Rund 250 Zuhörer kamen zur Podiumsdiskussion in die Waldorfschule Foto: Petsch

Sind Privatschulen besser? Beim Forum Bildung wurde zumindest erklärt, warum sie anders sind.

Stuttgart - Beim Anblick des Festsaals in Rot, Blau und Gelb kommen einem spontan David Bowie und dessen 69er-Hit „Space Oddity“ in den Sinn; spätestens mit dem mystischen Auftritt der grün-violetten Eurythmie-Gruppe aus der 12. Klasse wird den 250 Besuchern klar: Hier ist alles ein wenig anders als an einer gewöhnlichen Schule.

Hier oben auf der Stuttgarter Uhlandshöhe, wo seit 1919 die erste Waldorfschule der Welt beheimatet ist, die an diesem Dienstagabend das Forum für unsere inzwischen sechste Podiumsdiskussion zum Thema Bildung bietet. Thema dieses Mal: „Sind die Privatschulen besser?“

Manfred Ehringer kann der Fragestellung nicht viel abgewinnen. Der 80-Jährige kennt beide Seiten, war selbst Waldorfschüler, dann lange Jahre Leiter des Stuttgarter Schulamts, ehe er nach seiner Pensionierung in Bad Cannstatt die Bil-Privatschule mitbegründete. „Nicht die Strukturen sind entscheidend, sondern die Menschen, die darin zu tun haben“, sagt Ehringer im Gespräch mit unserer Bildungsredakteurin Maria Wetzel. Gute Lehrer gebe es hier wie da. Mit gut meint er Pädagogen, die sich ihrer Schüler voll annehmen. Ehringer spricht von einem „würdevollen Umgang“, ganz gleich welcher Herkunft, mit Stärken und Schwächen. „Schule ist bunt“, sagt er, „diese Vielfalt muss man zum Programm machen.“

Laut einer Umfrage nehmen 65 Prozent der Eltern an, dass an Privatschulen intensiv auf die Schüler eingegangen wird. Bei den Regelschulen glaubten dies nur 13 Prozent. Dennoch zieht der frühere Haupt- und Realschullehrer den Hut vor staatlichen Lehrern. „Ich habe ein gutes Bild von ihnen.“ Das Problem seien die institutionellen Zwänge. Beispiel Lehrpläne: Natürlich ließen sie Gestaltungsspielraum. Aber den muss man auch ausnutzen können. „Und das ist schwer neben dem Deputat“, meint Ehringer.

Bei Problem hilft der Pädagogische Servicepoint

„Dann die ständigen Strukturreformen. Typisch deutsch sei das, schimpft der Stuttgarter, es gehe nur um die äußere Form. „Dabei stellt jeder Schokolade-Hersteller erst die Schokolade her und dann die Verpackung.“ Eigentlich müsste das ganze System infrage gestellt und neu gedacht werden – bis hin zur Frage: Müssen Lehrer Beamte sein?

Doch so weit will Ehringer gar nicht gehen. Schließlich ist er Realist. Als er merkte, dass das staatliche Schulwesen auch beim Thema Integration „trotz großer Anstrengungen die Probleme nicht abarbeiten kann“, unterstützte er den Aufbau der Bil-Privatschule. Das Gymnasium und die Realschule werden derzeit noch überwiegend von Kindern mit Migrationshintergrund besucht. Kern ist eine Rundum-Betreuung, die für 290 Euro Schulgeld im Monat (bei einem Kind) auch Nachhilfe beinhaltet. Hat ein Schüler Probleme, wendet er sich an den „Pädagogischen Servicepoint“ und bekommt von qualifizierten Lehrkräften auf die Sprünge geholfen.

„Das ist originäre Aufgabe der Schule“, verweist Ehringer darauf, dass in Deutschland jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro für Nachhilfe ausgegeben werden. Mit Blick auf die zentrale Abitur- oder Mittlere-Reife-Prüfung nennt er den Ansatz der Bil-Schule „individuell mit Normorientierung“. In den Abschlussprüfungen haben die Schüler dieselben Mathe- und Deutschaufgaben wie die an den öffentlichen Schulen.

Noch individueller gestaltet sich der Schulalltag an den 56 Waldorfschulen in Baden-Württemberg. Es gibt keinen Rektor, der Unterricht erfolgt in Epochen statt stundenweise, auf dem Lehrplan stehen neben normalen Fächer auch Gartenbau und Spinnen, Sitzenbleiben und Zensuren gibt es – außer in den Abschlussprüfungen – nicht.

Sind Privatschulen elitär?

„Ich habe Noten immer als unwürdig empfunden“, berichtet Andre Bartoniczek, Lehrer und Ausbilder auf der Uhlandshöhe. Einer der obersten Grundsätze in den Häusern von Waldorf-Gründer Rudolf Steiner: Alle angstbehafteten Dinge müssen weg. Erst dann kann sich die Kreativität eines jeden entfalten – ob in Kunst, Musik oder schöpferischem Denken. „Kurioserweise ist das, was bei uns immer ein wenig belächelt wird, gesellschaftlich gerade gefragt“, stellt Bartoniczek fest.

Bis in die 80er Jahre hätten die meisten Eltern Lernen mit purer Wissensvermittlung gleichgesetzt. Die Frage: Wird mein Kind ganzheitlich gefördert oder nur sein Kopf?, habe in der Folge, ausgehend von der Waldorf-Pädagogik, immer weitere Teile der Gesellschaft beschäftigt. Auch heute sehen sich die Waldorfschulen als einer der größten privaten Schulträger in vielfacher Hinsicht als pädagogischer Vorreiter. Bartoniczek zählt auf: früher Fremdsprachenunterricht, Infragestellen des dreigliedriges Schulsystems, geschlechterspezifische Erziehung.

„Zeitgemäße Diskussionen , denen von uns der Weg bereitet wurde“, tritt der Lehrer dem Vorurteil der Waldorfer Wagenburgmentalität entgegen. Auch bei anderen aktuellen Problemen wie der Jugendgewalt könnte seiner Meinung nach die Lehre Rudolf Steiners hilfreich sein. „Ohne Fremdartiges, ohne die Verletzung von Denkgewohnheiten erstarrt man irgendwann.“

„Mit der Not der Menschen lässt sich immer Geld verdienen“

Der Deutsch- und Geschichtelehrer findet weitere Belege der Andersartigkeit. „9. Klasse Geschichtsunterricht. Was glauben Sie, was Schüler da interessiert? Garantiert nicht das Mönchtum. Wir behandeln stattdessen Revolution und in Geografie Erdbeben und Vulkanismus!“ Indirekt wirft auch Bartoniczek dem staatlichen Schulsystem Erstarrtheit und Unbeweglichkeit vor. In den Naturwissenschaften seien die Schulbücher teilweise 30 Jahre alt, was mit zeitgenössischer Wissensvermittlung nicht mehr viel zu tun habe. Also verzichtet man in der Waldorfschule lieber darauf – und orientiert sich stattdessen an aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Diesbezüglich seien die privaten den staatlichen Schulen überlegen, sind sich Ehringer und Bartoniczek einig. Die Prüfungsstatistiken des Landes sprechen zumindest nicht dagegen: Beim Abitur liegen Waldorfschüler im Landesschnitt, bei der mittleren Reife (nach Klasse 12) schneiden sie deutlich besser ab als herkömmliche Realschüler.

Sind sie deswegen auch elitär? Die zweite wichtige Frage des Abends verneint der Vertreter der Waldorfschule. „Für mich ist eine Schule dann elitär, wenn sie ausschließt. Das macht die Schule nicht. Bei uns gibt es auch Eltern, die Hartz IV beziehen.“ Dennoch ist es keine Frage, dass Privatschulen als Schulen für Besserverdienende gelten. Oder für bildungsnahe Schichten, wie es neudeutsch heißt. Auch wenn laut Grundgesetz niemand ausgeschlossen werden darf – nicht alle Schulen sind so sozial wie die Waldorfschule, die es den Eltern durch Beitragsgespräche zum Teil selbst überlässt, wie viel sie für den Schulbesuch aufbringen können. Der Regelsatz beläuft sich auf monatlich 250 Euro für ein Kind, für zwei Kinder werden 395 Euro fällig.

Keine Frage aber, dass es auch Einrichtungen gibt, deren hauptsächliche Motivation darin besteht, Kinder reicher Eltern einen Abschluss zu ermöglichen. Diese Häuser, teilweise Ketten, die bundesweit mit ihrer Exklusivität gegenüber dem staatlichen System werben, haben auch zum Boom der Privatschulen beigetragen. In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl der Privatschulen in Baden-Württemberg von 486 auf 683, die Schülerzahl erhöhte sich von 99.000 auf 141.000. Im gleichen Zeitraum verzeichneten die öffentlichen Schulen einen Rückgang um 65.000 auf 1,48 Millionen Schüler.

„Mit der Not der Menschen lässt sich immer Geld verdienen“, sagt Manfred Ehringer. Abgesehen von einigen schwarzen Schafen stellt er den meisten Privatschulen im Land – viele Träger sind kirchlich – aber ein gutes Zeugnis aus. Jede für sich habe ihre Existenzberechtigung und trage dazu bei, das Schulsystem insgesamt vielfältiger, lebendiger und letztlich fruchtbarer zu machen. Schule ist bunt.

Die Reihe Formum Bildung wird fortgesetzt

Die Reihe Formum Bildung wird fortgesetzt

Die erste Runde unserer Veranstaltungsreihe Forum Bildung ist beendet, die Reihe wird in lockerer Folge fortgesetzt.

Im Mai stehen die Realschulen im Mittelpunkt. Ort und Zeit werden noch bekanntgegeben.

Am 25. Juni, 19 Uhr, diskutieren Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart,mit Bildungsredakteurin Maria Wetzel über das Thema „Abitur – und nun?“ Veranstaltung findet in der Universität Stuttgart statt.

Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung allerdings erforderlich, und zwar unter forumbildung@stn.zgs.de (bitte die vollständige Adresse angeben).

www.stuttgarter-nachrichten.de/thema/forum_bildung