Der Schlossherr Philipp Fürst zu Hohenlohe Langenburg mit seinen Hunden Foto: Peer Hahn

Blaues Blut spielt in Deutschland seit der Weimarer Republik keine Rolle mehr. Dennoch ist der Adel nach wie vor eine Klasse für sich.

Langenburg - Die besondere Atmosphäre von Schloss Langenburg empfängt den Besucher schon, wenn er zum ersten Mal die imposanten Türme auf dem Bergrücken über dem Jagsttal entdeckt. Auf dem Weg zum Eingang, vorbei an den barocken Gärten, fühlt man sich in frühere Zeiten zurückversetzt. Der deutsche Adel – der im Jahr 1918 in Deutschland und Österreich mit dem Ende der Monarchien abgeschafft wurde – scheint hier lebendiger denn je zu sein. Denn in den märchenhaften Gemäuern bei Schwäbisch Hall lebt tatsächlich noch ein Schlossherr mit seiner Familie, der von den Bewohnern im Ort respektvoll mit „Fürst“ oder „Durchlaucht“ begrüßt wird. Vom fürstlichen Leben ist ansonsten jedoch wenig übrig geblieben.

„Die Besucher vergessen auf dem Weg zum Schloss ihre Alltagssorgen, für mich fangen sie hier jedoch erst an“, sagt der Schlossherr Philipp Fürst zu Hohenlohe Langenburg. Als er im Alter von 34 Jahren nach dem Tod seines Vater vor neun Jahren das Residenzschloss übertragen bekam, erbte er eine große Verantwortung. Das riesige Gemäuer muss in Schuss gehalten werden – eine Lebensaufgabe für ihn.

Fast jeder Adlige hat schon einmal bei „Adel auf dem Radel“ mitgemacht

In Deutschland gibt es rund 100 000 Menschen, die dem historischen Adel angehören. Kaum eine andere Bevölkerungsschicht ist so eng miteinander verbunden und erscheint so homogen. Bestimmte Erkennungsmerkmale verbinden sie miteinander: Sei es das Internat, das auch junge Adlige oftmals besucht haben, die zahlreichen Geschwister, bestimmte Tänze, wie den „Friesenrock“, die bei den Bällen getanzt werden, oder gemeinsame Freizeiten wie „Adel auf dem Radel“, bei dem die jungen Adligen mit den Fahrrädern von Schloss zu Schloss fahren. Oder sei es einfach ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Familientradition und einen Stammbaum, der sich über Jahrhunderte zurück verfolgen lässt.

Mit dem Verlust der Privilegien musste sich der Adel einen neuen Lebensstil angewöhnen. Inzwischen gehen die meisten von ihnen normalen Berufen nach und kaum noch jemand lebt in einem Schloss oder in einer Burg. Sie unterscheiden sich von den Bürgerlichen oft nur noch durch den klangvollen Nachnamen. Wer jedoch zu den wenigen Erben eines Schlosses gehört, hat nicht nur Freude daran.

Die Büro-Räume in Schloss Langenburg hat Fürst zu Hohenlohe Langenburg nicht prunkvoll eingerichtet. Mit den unterschiedlichen, antiken Holzmöbeln und den Hirschgeweihen an der Wand wirken die Räume gemütlich-rustikal. Ins Bild passen auch die beiden Labradore, die ihrem Herrchen auf Schritt und Tritt folgen. Bei gemeinsamen Spaziergängen durch die Schlossanlage kann sich der Fürst jedoch kaum entspannen. Überall sieht er Risse oder baufällige Stellen, die wieder Unsummen verschlingen werden. Für 100 000 bis 200 000 Euro muss er jährlich sanieren.

Die Reparaturen am Schloss verschlingen jährlich bis zu 200 000 Euro

Im Moment steht Reparaturen an einer Brücke und am Schloss-Café an, die 380 000 Euro verschlingen werden. Summen, die er nur aufbringen kann, wenn er sich etwas einfallen lässt. Neben Schlossführungen und einem Automuseum bietet er Räume für Hochzeiten an, hat im anliegenden Wald einen Kletterpark gebaut und richtet jährlich die „Fürstlichen Gartentage“ aus. „Wichtig ist mir, dass die Veranstaltungen rund um das Schloss einen Bezug zur Region haben“, sagt der Fürst. Er habe Langenburg als Heimat immer geliebt, doch die finanziellen Dimensionen seien ihm nicht bewusst gewesen.

Besonders ärgert den Schlossherren, wenn ihm das Amt für Denkmalpflege Steine in den Weg legt. „Ich verstehe ja, dass sie nur noch wenig Geld haben, um die Renovierungen an dem Schloss zu unterstützen“, sagt Fürst zu Hohenlohe-Langenburg. „Doch dann müssen sie mich wenigstens Geld verdienen lassen, damit ich es instand halten kann.“ Sein jüngstes Projekt ist eine sogenannte Slow-Time-Akademie, in der er eine Mischung aus Seminaren und Bogenschießen für Jugendliche, Behinderte oder Burnout-gefährdete Geschäftsleuten anbieten will. Die Entschleunigungsseminare sollen in der leer stehenden Alten Brauerei in der Schlossanlage statt finden. Bisher tummeln sich jedoch nur nachts Marder in den verfallenen Räumen – von den anstehenden Renovierungsarbeiten muss erst noch das Amt für Denkmalpflege überzeugt werden.

Probleme, die auch Lippold von Klencke, Schlossherr auf Hämelschenburg im niedersächsischen Emmerthal kennt. „Reparaturen am Schloss fallen in guten wie in schlechten Zeiten an“, sagt er. Doch auch er unterliegt den Bestimmungen des Denkmalschutzes, wenn er an seinem Schloss etwas verändern will. So wurde ihm beispielsweise der Umbau eines alten Kuhstalls in ein Restaurant verweigert. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich der 68-Jährige als Landesbeamter, doch der Erhalt des Schlosses erfordert sein ganzes Engagement.

Hausmeister im eigenen Schloss

Auch auf Hämelschenburg werden Besichtigungen für Touristen und Räume für Hochzeiten angeboten. „Wir sind unsere eigenen Hausmeister, aber das macht auch große Freude“, sagt von Klencke. Wie die Tradition es verlangt, wird das Schloss dem ältesten Sohn übergeben. „Es gibt keine Regeln mehr, wer das Schloss erbt, doch ich halte es für sinnvoll, dass es nur ein Kind übernimmt.“ Denn die Instandhaltung erfordere Entscheidungsfreiheit. Seine anderen drei Kinder fördern das Familienerbe, indem sie freiwillig darauf verzichten.

Nicht immer läuft es in den adligen Familienverbänden so friedlich ab. Dirk von Hahn ist Beauftragter für Familienverbände in der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände und berät die adligen Familien, wenn es zu Streitigkeiten kommt. „Manchmal gibt es Spannungen, weil die einen an den alten Regeln festhalten, während andere ausscheren wollen“, stellt er nüchtern fest. Die alten Regeln besagen beispielsweise, dass nur der Mann den adligen Namen weiter führen darf. Eine Frau, die einen Bürgerlichen heiratet, muss Name und Titel ablegen und aus dem Adelsverband austreten. Eine Regel, die so noch zeitgemäß ist? „Das heutige Adelsrecht können wir nicht ändern, weil es dazu eines Monarchen bedürfte“, sagt von Klencke. Außerdem hätten sich die Richtlinien über die Jahrhunderte hinweg bewährt. „In adligen Familien sieht sich der Einzelne als Glied einer Kette“, sagt von Klencke.

Heutzutage zählt die Liebe, nicht die Standeszugehörigkeit

Auch Donata von Samson-Himmelstjerna gefällt es, Teil einer Familie zu sein, deren Stammbaum bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Die Jugendsprecherin der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände tanzt bei Bällen begeistert den Friesenrock, hat in ihrer Kindheit an vielen Freizeiten für Adlige teilgenommen und die Urgroßeltern ihrer engsten Freunde waren schon mit ihren Urgroßeltern befreundet. Und auch wenn die Eventmanagerin ebenso viele bürgerliche Bekannte hat wie adlige, fühlt sie sich unter Ihresgleichen wohler: „Wir sprechen dieselbe Sprache.“ Damit meint sie weniger, dass Adlige grundsätzlich „Klo“ statt „Toilette“ sagen und sich niemals einen „guten Appetit“ wünschen, sondern vielmehr die gemeinsamen Werte, die man teilt. Daher würde eine Heirat unter Adligen auch vieles erleichtern, sagt Donata von Samson-Himmelstjerna.

Dennoch: „Die Liebe ist das Entscheidende, ob man nun adelig ist oder nicht.“ In adligen Kreisen fällt sie allerdings nicht auf, was sie angenehm findet. „Mein Name ruft immer irgendeine Reaktion hervor“, sagtdie 26-Jährige. Auf neugierige Fragen antwortet sie gerne, negative Reaktionen sind glücklicherweise selten, doch sie kommen vor: „Wenn mich jemand nur aufgrund meines Namens ablehnt, will ich mit dieser Person auch nichts zu tun haben. Es ist schließlich nur mein Name, das bin nicht ich.“

Auch Philipp Fürst zu Hohenlohe Langenburg hat seinen klangvollen Nachname nicht immer nur mit Stolz getragen: „Als Kind willst du nicht auffallen“, sagt er. „Es wäre einfacher gewesen, wenn man die ehemaligen Titel wie in Österreich aus den Namen entfernt hätte.“