Der Dortmunder Sänger Phillip Boa geht wieder auf Tour. Am Freitag gastiert er in der Röhre in Stuttgart. Foto: dpa-Zentralbild

Sänger Phillip Boa gastiert mit neu aufgelegten Klassikern am Freitag in der Röhre Stuttgart.

Stuttgart - Phillip Boa hat deutschen Pop international hoffähig gemacht. Er klinge wie "der Bowie der Gegenwart" sagt der New Yorker Starproduzent Tony Visconti (David Bowie, Iggy Pop, U2, Morrissey) über den Sänger und Songschreiber, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt. Jetzt ist der Dortmunder wieder unterwegs.

Herr Boa, Kürzlich veröffentlichten Sie Neuauflagen von "Helios" und "Boaphenia". Mit diesen Alben avancierten Sie mit dem Voodooclub zu Helden der deutschen Indieszene. Haben Sie sich als Avantgardist verstanden, der versucht, ein Massenpublikum zur guten Musik zu bekehren?
Das Bekehren war mein Anspruch nach außen. Ich wollte mit der Musik spielen und sie von einer anderen Perspektive angreifen. Das fing schon an mit The Voodooclub. Das war keine richtige Band, sondern ein Künstlerkollektiv mit einem sanften Diktator. Ich habe immer versucht, ausgefallene Ideen in die populäre Musik hineinzubringen. Heute Songs wie "Wonderless" und "Master Of Demona" mit anderen Musikern zu spielen, ist unheimlich kompliziert. Beim Hören merkt man das gar nicht, weil diese Songs harmonisch und teilweise sogar einfach wirken. Sie sind nicht am Rechner entstanden wie heute fast alle Musik, sondern durch menschliche Interaktion. Die Remaster-Alben klingen übrigens wesentlich besser als die Originale.

Ihre Musik wurde international gefeiert: sieben Mal Single of the Week und vier Mal Album of the Week in der kritischen britischen Musikpresse. Wer waren Ihre Vorbilder?
Wenn ich eine einzige zentrale Figur nennen müsste, dann ist das immer David Bowie gewesen - bis heute. In meiner Jugend habe ich zudem Postpunk-Bands wie The Clash, XTC, The Fall, Television und Wire gehört.

Der deutsche Musik Express schrieb damals: "Kranke Musik für ein krankes Volk". Welches Lebensgefühl drückten Songs wie "30 Men On A Dead Man's Grave" oder "Life After Beeing A Zombie" aus?
Man kann solche Songs todernst nehmen, aber man kann darin auch eine Menge Humor sehen. Die Engländer haben diesen merkwürdigen, abstrakten und absurden Humor anerkannt. Ich spiele gern mit dem Bösen, aber bitterernst kann man fast keinen meiner Songs nehmen. Solche Texte kommen heraus, wenn man im Größenwahn und betrunken zu viel Nietzsche liest. Heute würde ich ganz anders schreiben.

Zwischen 1989 und 1994 arbeiteten Sie eng mit dem David-Bowie-, U2- und Morrissey-Produzenten Tony Visconti zusammen. Sie sind der einzige Deutsche, der je von ihm produziert wurde. Wie kam es dazu?
Tony saß damals nicht in New York, sondern in London in den Good-Earth-Studios mitten im Rotlichtviertel von Soho. Er hatte mitbekommen, dass wir in England relativ angesagt waren. Ich wollte ihn gern als Produzent haben, weil er der Mann hinter Bowie war. Visconti hat dann sofort zugesagt und bei Songs wie "Container Love" und "Love On Sale" jedes zweite Instrument gespielt und auch mitgesungen. Tony steht für die Leichtigkeit und Internationalität meiner Musik. Er hat mit mir gewettet, dass er genauso singen könne wie David Bowie. Bei "Master Of Demona" hört man, er hatte Recht. Das deutsche Element hingegen habe ich durch Eroc bekommen. Der kam aus der Conny-Plank-Schule. Beim Mischen setzte ich meist auf Amerkaner oder Engländer, weil ich zeitlos klingen wollte. Als Musiker denkt man immer, man darf nicht stehenbleiben, man muss so klingen wie heute. Das ist im Prinzip ein Denkfehler. Die Bands von heute, die relevant sind, klingen sowieso so wie die alten.

Auch Depeche-Mode-Produzent Gareth Jones saß später bei Ihnen hinter den Reglern. Braucht ein Komponist und Musiker immer jemanden von außen, der seine Musik mit so viel Spannung, Magie und Leidenschaft wie nur möglich zum Hörer transportiert?
Ich finde schon. Die Musik von heute leidet unter der Laptop-Kultur, weshalb die Albumkultur ausstirbt. Die genialen Pop- und Rock-Alben der letzten 50 Jahren sind vergleichbar mit Kompositionen von Beethoven. Diese Albumkultur entsteht in großen Studios mit großen Produzenten, wo die Musiker isoliert sind und innerhalb einer gewissen Zeitspanne etwas auf die Beine stellen.

"Unsere alten Alben klingen heute fast schon modern"

In den Credits von "helios" taucht der Name Guy Chambers auf. Der spätere Hitschreiber von Robbie Williams war 1991 noch unbekannt. Wie wurden Sie auf Ihn aufmerksam?
Guy Chambers wurde uns durch den The Jam-Produzenten Tony Taverner empfohlen. Chambers hat die Streicher für unseren Song "Pretty Bay" arrangiert und gemeinsam mit einem 20-köpfigen Orchester eingespielt. Er war so professionell, das dauerte keine zwei Stunden.

Greifen junge Künstler heute wieder die Sounds und Effekte des Voodooclubs auf?
Unsere alten Alben klingen heute fast schon modern, weil etwa Bands speziell aus Kanada anfangen, wieder viel mit Hall zu arbeiten. Ein Beispiel dafür ist Arcade Fire.

Sie sind jetzt ausschließlich mit dem Material von "helios" und "Boaphenia" auf Tour. Nostalgie pur?
Nein, diese Alben sind zeitlos und sehr eigenständig. In Deutschland gibt es bis heute nichts Vergleichbares. Wir spielen von jedem Album elf Stücke. Teile von "helios" und "Boaphenia" werden zum ersten Mal live zu hören sein. Wobei wir es nicht immer schaffen, uns streng ans Original zu halten. Meine Band ist sehr gut, aber die Songs sind einfach zu ausgefuchst. Unser damaliger Bassist Dave Ball hatte mit Killing Joke, aber auch mit Barbara Thompson und Jon Hiseman gearbeitet.

Bei Ihren zahlreichen Tourneen und Festivalauftritten kam es zu Begegnungen mit Bob Dylan, Johnny Rotten, den Ramones und Iggy Pop. Wer hat den größten Eindruck hinterlassen?
Ich finde solche Begegnungen immer schrecklich. Was soll man sich da erzählen? Ich hätte David Bowie treffen können, aber was soll das bringen, wenn ich dann kein Wort rauskriege oder nur Mist erzähle wie bei Paul Weller. Mit John Lydon machte ich wenigstens höflichen Smalltalk. Seine kaputte, kreative Seele war ein großer Einfluss für mich. Ich lernte ihn kennen über unseren Bassisten Ted Chao, der vorher bei P.I.L. gespielt hatte. Auf einem Festival habe ich mal einen Blick in Bob Dylans Container geworfen. Seine Haut war grau und er wirkte in dem Augenblick sehr einsam.

Am 25. November treten Phillip Boa & The Voodoo Club in der Röhre in Stuttgart auf. Beginn ist um 20 Uhr. Infos und Karten: www.roehre-konzerte.de.