Noch ein Avocado-Brot, dann bringt er Brechts „Dreigroschenoper“ auf die Kinoleinwand: Joachim A. Lang im Gardener’s Nosh Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Zwei Stunden dauert das Frühstück mit Joachim A. Lang, und kein einziges Mal schaut der Filmemacher und SWR-Redakteur aufs Smartphone. Kann man mit dieser Ruhe auch Stars am Filmset zu Höchstleistungen treiben?

Stuttgart - Frühstück ist nicht so sein Ding – jedenfalls nicht mit fremden Menschen und am Vormittag, also bei fortgeschrittenem Arbeitstag. Auf die Frage, wohin man den Filmautor, Regisseur und Journalisten Joachim A. Lang denn einladen dürfe, muss er erst mal Rücksprache mit seiner kundigen Tochter halten. Die empfiehlt das Gardener’s Nosh in der Calwer Straße – und da gibt es dann ein Avocado-Brot plus Cappuccino. „Vielleicht stecken mir einfach noch die Dreharbeiten in den Knochen – unser ,Mackie Messer‘ in 35 Drehtagen. Da wäre so ein langes Frühstück morgens um zehn ein Wahnsinn gewesen.“

Das ist nun wirklich ein richtig großes Ding, das der 58-jährige Stuttgarter da sehr bald, nämlich am 13. September, in die Kinos bringt: „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“; eine über zweistündige deutsch-belgische Koproduktion, ein opulentes, in Bildern schwelgendes, aufwendig inszeniertes Theaterfilm-Politrevue-Singspiel-Gesellschaftsspektakel, besetzt mit der Crème de la Crème des deutschsprachigen Schauspiels, von Lars Eidinger und Tobias Moretti bis Robert Stadlober, Christian Redl und Joachim Król, von Hannah Herzsprung und Claudia Michelsen bis Britta Hammelstein und Meike Droste. Ach ja, und Peri Baumeister und Max Raabe sind auch noch dabei und, und, und. Eines der besten Orchester spielt (das SWR-Symphonieorchester), einer der besten Chöre singt (das SWR-Vokalensemble), einer der frechsten Choreografen lässt tanzen (Eric Gauthier), einer der kundigsten Dirigenten leitet die Brecht-Weill-Musik (der Österreicher HK Gruber, selbst übrigens ein Komponist). Und all das fügt gerade einer zusammen: Regisseur Joachim A. Lang.

Kein Pedant – aber genau

Wenn man sich unter Letzterem nun aber einen beständig aufgeregten, latent cholerischen und unter stärkstem Kreativ- und Herrschaftsdruck stehenden Filmfritzen-Napoleon vorstellt, hat man ein völlig falsches Bild vor Augen. Lang ist vielmehr die Ruhe in Person – zurückhaltend, distinguiert, freundlich, zugewandt, interessiert, unglaublich kundig. Zwei Stunden dauert das Frühstück mit ihm, und kein einziges Mal schaut er zwischendurch auf sein Smartphone. Kann man mit diesem Stil wirklich auch ein Filmset voller Stars beisammen halten und zu Höchstleistungen treiben? „Sich aufregen nützt gar nichts, auch, wenn ich spür’, dass es hinter mir brodelt. Es muss halt alles gut vorbereitet sein. Ich muss vor allem jedem Einzelnen erklären können, worauf es ankommt. Jeder muss wissen, was seine Rolle, seine Bedeutung ist. So schaff’ ich Raum für das Spiel. Und in diesem Raum kann dann Besonderes entstehen.“ Ist er also eher ein Pedant? „Nein, kein Pedant. Aber genau.“

Joachim A. Lang hat schon so viele große Kulturprojekte gestemmt, dass man leicht den Überblick verliert, was er eigentlich hauptsächlich macht. Nun, sehr hauptsächlich arbeitet er beim SWR; da leitet er das Ressort „Sonderprojekte, Musik und Theater“ und beschert dem Kulturpublikum immer wieder Glanzlichter – von der „Don Giovanni“-Live-Übertragung aus der Stuttgarter Staatsoper im Sommer 2013 über Festspiele in Worms und Bregenz bis zur jüngsten Kinoproduktion des John-Cranko-Balletts „Romeo und Julia“. Dann lehrt er an der Ludwigsburger Filmakademie den Nachwuchs. Dann schafft er als Autor und Regisseur auch noch selbst außergewöhnliche Filme (2013 brachte er Götz George dazu, in die Rolle einer zwiespältigen deutschen Schauspieler-Legende zu schlüpfen, nämlich in die seines Vaters Heinrich George). Und dann hat Lang von 2009 bis 2016 auch noch das jährliche Brecht-Festival in Augsburg geleitet.

Womit wir bei der „Dreigroschenoper“ wären. „Ich plane und arbeite gern an langfristigen Projekten, die nicht so leicht zu verwirklichen sind. Dicke Bretter halt. Es hat gedauert, bis ich das Vertrauen des Stuttgarter Ballettchefs Reid Anderson gewinnen konnte und die Verfilmung dieser großen Cranko-Ballette möglich wurde. Es hat lang gedauert, bis ich Götz George bewegen konnte, sich vor der Kamera etwas so Privatem und Intimem wie der Beziehung zu seinem früh verlorenen Übervater zu stellen. Und der Traum eines ,Dreigroschenoper‘-Films mit der bestmöglichen Besetzung – nun ja, dieses Projekt bewegte mich wohl überhaupt am längsten.“

Seit dem Studium verfolgt ihn Brecht

Dazu muss man wissen: Bertolt Brecht verfolgt ihn – seit seinen Studienjahren in den Siebzigern, seit seiner Magisterarbeit über die „Kriegsfibel“. Oder verfolgt Lang auch ein wenig eine Legende namens Brecht? „Viele können ja in ihm nur den Ideologen sehe, den Agitator, den Politdichter. Dabei ist er nichts davon gewesen, schon gar nicht in den Zwanzigern. In keinem seiner Stücke führt er strahlende Helden vor, nirgendwo beschwört er irgendeine große Sache, für die Opfer zu bringen wären. Und an keiner Stelle will er die Zuschauer belehren. Wenn manche Brecht-Inszenierungen belehrend daherkommen, liegt das nicht am Autor! Der Zuschauer soll das Zuschauen lernen – das wollte er!“ Pause. „Und witzig ist er übrigens auch.“

Deswegen lebt Langs „Dreigroschenfilm“ eben nicht nur von der spektakulären Besetzung, sondern vor allem von einer konsequenten Ästhetik und Regie: Hier geht es weder um ein juxfideles modernes Brecht-Musical noch um große Gefühle oder gar um ein Dichter-Psychogramm. Es geht darum, fast 90 Jahre nach der Uraufführung in aller Bescheidenheit jene Singspiel-Verfilmung nachzuliefern, an der Brecht selbst gescheitert ist, weil er jene großen Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack nicht machen wollte, welche die Produzenten der Berliner Nero-Film AG einst von ihm verlangten. Heraus kommt nun eine Lang-Version, die Brechts Theaterästhetik wirklich gerecht zu werden versucht: „Es soll ein Film werden, wie es ihn noch nie gab“ – „Zeigt, dass ihr zeigt!“ – „Der Haifisch soll wieder Zähne kriegen“. Das letzte Zitat stammt von Lang.

Aber kann er so auf einen großen Publikumserfolg hoffen? „Ich glaube, das Publikum wird notorisch unterschätzt. Deswegen sind viele Produktionen so beliebig und belanglos.“ Er freue sich auf die Debatten mit Zuschauern und Kritikern. Er wird sie just so führen wie das Stuttgarter Frühstücksgespräch mit dem Journalisten: zurückhaltend, distinguiert, freundlich, zugewandt, interessiert, unglaublich kundig. Allein dies ist schon eine gute Nachricht: dass auch derart gestrickte Persönlichkeiten richtig große Kultur-Dinger stemmen können. „Wer sagt denn, dass die Leute keine Qualität wollen? Stimmt doch gar nicht.“