Bei der Gala zum 80. Geburtstag von Tanzlegende Egon Madsen versteht Weltstar Friedemann Vogel, warum das Wunder des Balletts nach Stuttgart kam. So eine Tanzliebe ohne Allüren geht unter die Haut – bei einem Abend, der Ballettgeschichte schreibt!
Utele, das Gänsemädel, muss noch ein bisschen warten, bis die Chefin und der Chef wieder zu Hause sind. Die frühere Tänzerin Lucia Isenring und ihr Mann Egon Madsen, der auch mit 80 Jahren noch tanzt, haben auf einem italienischen Hof, unweit der Toskana, mit vielen Tieren ihr Glück fern von Ballettbühnen gefunden.
Im voll besetzten Theaterhaus ist es dem Dänen, den das Publikum enthusiastisch feiert, im Talk mitEric Gauthier fast unangenehm, über seinen Anteil am Stuttgarter Ballettwunder zu reden. Seine Bescheidenheit sperrt sich dagegen. Deshalb wechselt er immer wieder das Thema, erzählt etwa von Utele, seiner Gans, die abends rumschnattert, so lange schimpft, bis der „Tanzkönig von Stuttgart“ („FAZ“) den Salat bringt.
44 Minuten lang tanzt Egon Madsen selbst
Fast vier Stunden Gala, 44 Minuten tanzt Egon Madsen in zwei Stücken selbst, danach wird bis um halb zwei Uhr morgens mit der großen Ballettfamilie im Foyer gefeiert, weil es so viel zu erzählen gibt – am Tag danach macht der Mann, den alle lieben, was man nicht erst mit 80 Jahren oft tun sollte: nichts!
Zwei Tage nach einem einzigartigen Abend, der in die Ballettgeschichte eingehen wird, reisen Lucia Isenring und Egon Madsen zu Utele und den anderen Tieren nach Italien zurück, beseelt von so viel Herzlichkeit, die das trampelnde, klatschende und „Happy Birthday“ singende Publikum zum 80. Geburtstag dem Ausnahmekünstler geschenkt hat, der vorführt, dass Alter nichts mit „Aus dem Rennen“ zu tun hat, sondern eine große Inspiration für junge Menschen ist. Man sieht an Madsen: Bewegung hält jung.
Die frühere Primaballerina Birgit Keil muss vor Rührung weinen
Im Foyer gibt die etwas jüngere Birgit Keil (Jahrgang 1944) zu, die mit Egon zu den vier Initialen, also zu den vier Stars von John Cranko, gehört hat, dass sie weinen musste. Die alten Fotos sowie die Erinnerungen gehen nicht nur denen, die damals dabei waren, unter die Haut. Marcia Haydée, 85, fehlt, weil sie gerade in Rio Tanz einstudiert. Richard Cragun, der Vierte im Bunde, ist vor zehn Jahren gestorben. Friedemann Vogel – er tanzt Ausschnitte aus Crankos Brouillards – erkennt an diesem Abend, warum es gerade Stuttgart war, in dem das weltweit ausstrahlende Ballettwunder entstanden ist. „Hier sind Egon und die anderen bei all ihrem Können, ihrer einzigartigen Tanzleidenschaft immer authentisch geblieben“, sagt der aktuelle Superstar des Tanzes.
„Allüren hatten sie nicht, das waren keine Diven.“ Deshalb verneigt sich Vogel vor Crankos Altvorderen und rühmt sie als seine „Vorbilder“.
Gauthier Dance heizt ordentlich ein
Auch der Nachwuchs der Bühne löst Ovationen aus: Alice McArthur und Mitchell Millholin von der John-Cranko-Schule begeistern, ebenso Arnau Redorta Ortiz und Maria Sayrach Baró von den Gauthier-Dance-Juniors. Nach der Pause überzeugt der fantastische Shori Yamamoto von Gauthier-Dance. Am Ende heizt Gauthiers Team mit 20 Tänzerinnen und Tänzer und vier Assurd-Musikerinnen ein. Als Coach der Theaterhaus-Compagnie wird Egon Madsen weiterhin gebraucht. Vor jeder Premiere, sagt Eric Gauthier, will er seinen Mentor in seiner Nähe wissen, erst das macht ihn ruhig und bekämpft die Nervosität. Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts, erinnert sich, wie nervös er als junger Tänzer war und von Madsens Ausgeglichenheit profitierte. „Ich war zu jung, um Spaß zu haben“, sagt er. Vom nun 80-Jährigen hat er gelernt, dass es nicht reicht, über Tanz alles zu wissen, man muss ihn „fühlen“.
Viel Prominenz ist dabei
Für die Gala verzichtet OB Frank Nopper auf den Wasen, auch sein Vorgänger Fritz Kuhn ist da. Außerdem gesehen: Tänzer Jason Reilly, Jochen Sandig, der Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele, Pianist George Bailley, Cranko-Tänzerin Marianne Kruse, Dirigent Bernhard Kontarsky u.v.a.
Das Stuttgarter Tanzphänomen ist bei Gauthier Dance im Theaterhaus zu einem zweiten Ballettwunder gekommen – auch dank Egon Madsen, der sich nun wieder auf Utele freut, auf die gar nicht dumme Gans in Italien. Sie kann sehr stolz auf ihn sein. Doch über Salat freut sie sich noch mehr.