Marco Odermatt fährt den schnellsten Schwung im alpinen Ski-Weltcup. Foto: dpa/Marco Trovati

Marco Odermatt ist der dominierende Skirennläufer dieser Saison – und setzt außergewöhnliche Bestmarken. Warum fährt er der Konkurrenz dermaßen davon? Ex-Profi Fritz Dopfer nennt einige Gründe.

So ein bisschen schien es ja, als sei da eine gewisse Müdigkeit zu spüren gewesen – bei dem Mann, der bis dato nimmermüde schien. „Manchmal“, sinnierte also Marco Odermatt in Aspen (USA), „wäre ich froh, wenn es diese Serien und Langzeit-Statistiken gar nicht geben würde“. Dann, ergänzte der Skirennläufer aus der Schweiz, „könnte ich auch wieder einmal etwas lockerer ein Rennen bestreiten“. Und die Konkurrenz könnte so etwas wie Morgenluft schnuppern.

Das war vor allem in den bisherigen Rennen dieser Saison eher nicht möglich. Vor allem nicht in der Spezialdisziplin von Marco Odermatt. Von neun Riesenslalom-Rennen hat er neun gewonnen, nimmt man die vergangene Saison dazu, liegt er bei zwölf Erfolgen in Serie. Zu Ingemar Stenmarks 14 Triumphen in Folge fehlen nur noch zwei weitere. Aber es ist ja nicht nur der Riesenslalom.

Odermatt hat den dritten Sieg im Gesamtweltcup bereits sicher, führt mit über 1000 Punkten Vorsprung. Er liegt auch in den Wertungen von Abfahrt und Super-G vorne – und der französische Slalom-Olympiasieger Clement Noel äußerte vor einigen Wochen erleichtert: „Zum Glück fährst du nicht auch Slalom.“ Aber, wer weiß, vielleicht ändert sich ja auch das noch. Denn: Auch, wenn Marco Odermatt die Statistiken manchmal anstrengen – sie motivieren ihn eben auch.

„Wahrscheinlich sind es genau solche Zahlen, die mich immer wieder zu Höchstleistungen anstacheln“, sagte er in Aspen eben auch. Und so werden zu seinen bislang 37 Weltcupsiegen, den zwei Weltmeistertiteln, der einen olympischen Goldmedaille und den drei Gesamtweltcup-Triumphen sicher noch einige Trophäen hinzukommen in den nächsten Jahren. Der Mann aus der Zentralschweiz ist ja schließlich erst 26 Jahre alt.

Gute Aussichten für die Konkurrenz auf den Pisten sind das nicht. Doch vielleicht kommen ja mehr und mehr auf eine Antwort der Frage: Was macht diesen Ausnahmekönner eigentlich so gut?

Ist Marco Odermatt ein Fall von künstlicher Intelligenz?

Oliver Polzer, Kommentator beim österreichischen Fernsehen, hat da schon mal einen Verdacht geäußert – und gefragt: „Ist dieser Odermatt überhaupt noch ein Mensch – oder ist das schon künstliche Ski-Intelligenz?“ Weil sich der Ski-Superstar nicht wie einer benimmt, sich dagegen sympathisch, bodenständig und nahbar gibt, ist davon auszugehen, dass der siebenmalige Juniorenweltmeister (2016 und 2018) durchaus menschliche Züge aufweist. Die Suche nach den Geheimnissen hinter den Bestzeiten in Serie muss also anders beendet werden.

„Seine mentale Stärke ist sicher ein wichtiger Punkt“, sagt etwa Fritz Dopfer. Der Vizeweltmeister im Slalom von 2015 beobachtet mittlerweile als TV-Experte des Senders Eurosport den alpinen Ski-Weltcup – und ergänzt: „Marco hat immer diese Gier, diese Besessenheit, der Beste sein zu wollen.“ Aber: Er schaffe es, diesen Ehrgeiz mit dem nötigen Schuss Lockerheit zu vereinen. Das helfe ihm, auch dann an sich zu glauben, wenn etwa die Materialabstimmung mal nicht zu 100 Prozent passt. „Und er ist auch im Umgang mit der Öffentlichkeit authentisch und zugänglich, sucht sogar die Nähe“, sagt Dopfer. So nehme er auch den Rummel um seine Person gelassen, ziehe daraus sogar noch Energie. Und kommt dabei sogar noch unglaublich sympathisch rüber.

Dass ihn all das im Zusammenspiel mit den Erfolgen für Sponsoren hoch attraktiv gemacht hat, ist klar. Und so profitiert Odermatt auch wirtschaftlich reichlich von seiner Überlegenheit. Insgesamt über drei Millionen Euro sollen ihm seine 20 Partner und fünf Ausrüster pro Jahr zahlen. Allein an Preisgeldern des Ski-Weltverbands Fis hat der Schweizer zudem bereits 2,86 Millionen Euro eingefahren. Auch hier spielt er in einer Liga, die nicht viele erreichen.

Der zweite Grund für die Dominanz des Schweizers ist für Fritz Dopfer die Art und Weise, wie Odermatt sein Umfeld geordnet hat. Das Zauberwort: Kontinuität. Trainer, Manager, Servicemann – seit Jahren die gleichen Begleiter. Weiteres Indiz: Im Herbst 2022 hat der 26-Jährige den Vertrag mit seinem Ski-Ausrüster Stöckli um gleich vier Jahre verlängert. Obwohl er mit einem Wechsel nach Vertragsende im Frühjahr 2023 hoch attraktiv für andere Hersteller gewesen wäre.

Peitscheneffekt für einen schnellen Schwung

Das Material vom kleinen, aber exklusiven Schweizer Skibauer bietet Marco Odermatt jedoch alle Möglichkeiten, die er für seinen Stil benötigt. „Er fährt einen härteren Ski als die Konkurrenz“, sagt Fritz Dopfer, der 2020 seine Karriere beendet hat. Dieser Ski sei zwar schwerer zu beherrschen, weil es Odermatt aber hinbekomme, das harte Brett zu biegen, „bekommt er einen extremen Rebound, einen Peitscheeffekt“. Odermatt schaffe es „spielerisch und intuitiv, sein Material zu bändigen“. Zusammen mit einem herausragenden Gefühl für die richtige Linienwahl ergibt das einen extrem schnellen Schwung.

Wobei: Mit einem Schwung ist es ja nicht getan. Allein die Siegesserie im Riesenslalom bedeutet laut Fritz Dopfer, dass Marco Odermatt in rund 1200 Kurven nahezu perfekt unterwegs gewesen ist. „Er fliegt“, sagt der Ex-Skiprofi, „auf seiner eigenen Umlaufbahn, ist in jeder Hinsicht einzigartig“. Und noch lange nicht müde. Auch, wenn es in Aspen mal kurz danach aussah.