Spurensicherung am Tatort in Stuttgart-Riedenberg: Jetzt hat der Ankläger lebenslang gegen den Mann gefordert, der Frau und Sohn erstochen haben soll. Foto: SDMG

Der Staatsanwalt hat vor dem Landgericht Stuttgart eine lebenslange Freiheitsstrafe für den Mann gefordert, der seinen Sohn und seine Frau in Riedenberg getötet hat. Der 53-Jährige sei krank und nur vermindert schuldfähig, so der Gutachter.

Stuttgart - Am Ende der Beweisaufnahme zeigen sich psychiatrischer Gutachter, Staatsanwalt und Verteidiger ratlos. „Warum diese Tat? Warum auf diese entsetzliche Weise mit mehr als 80 Messerstichen?“, fragt Staatsanwalt Matthias Schweitzer. Verteidiger Michael Lepp spricht von einer „furchtbaren menschlichen Tragödie“ und er sagt: „Auch bei mir bleibt ein großes Fragezeichen.“ Selbst der erfahrene psychiatrische Gutachter Peter Winckler sagt, er sei einigermaßen ratlos und irritiert. „Da sitzt jemand, der psychisch nicht gesund ist, ich kann es aber nicht konkretisieren. Das bereitet Unbehagen.“

Angeklagter sorgt mit Aussage für Verstörung

Der Angeklagte, Baustellenkoordinator und Sicherheitsbeauftragter eines Energieunternehmens, hat laut seines Geständnisses am 18. Oktober 2015 in der Familienwohnung in Riedenberg erst seine 43-jährige Frau und dann seinen 16-jährigen Sohn getötet – die Frau mit 55 Messerstichen, den Jungen mit 27. „Sie hatten keine Chance“, so Ankläger Schweitzer. Anschließend erstach er den Hund, schüttete Unmengen Alkohol in sich hinein, schnitt sich die Unterarme auf, schrieb Emails an seinen Chef („Habe meine Familie getötet. Sie können nicht mehr mit mir rechnen“) und rief schließlich die Polizei an.

Warum? Der 53-Jährige hat ausgesagt, er sei beruflich nicht mehr klargekommen, er habe Angst vor dem Absturz ins soziale Nichts gehabt. Mit diesem Motiv hat er für Verstörung bei allen Prozessbeteiligten gesorgt. Zumal er laut seines Chefs mitnichten vor der Entlassung gestanden habe.

Er soll an einer bipolaren Affektpsychose leiden

Im Sommer 2015 hatte sich der qualifizierte Mitarbeiter verändert. Er sei auf einem „Kreuzzug für Arbeitssicherheit“, ließ er wissen. Er stritt sich mit Kollegen, kontrollierte die Baustellen sogar nachts und am Wochenende. Im Juni wurde er freigestellt und in Behandlung geschickt. Das schien gut zu laufen. Im September kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück, am 14. Oktober saß er bei seiner Therapeutin, die den Eindruck hatte, er habe sich stabilisiert. Vier Tage später löschte der Mann seine Familie aus.

Gutachter Winckler hält es für am wahrscheinlichsten, dass der 53-Jährige an einer bipolaren Affektpsychose leidet. Objektiv habe kein Absturz ins soziale Elend bevorgestanden, subjektiv könne er in wahnnaher Verkennung der Realität aber davon überzeugt gewesen sein. Winckler sagt, der Angeklagte sei bei der Tat vermindert schuldfähig gewesen. Auf eine bipolare Störung deuteten auch seine Aktionen in der U-Haft über Pfingsten hin. Da hatte sich der 53-Jährige beim Hofgang ausgezogen, sich Wasser über den Kopf geschüttet und begonnen, auf dem Boden Schwimmübungen zu machen. Das sei sicher nicht gespielt gewesen, so Winckler. Auch die Aussage, er habe seine Frau und seinen Sohn geliebt, glaube er dem 53-Jährigen.

Auch bei Totschlag ist lebenslänglich möglich

Vorsitzender Richter Wolfgang Hahn gibt einen rechtlichen Hinweis. Es komme auch eine Verurteilung wegen Totschlags in Betracht, wenn das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege. Denn ein Täter muss die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer ausnutzen. Dem Angeklagten sei die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Frau und seines Sohnes indes egal gewesen, so der Gutachter. Er habe sie einfach töten wollen.

Dementsprechend plädiert Ankläger Schweitzer auf zweifachen Totschlag und er fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe. Das ist bei besonders schweren Fällen möglich. Verteidiger Lepp sieht ebenfalls kein Mordmerkmal, beantragt aber eine zeitlich begrenzte Strafe. Ihm schweben elf Jahre vor. Das Urteil soll am kommenden Montag verkündet werden.