Lewis Hamilton (li.) und Nico Rosberg: Die Silberpfeil-Piloten trennt mehr als sie eint Foto: dpa

Der erbitterte Kampf um die Formel-1-WM zwischen den Silberpfeil-Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton erschüttert den Rennstall - und könnte letztlich den WM-Triumph von Mercedes gefährden.

Stuttgart - Toto Wolff könnte ein rundum glücklicher Mann sein im Spätsommer 2014. Er könnte sich im Formel-1-Werk von Mercedes in Brackley in eine bequeme Lounge setzen, sich etwas Feines zum Trinken ordern und die Ranglisten der Formel 1 genüsslich studieren. In der Fahrer-WM stehen die Namen Nico Rosberg und Lewis Hamilton ganz oben, beide in Diensten von Mercedes; auch in der Konstrukteurs-WM thront der Stern über allem. 411 Punkte für Mercedes, Titelverteidiger Red Bull folgt im Respektabstand mit 254 Zählern. Auf den ersten Blick setzt die Formel-1-Abteilung von Mercedes den Werbeslogan der Premiummarke konsequent um: Das Beste oder nichts!

Dennoch halten sich beim Mercedes-Motorsportchef hartnäckig die Sorgenfalten auf der Stirn, selbst wenn er die WM-Resultate im Blick hat – sein Team fährt zwar vorneweg, aber leider nicht auf der Ideallinie. Der Österreicher – und mit ihm Team-Aufsichtsratschef Niki Lauda sowie Daimler-Konzernlenker Dieter Zetsche – haben das, was gemeinhin als Luxusproblem bezeichnet wird. Sie haben zwei erstklassige Rennfahrer unter Vertrag, die genau das tun, wofür sie mit Dollar-Millionen überschüttet werden: Sie fahren schnell, sie wollenWeltmeister werden – mit allen Mitteln, unter allen Umständen. Weil ein Sportprofi nur erfolgreich ist, wenn er zum Können ein kerngesundes Selbstbewusstsein besitztsowie einen ausgeprägten Drang zumEgoismus, kämpfen die Silberpfeil-Piloten weniger gegen die unterlegenen Konkurrenten, die im Red Bull, im Williams oder im Ferrari sitzen, sondern eigentlich gegeneinander.

Erbitterter Zweikampf der Fahrer kann den WM-Triumph von Mercedes gefährden

Und darin liegt das Dilemma. Denn der erbitterte Zweikampf der Fahrer kann den WM-Triumph der Marke gefährden, wenn sie sich wie beim Rennen in Belgien ins Auto rasen und so einen sonst wohl unvermeidlichen Doppelsieg hergeben. Wichtige Punkte verschenkt und, was die Daimler-Strategen mindestens genauso schmerzt, die Marke vor Millionen TV-Zuschauern in aller Welt Hohn, Spott und Schadenfreude preisgegeben. „Wir müssen in Zukunft sicherstellen, dass so etwas nicht mehr passiert“, polterte Toto Wolff direkt nach dem Grand Prix.

Schließlich hat Mercedes seit dem Wiedereinstieg als eigenständiger Rennstall viele Millionen Euro investiert, pro Jahr sollen es zwischen 50 und 60 Millionen gewesen sein. Macht seit 2010 mindestens 250 Millionen Euro. Die ersten drei Jahre waren von Pleiten und Rückschlägen geprägt – wenn über die Silberpfeile berichtet wurde, dann fast ausschließlich mit negativem Unterton, so dass Stimmen im Daimler-Konzern forderten, die Rennsport-Abteilung zu schließen. 2013 setzte der dringend benötigte Aufschwung ein, und nun, da Mercedes endlich zum Branchenführer der Formel 1 aufgestiegen ist, wird dieses Bild gleich von unschönen Begleiterscheinungen verwässert. Das Einbringen der Ernte wird durch die Ego-Trips von Mister Hamilton und Herrn Rosberg erschwert. Das darf nicht sein, also muss die Teamführung eingreifen. Wenn das nur so einfach wäre, wie einen Boxenstopp innerhalb von drei Sekunden fehlerfrei zu absolvieren.

Denn es seien sowieso schon Fehler passiert. Eddie Jordan meint, dass Toto Wolff und Niki Lauda viel zu spät dran seien. „Sie haben die Kontrolle über den internen Zweikampf schon verloren“, stellt der ehemalige Formel-1-Teamchef fest, „so etwas wie in Spa hätte nie passieren dürfen.“ Warum? Weil sich Hamilton in Ungarn einer Anweisung vom Kommandostand widersetzt hatte und ohne Maßregelung davongekommen ist. „Wer einen Befehl nicht befolgt, der bricht die Regeln“, sagt der Ire und verweist auf die Umgangsformen, die in seinem Team von 1991 bis 2005 herrschten: „Mir war egal, wer gewinnt – Hauptsache Jordan. Der Erfolg des Teams ist immer wichtiger als der Erfolg von Individuen. Piloten, die ich bezahle, haben das zu machen, was ich sage.“

Stallorder? „Würde nie im Leben funktionieren"

Eddie Jordan steht mit seiner drastischen Sicht der Dinge nicht alleine da. Auch Christian Danner, einstiger Formel-1-Rennfahrer und seit Jahren Experte am RTL-Mikrofon, vermutet ebenfalls, dass Mercedes nicht mehr in eine Oase für Harmonieliebhaber verwandelt werden kann. „Das Kind ist längst in den Brunnen gefallen“, sagt der Münchner, „ich verstehe, dass Wolff und Lauda irgendwie wieder Ruhe reinbringen wollen in diesen Zirkus – aber ich bin der Meinung, das wird ihnen nicht gelingen.“

Versuchen müssen es die Österreicher dennoch. Nun sind Wolff und Lauda keine Berufsanfänger im PS-Business und wissen leider ganz genau, dass sich die Lösung nicht so simpel darstellt, wie sie Eddie Jordan postuliert. Stallorder? „Würde nie im Leben funktionieren, das haben wir ja schon gesehen“, versichert Christian Danner. Mercedes ist kein Inhaber-geführter Rennstall wie einst Jordan Racing, in dem der Patron autokratisch alle wichtigen Entscheidungen trifft, ohne Rücksicht auf Frustrationen. Mercedes muss als Daimler-Konzerntochter zahlreiche Interessen gegeneinander abwägen, und die Beförderung eines Piloten zur Nummer eins würde mehr negative als positive Aspekte mit sich bringen. Also haben sich Wolff und Lauda am Freitag entschieden, beiden Fahrern weiterhin freie Fahrt zu gewähren – verbunden mit der strengen Auflage, zwischen den Autos einen entsprechenden Respektabstand zu lassen, damit eine Berührung ausgeschlossen ist. Und Rosberg, der die Schuld für den Vorfall auf sich genommen und sich entschuldigt hat, erhält eine interne Strafe; was genau sich dahinter verbirgt, behielt Mercedes für sich.

Doch mit diesem Beschluss hat der Rennstall seine Probleme längst nicht im Griff, geschweige denn gelöst. Die WM-Duellanten werden sich weiter misstrauisch beäugen, in der Box werden die Mechaniker und Ingenieure der Rosberg-Fraktion argwöhnisch zu denen der Hamilton-Gruppe schielen. Mercedes steht vor der Zerreißprobe. Nur durch größtmögliche Transparenz, so meinte Wolff noch vor dem Belgien-Unfall, sei eine Gleichbehandlung möglich. Im Grunde kommt Mercedes wegen der Glaubwürdigkeit gar nicht umhin – den Teamgeist-Gedanken transportiert die Marke nicht nur in der Formel 1, sondern er wird im Fußball mit der deutschen Nationalmannschaft und im Reitsport als Werbebotschaft versendet. Freie Fahrt bei Mercedes: Hätte das Team anders entschieden, würde Toto Wolff als Wendehals dastehen. Kürzlich hatte der 42-Jährige in einer flammenden Rede beklagt, die Formel 1 rede sich schlecht, sie sei aber interessant und hochwertig. Es wäre ein Affront gewesen, wenn der Motorsportchef nun das Gegenteil seiner Worte praktiziert hätte – und durch eine Stallorder der Formel 1 die letzte Brisanz geraubt hätte.

Bis zum Saisonfinale am 23. November in Abu Dhabi sind Wolff und Lauda gefordert. Einerseits will das Team die Attraktivität der Serie wahren und das Image eines wettbewerbsorientierten Unternehmens weiter polieren. Andererseits möchte niemand den Rennstall in zwei Lager spalten und das Erreichen der Ziele gefährden, die Fahrer- und die Konstrukteurs-WM zu gewinnen. Vielleicht kommt im Spätherbst ja noch der Tag, an dem sich Toto Wolff im Formel-1-Werk von Mercedes in Brackley in eine bequeme Lounge setzt, sich etwas Feines zum Trinken ordert und rundum glücklich ist.