Viele Versuche, ein Treffer: Alexandra Popp (Mitte/Nummer 18) jubelt mit ihren Mitspielerinnen über ihr Tor gegen die Elfenbeinküste Foto: Getty

Gut, verlässlich, treffsicher: Die deutschen Stürmerinnen überzeugen beim 10:0-Sieg zum Auftakt der Fußball-WM der Frauen. Leidet die Attraktivität der WM unter den Neulingen? Wir haben das Pro und Contra.

Stuttgart - Celia Sasic zog ihre Kapuze tief ins Gesicht, und Simone Laudehr sah aus, als habe sie 90 Minuten lang auf der Bank geschmort. Der Jubel nach dem 10:0-Auftaktsieg der deutschen Frauen gegen WM-Neuling Elfenbeinküste fiel verhalten aus. „Wir sind nicht so blauäugig, dass wir diesen Sieg überbewerten“, sagte Torhüterin Nadine Angerer. Die Spielführerin des deutschen Teams weiß, dass die Trefferproduktion bei der Fußball-WM der Frauen gegen stärkere Gegner ins Stocken geraten könnte.

Die Ivorerinnen waren am Sonntag jedoch heillos überfordert, versuchten das mit Fouls zu kompensieren. Das harte Einsteigen brachte ihnen jedoch nur fast so viele Gelbe Karten (6) wie Gegentore. Für Deutschland war es ein Traumstart mit blauen Flecken. Der zweithöchste Sieg der WM-Geschichte zeigt, auf was sich Bundestrainerin Silvia Neid verlassen kann: auf ihre Torfabrik.

Celia Sasic und Anja Mittag schnürten jeweils einen Dreierpack – Sasic sogar binnen 29 Minuten. „Die beiden haben sich sehr gut ergänzt“, lobte Silvia Neid. Die übrigen Tore steuerten Laudehr, Sara Däbritz, Melanie Behringer und Alexandra Popp per Freistoß bei. „Es war ein perfekter Start. Ich hätte nie geglaubt, dass wir 10:0 gewinnen. Wir hatten die Elfenbeinküste viel besser eingestuft“, sagte Neid. Das einzige Problem: die Torausbeute. Die 0:10-Klatsche war für die Afrikanerinnen am Ende sogar schmeichelhaft. Vor allem Popp benötigte etliche Versuche. Das könnte noch ein Problem werden.

Verstecken muss sich die deutsche Offensive aber nicht. Denn nur wenige Mannschaften können mit einem ähnlich guten Kader aufwarten wie das Team von Silvia Neid. Um Spielerinnen wie Celia Sasic und Anja Mittag reißen sich die Spitzenclubs in ganz Europa. Mittag hat erst im vergangenen Monat bei Champions-League-Finalist Paris St. Germain unterschrieben, Sasic gewann mit dem 1. FFC Frankfurt gegen die Französinnen den Titel in der europäischen Königsklasse. Ihr Vertrag ist ausgelaufen, wie es weitergeht, steht noch nicht fest. Und dann ist da noch Dzsenifer Marozsán, die gegen die Elfenbeinküste überhaupt nicht zum Einsatz gekommen ist, weil sie wegen einer Sprunggelenksverletzung geschont worden ist. „Wir haben eine unglaubliche Qualität im Kader“, sagte die Bundestrainer, aber „die brauchen wir auch.“

Das Spiel gegen die Elfenbeinküste war nur der Auftakt eines Mammutprogramms. Im Idealfall bestreitet das deutsche Team sieben Spiele in vier Wochen, dazu kommen verschiedene Zeitzonen, lange Reisen und das Spielen auf dem ungewohnten Kunstrasen. „Auf diesem Belag muss man sehen, dass man die Kräfte einteilt“, sagte Sasic, die deshalb über ihre Auswechslung in der Pause nicht unglücklich gewesen ist.

Doch auch ohne Sasic hat die deutsche Elf nachgelegt und als erstes Team die 100-Tore-Marke bei Weltmeisterschaften der Frauen durchbrochen. 101 Treffer sind es jetzt. Die Schwäche des Gegners ist dafür nicht alleine der Grund. „Es hätte schwer werden können, wenn wir nicht sofort aggressiv gespielt hätten“, meinte Laudehr. Die Mentalität, auch nach klarer Führung immer nach vorn zu spielen, hat die deutsche Auswahl über viele Jahre perfektioniert. Zum Leidwesen der Konkurrenz.

Im zweiten Gruppenspiel an diesem Donnerstag (22 Uhr/ZDF und Eurosport) trifft die Mannschaft in Ottawa nun auf Norwegen, das am Sonntag Thailand 4:0 geschlagen hat. Ob Melanie Leupolz dabei sein kann, ist ungewiss. Sie zog sich am Sonntag eine Schambeinprellung zu. Dennoch: „Wir gehen selbstbewusst in das Spiel“, sagte Neid. Aus guten Grund. „Deutschland hatte selten eine so homogene und technisch starke Mannschaft“, meint Bernd Schröder, Trainer des Frauenfußball-Bundesligisten Turbine Potsdam. „Das Team hat große Chancen, Weltmeister zu werden.“

Die Frage lautet nun auch: Leidet die Attraktivität der WM unter den Neulingen?

Pro: Die Leistungsunterschiede sind viel zu groß

Der moderne Frauenfußball hat viel zu bieten, von technischer Finesse bis zu taktischen Feinheiten. Das ist auch bei der WM in Kanada zu sehen – allerdings nicht in jedem Spiel. Weil die Fifa das Teilnehmerfeld auf 24 Teams aufgestockt hat, gibt es viel zu große Leistungsunterschiede.

Ein Spiel, in dem es vor einem TV-Millionenpublikum nur darum geht, ob die Elfenbeinküste gegen Deutschland mehr Gegentore oder Gelbe Karten kassiert, bedeutet eine Niederlage für den gesamten Frauenfußball – weil sich angesichts der vielen Fehler und Fouls jeder fragt, ob sich in Kanada tatsächlich die Besten der Welt treffen.

Da hilft es auch nichts, wenn Bundestrainerin Silvia Neid meint, wer sich qualifiziert hat, habe die Teilnahme auch verdient. Wer solche Qualifikations-Kriterien aufstellt, ramponiert das Image einer WM. Dazu kommt, dass 16 der 24 Teams ins Achtelfinale einziehen. Ein Sieg gegen Thailand, und die Elfenbeinküste ist womöglich dabei. Auch wenn moderner Frauenfußball ganz anders aussieht.

Jochen Klingovsky

Contra: Entwicklungshilfe im Frauenfußball ist wichtig

Viele Chancen, zig Tore: Wer wünscht sich so etwas nicht von einem Fußballspiel? Angereichert mit einigen feinen Tricks und taktischen Kniffs kann etwas richtig Schönes entstehen. Die deutschen Fußballerinnen haben es gezeigt – zehnmal. Die der Elfenbeinküste kein einziges Mal, das Team war überfordert.

Die Aufstockung des WM-Teilnehmerfeldes auf 24 Teams nun aber als Unsinn abzutun, geht zu weit. Denn Entwicklungshilfe im Frauenfußball ist wichtig. Es hat sich zwar viel getan, aber nicht überall auf der Welt. Zu wenig Geld, kulturelle Vorbehalte, unprofessionelle Strukturen – ein WM-Ticket kann Ansporn sein, etwas zu verändern.

Bei der Elfenbeinküste gibt es ohne Frage Nachholbedarf, andere Teams wie die Niederlande und die Schweiz haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind zurecht dabei. Zudem ist nicht jede Mannschaft, die gegen Deutschland hoch verliert, gleich überflüssig – weder die Elfenbeinküste nach dem 0:10, noch Brasilien bei der Männer-WM 2014 nach dem 1:7.

Eva Hammel