40 Gemeinschaftsschulen gehen nach den Sommerferien an den Start, 22 Gymnasien führen wieder neunjährige Züge ein. Wo bleiben wir?, fragen sich viele an den Realschulen. Foto: dpa

Beim Forum Bildung am 8. Mai diskutieren Experten über die Lage der Realschule – Ein Stiefkind der Politik?

Stuttgart - Um die Zukunft seiner Schule macht sich Fred Binder keine Sorgen. Viele Schüler, die sich in den vergangenen Jahren an der Robert-Koch-Realschule in Stuttgart-Vaihingen angemeldet haben, hätten ein Gymnasium besuchen können, andere sollten eigentlich zur Hauptschule.

Schüler und Eltern schätzen das musische Profil der Schule – die Hälfte der Klassen sind Musikklassen, die Schüler haben die Wahl, ob sie den Ganztagszug besuchen oder lieber nur vormittags Unterricht haben. Seit Jahren arbeiten Binder und seine Kollegen mit den Schulen in der Nachbarschaft zusammen, dem Hegel-Gymnasium und der Pestalozzischule, einer Grund- und Werkrealschule.

Doch Binder ist nicht nur Leiter einer einzelnen Schule, sondern auch Geschäftsführender Schulleiter der Stuttgarter Realschulen, und deshalb sind ihm die Gedanken und Ängste vieler Kollegen vertraut. Die Unzufriedenheit mit der Landesregierung ist groß. Im Koalitionsvertrag hat Grün-Rot der Realschule gerade einmal fünf Zeilen gewidmet und ihnen mehr Hausaufgabenbetreuung, Ergänzungsstunden und Arbeitsgemeinschaften zugesagt. Um die Realschule herum ist hingegen alles in Bewegung.

Wegfall der Grundschulempfehlung hat Folgen

Gemeinschaftsschulen entstehen, in denen Schüler über die vierte Klasse hinaus zusammenbleiben und je nach Leistungen und Motivation Hauptschulabschluss, mittlere Reife oder Abitur machen können. Bei den 40 Schulen, die nach den Sommerferien an den Start gehen, ging die Initiative überwiegend von Werkrealschulen aus, und die Resonanz war größer als von manchen erwartet – teilweise zulasten von Realschulen.

Auch dass die Grundschulempfehlung wegfällt und Eltern selbst entscheiden können, welche weiterführende Schule ihr Kind besucht, hat Folgen. Realschullehrer befürchten, dass ihre potenziellen Schüler ans Gymnasium wechseln – insbesondere dort, wo wieder neunjährige Züge eingerichtet werden. Und dass mehr Schüler zu ihnen kommen, die bisher die Hauptschule oder Werkrealschule besuchten.

Realschulen wie Gemeinschaftsschulen behandeln

„Die Realschule ist unter Grün-Rot aus dem Blickfeld gerückt“, kritisierte unlängst die Vorsitzende des Realschullehrer-Verbands, Irmtrud Dethleffs-Niess. Die 200 zusätzlichen Stellen für das Schuljahr 2012/13, von denen die Hälfte für die neue Kompetenzanalyse in der achten Klassen genutzt werde, reichten für die 400 Realschulen im Land bei weitem nicht aus. „Damit wird die Mangelverwaltung nur fortgesetzt.“ Die Realschulen müssten wie die Gemeinschaftsschulen behandelt werden, etwa beim Klassenteiler, forderte sie. An den Realschulen haben die Klassen bis zu 30 Schüler, an den Gemeinschaftsschulen maximal 28.

Der Tübinger Erziehungswissenschaftler Thorsten Bohl wundert sich, dass Realschulen bisher kaum die Initiative ergriffen haben, sich als Gemeinschaftsschulen zu profilieren. Sie hätten die besten Voraussetzungen, weil ihre Schüler am unterschiedlichsten seien, sagte der frühere Realschullehrer. „Die große Chance liegt in einem klaren Profil mit einem hohen Differenzierungsgrad für unterschiedliche Lernvoraussetzungen“, so der Schulforscher. Der Druck werde steigen, wenn sie direkt mit Gemeinschaftsschulen konkurrieren oder benachbarte Hauptschulen aufgelöst werden müssten. „Langfristig kann dies bewirken, dass Realschulen dann mit Restschulen assoziiert werden.“

Stiefkind Realschulen? heißt das Thema unserer nächsten Veranstaltung in der Reihe Forum Bildung. Prof. Thorsten Bohl , Erziehungswissenschaftler an der Universität Tübingen, und Fred Binder , Leiter der Robert-Koch-Realschule in Stuttgart, werden befragt von unserer Bildungsredakteurin Maria Wetzel. Die Veranstaltung findet am 8. Mai, 19 Uhr , in der Robert-Koch-Schule, Vischerstr. 21, Stuttgart-Vaihingen, statt. Der Eintritt ist frei, jedoch ist eine Einlasskarte nötig. Diese können Sie bestellen unter forumbildung@stn.zgs.de (bitte Adresse angeben).

Am 25. Juni, 19 Uhr, Diskussion mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Wolfram Ressel , Rektor der Uni Stuttgart, über das Thema „Abitur – und nun?“.