Seiltänzer Andrey Ivakhnenko im knallroten Stachelkostüm. Foto: Leif Piechowski

Das Friedrichsbau Varieté hat am Montagabend seinen 20. Geburtstag gefeiert. Das waren bei weitem nicht alle Geburtstagkinder.

Das Friedrichsbau Varieté hat am Montagabend seinen 20. Geburtstag gefeiert. Das waren bei weitem nicht alle Geburtstagkinder.

Stuttgart - Hoch sollen sie leben! Hoch sollen sie leben! Dreimal hoch! Nun ja, die Begeisterung ist etwas einseitig. Die beiden Herren und der Hund schauen so unbewegt wie immer, selbst an ihrem Geburtstag. Nicht nur das Friedrichsbau Varieté feierte am Montagabend seinen 20. Geburtstag, auch Häberle und Pfleiderer sowie Spitz Napoleonle. 1994 verwirklichte der Bildhauer Rudolf Kurz eine Idee seiner Kollegin Hanne Schorp-Pflumm und schuf das Denkmal für die Komödianten Oscar Heiler
(Häberle) und Willy Reichert (Pfleiderer) sowie nicht zu vergessen Hund Puffy. Seit der Eröffnung des Varietés in der Rotunde der L-Bank grüßen Häberle und Pfleiderer beim Eingang die Gäste, verewigt sind sie bei ihrem Sketch „Die andere Hälfte“. Da geht’s nicht um die Gattin, sondern um eine Flasche Schnaps. Der angezwitscherte Pfleiderer trägt sie herum, Häberle rät ihm, den Schnaps wegzuschütten. Was ein Problem ist. Die Flasche gehört nämlich dem Pfleiderer und seinem Schwager gemeinsam. Und Pfleiderers Hälfte ist die untere. Ein Dilemma, über das sie seit 20 Jahren diskutieren. Vielleicht tranken sie in einem unbeobachteten Moment aber doch ein Schlückchen, dem Varieté zum Wohl und wider den Abschiedsschmerz, denn bald werden sie alleine dastehen: Das Varieté zieht um. Halbe Sachen hat das Duo nicht gemacht, aber über halbe Sachen lässt sich vortrefflich philosophieren. Ob das Glas nun halbvoll oder halbleer sei, darüber konnte man auch gestern Abend diskutieren. Denn der Geburtstag war eines der letzten Hurras an traditionsreicher Stätte, im Mai ist Schluss in der Rotunde, dann geht es hoch auf den Pragsattel, in einen Holzbau am Theaterhaus. Der Schwabe neigt ja zur Skepsis. Und nach langem Abwägen kommt er stets zum Schluss, das Glas ist halbleer. Doch bei der Jubiläums-Gala in drei Akten vor 350 Gästen war man sich einig: Das Glas ist halbvoll. Das Varieté lebt weiter, obwohl die L-Bank die Förderung eingestellt und das Theater vor die Tür gesetzt hatte. Doch war dafür ein Kraftakt vonnöten, der bühnenreif war. Dafür dankten die Geschäftsführer Gabriele Frenzel und Timo Steinhauer. Stellvertretend für all jene, die Geld gaben sowie Ideen, durften Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann und Werner Koch vom Bürgerverein Pro Stuttgart reden und die Helfer feiern. Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier wollte den neuen Nachbarn gleichfalls begrüßen, musste aber leider absagen. Seine Rede hielt Zauberer Topas. Was gut passte, war die Rettung des Varietés doch ein famoser Trick. Seit Lazarus hat man nicht mehr erlebt, wie ein Toter auferstand. In der Rotunde ist man seit 1994 zu Gast. Doch hat das Gewerbe Tradition an diesem Ort. 1900 eröffnete der Friedrichsbau an der Ecke Schloss-/Friedrichstraße. Josephine Baker, Enrico Rastelli, Grock, Charlie Rivel, Joachim Ringelnatz traten auf. Hier wurden schon Elefanten von der Bühne gezaubert, als von David Copperfield noch keine Rede war. Am 26. Juli 1944 wurde der Friedrichsbau zerbombt. 1955 schließlich hat man ihn planiert, um Platz zu schaffen für die Theodor-Heuss-Straße. Das Varieté vagabundierte fortan durch die Stadt. Mal kam es auf dem Killesberg unter, mal in einem Zelt im Schlossgarten. Ehe es 1994 heimkehrte in den Neubau an historischer Stätte – und nun weiterzieht. Die Gaukler und Komödianten sind eben seit jeher ein fahrendes Volk.

„Die Geburtstagsshow“ heißt das aktuelle Programm im Friedrichsbau. Bei der Gala zeigte Hausregisseur Ralph Sun Ausschnitte daraus, M. Lillie & Cortes Young jonglierten, Tomasz gab den Conférencier, Burl machte Seifenblasen, Akrobat Mathieu Borillo turnte. Zum Gratulieren kamen auch die Lokalmatadoren Topas, Jorge Katsaros und Ray Martin als Elvis vorbei. Sowie drei Tänzer des Stuttgarter Balletts. In den Pausen begann manches Gespräch mit „Weißt du noch?“. man erinnerte sich an den 24. Februar 1994, als André Heller die Eröffnung zusammengewienert hatte, Max Raabe durchs Programm führte und Oscar Heiler auf die Bühne kam. „An meiner Kleidung sehen Sie’s – ich komm’ aus dürftigen Zeiten“, sagte der damals 87-Jährige. Von 1934 bis 1944 stand Heiler als Conférencier auf der Bühne des „Friedrichsbaus“. Und natürlich mit Willy Reichert als Häberle und Pfleiderer. Sie sind Teil der Geschichte dieses Orts. Doch jetzt stehen sie bald neben einer leeren Rotunde. Eigentlich müssten sie mit umziehen. Damit sie nicht so alleine und verloren dastehen.

Gesehen: City-Managerin Bettina Fuchs, ihr Vorgänger Hans H. Pfeifer, Rennfahrer-Legende Hans Herrmann, die Sängerin Vanessa Tuna, Zauberer Otto Wessely, Jongleur Kris Kremo, Clown Eddy Neumann .