließt, ist die Gefahr von Steuerbetrug natürlich größer“, sagt er. Der Bundesrechnungshof schätzt, dass dem Staat wegen manipulierter Registrierkassen zehn Milliarden Euro pro Jahr entgehen. Zwar ist diese Zahl umstritten, der Grundsatz aber nicht. Selbst die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat dem Thema eine Studie gewidmet und die Steuerhinterziehung an der Kasse zu einem internationalen Massenphänomen erklärt.

Ein Verdacht ist aber kein Beweis. „Wir gehen davon aus, dass unsere Mitgliedsunternehmen korrekt abrechnen“, sagt Daniel Ohl. Er ist Sprecher des hiesigen Dehoga, wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband kürzelt. Die Zwischenrechnung müsse keine betrügerischen Gründe haben. „Es könnte sich auch um eine Fehlbedienung oder einen Programmierfehler in der Kasse handeln“, meint Ohl.

Vom nächsten Jahr an soll das Risiko steigen

Nachdem die CDU im Bund sich jahrelang geweigert hatte, die Vorschriften zu verschärfen, ist schließlich 2016 das „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ beschlossen worden. Eben deswegen werden Zwischen- oder Trainingsrechnungen künftig riskant. Vom nächsten Jahr an dürfen Steuerprüfer auch unangemeldet in Lokalen vorbeischauen.

Darüber hinaus ist das Gesetz umstritten. Es sei „Schluss mit manipulierten elektronischen Kassenaufzeichnungen“, betitelte der Bundesrechnungshof einen Kommentar zur Neuerung. Hingegen urteilte die Deutsche Steuergewerkschaft, dass mit dieser Novelle „das Ziel einer umfassenden Bekämpfung von Manipulationen aus unserer Sicht nicht erreicht werden kann“. Und der Fachverband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik beklagte in seiner Bewertung zehn Schwachpunkte im Gesetz. Die SPD wollte schärfere Regeln beschließen, hat sich in der Koalition aber nicht durchgesetzt.

Einstweilen müssen sich Wirte ohnehin nicht um die Änderungen kümmern, obwohl sie seit Jahresbeginn in Kraft sind. „Was ändert sich zum 1. Januar 2017?“, fragte das Fachmagazin Hogapage seine Leser und antwortete: „Erst einmal nichts“. Die Übergangsfristen reichen bis ins Jahr 2023 hinein. Ob danach endgültig Schluss ist mit dem Steuerbetrug an der Kasse, scheint überdies fraglich. Spezielle Schummelsoftware für Registrierkassen ist derart verbreitet, dass sie gleich zwei Eigennamen hat: Zapper und Phantom-Ware. Deren Entwickler haben nun reichlich Zeit, sich auf die Neuerungen einzustellen.