Toto Wolff ist seit Februar 2013 Mercedes-Motosportchef Foto: Baumann

Seit rund einem Jahr ist Toto Wolff Mercedes-Motorsportchef – seitdem geht es für in der Formel 1 für die Silberpfeile aufwärts. Natürlich will der Österreicher bald einen Titel gewinnen, doch er hat bei Mercedes viel mehr vor.

Stuttgart - Diese Frage musste ja kommen. Toto Wolff ist klar, als er am Redaktionstisch unserer Zeitung Platz nimmt, dass er früher oder später gefragt werden würde: „Wird Mercedes in der Saison 2014 Formel-1-Weltmeister?“ Es ist die zweite Frage. Und der Mercedes-Motorsportchef neigt mit einem schelmischen Grinsen den Oberkörper vom neben ihm sitzenden Fragesteller weg. „Natürlich spüre ich schon hier diesen großen Druck“, sagt er, lächelt noch einmal übers ganze Gesicht und antwortet mit viel Seriosität in der Stimme: „Dieser Ansporn ist da. Wir waren 2013 Vizeweltmeister, wir haben die Testfahrten sehr gut abgeschlossen, wir besitzen die nötigen Ressourcen und zwei der besten Rennfahrer des Feldes. Wir sind siegfähig und können um den Titel fahren – aber schon heute davon zu reden, das wäre gegenüber unseren Gegnern arrogant.“

Toto Wolff findet die verbale Ideallinie, die kerngesundes Selbstbewusstsein dokumentiert, aber nicht in überhebliche Großspurigkeit abdriftet. Selbstherrliche Töne kann und würde sich niemand im Team von Mercedes erlauben – nach der Rückkehr als Werkteam in die internationale Hochgeschwindigkeits-Branche 2010 huschte der Silberpfeil wie eine graue Maus drei Jahre lang im Mittelfeld herum. Kritiker forderten, die Autos abzumelden.

Konzern-Lenker Dieter Zetsche erhörte sie nicht, es gab Ende 2012 einen massiven Schnitt, dem auch der langjährige Motorsport-Chef Norbert Haug zum Opfer fiel, und den Neustart mit Toto Wolff. Der gebürtige Wiener hatte günstigere Vorgaben. Unter dem Schwaben Haug musste gespart werden, der Österreicher durfte investieren. Ferrari und Red Bull hatten die anvisierten Budget-Obergrenzen lässig ignoriert, an die sich Mercedes politisch korrekt hielt. „Das Team hat zu lange die Augen verschlossen“, sagt Wolff, „die Vernunft bei den anderen kehrte nicht ein. Mercedes war 2012 nicht so aufgestellt, als dass die Mannschaft um den Titel hätte mitfahren können.“ Ein Satz zur Ehrenrettung für den Vorgänger.

Am Steuer von Mercedes-Motorsport bewies der heute 42-Jährige schnell, dass er nicht nur als Investment-Manager, sondern auch als Motorsport-Beauftragter ihm anvertrautes Geld an den richtigen Stellen einsetzt. Mercedes rüstete auf, holte hochkarätige Ingenieure, installierte Formel-1-Legende Niki Lauda als Rennstall-Aufsichtsratschef und setzt von dieser Saison an auf eine Doppelspitze mit Wolff und den von McLaren losgeeisten Paddy Lowe. „Er ist für die Technik zuständig und ich für die Rahmenbedingungen“, erläutert Wolff und setzt wieder sein charmantestes Lächeln auf, als er gefragt wird: „Und wer hat das letzte Wort?“ „Eine verzwickte Frage“, entgegnet der Österreicher und würzt seine Antwort wieder mit einer Portion Schmäh: „Wissen Sie, wenn ich mich als Nicht-Techniker und Amateur-Rennfahrer in die Technik einmische, endet das in einer Katastrophe.“ So überaus elegant drückt man sich um eine präzise Antwort; und niemand am Tisch nimmt es im wirklich übel.

Wolff krempelt die Ärmel seines Hemdes bis zu den Ellbogen zurück, jetzt ist sein Motor im Gespräch auf Betriebstemperatur gekommen – oder ist ihm bei der Frage nach dem aktuellen Budget etwas zu warm geworden? Denn noch hat der Daimler-Konzern von der Europäischen Zentralbank keine Lizenz fürs Gelddrucken bekommen. „Ich hole mir stets eine blutige Nase oder ein blaues Auge, wenn ich bei diesen Verhandlungen bin“, erzählt er – Wunsch und Wirklichkeit klaffen auch bei Mercedes-Motorsport wie in vielen anderen Unternehmen auseinander. Exakte Beträge nennt Wolff natürlich nicht, es gibt unzählige Geheimnisse in der Formel 1, die über rein technische Daten hinausgehen. Schätzungsweise 270 Millionen Euro kostet das gesamte jährliche Formel-1-Engagement des Rennstalles, dem Vernehmen nach kommen knapp 50 Millionen Euro vom Konzern. Den Löwenanteil decken Sponsorengelder und vertragliche Zuwendungen aus dem Topf des Rechtehändlers Bernie Ecclestone.

„Wir sind beim Budget die Nummer drei, eher sogar die Nummer vier“, betont der Mann, der mit Investment-Geschäften wohlhabend geworden ist. Team-Weltmeister Red Bull wird auf einen Saisonetat von 425 Millionen Euro taxiert, Ferrari auf 410 Millionen Euro, McLaren wird auf eine ähnliche Größenordnung wie Mercedes geschätzt. „Was Daimler beisteuert“, so verdeutlicht der Leitende Angestellte eines seiner Ziele, „soll weiter heruntergefahren werden – mittelfristig sogar bis auf null.“

Toto Wolff trägt das Herz auf der Zunge

Denn unterm Strich, da will der Manager mit höchst verbindlicher Miene keinen Zweifel aufkommen lassen, lohne sich die Formel 1 für Mercedes – er nennt die Zahl 750 Millionen Euro; so hoch sei der Marketing-Gegenwert für den Konzern. Das bedeutet: Um denselben Effekt wie mit dem Formel-1-Engagement zu erzielen, müsste der Konzern eine dreiviertel Milliarde Euro ins Marketing stecken. „Der Kosten-Nutzen-Faktor stimmt“, unterstreicht Wolff.

Umso mehr, wenn die Silberpfeile von Lewis Hamilton und Nico Rosberg regelmäßig um Siege mitkämpfen und so die positiven Eigenschaften der Marke ins mediale Rampenlicht rücken. Zwischen 2010 und 2012 häufte sich die Kritik, gerade im eigenen Haus nutzte die Opposition jede Panne und jeden Patzer, um die Forderung zu untermauern, die Silberpfeile wie anno 1955 einzumotten. „Jedesmal, wenn wir aufs Podium kommen, tun wir der Marke etwas Gutes“, betont Wolff, „mit dem Erfolg steigt auch in der Belegschaft die Akzeptanz.“ Er will einen Team-Spirit erzeugen, ein Gemeinschaftsgefühl aller Daimler-Mitarbeiter schaffen. In der Formel-1-Fabrik in Brackley, seinem Dienstsitz, hat er damit begonnen – und die internationale Belegschaft zieht mit. Jeder ist stolz, für Mercedes in der Formel 1 zu arbeiten. Wolffs Traum: „Alle 300 000 Beschäftigten weltweit identifizieren sich mit diesem Thema.“ Und als er den unerfüllbaren Anspruch erkennt, schiebt er mit einem breiten Grinsen nach: „Fast alle.“

Der Mercedes-Mann sitzt nicht mit zusammengekniffenen Lippen am Redaktionstisch, er wägt nicht jeden Satz im Geiste dreimal ab, bevor er ihn ausspricht. Aber er ist ein listiger Wolff. Er nimmt manchen Worten Schärfe oder Wucht, indem er sein charmantes Lächeln oder einen Spaß als Nachwort serviert. Manchmal trägt er das Herz auf der Zunge, dann erschrickt er selbst über das, was aus ihm heraussprudelt. So wird er mit der Aussage konfrontiert, in der er einst meinte, „letzten Endes mischt Mercedes in der Formel 1 mit, weil mehr Autos verkauft werden sollen“. Auf die aktuellen Rekord-Absatzzahlen der Pkw-Sparte angesprochen, hellen sich alle Gesichtszüge auf und er ruft triumphierend: „Sehen Sie! Es funktioniert!“ Als er spürt, dass die Redakteure am Tisch seinen Spaß als solchen eingeordnet haben, kann er über den gelungenen Lacher ebenfalls genüsslich schmunzeln.

Und gleich legt Wolff den Schalter wieder auf Seriosität um, es spielten die Kunden fraglos eine wichtige Rolle für das millionenschwere Engagement. Es geht ums Image. Der Motorsportchef ist überzeugt, dass „die Marke Mercedes durch Siege noch sportlicher wahrgenommen wird als bislang“ und dass „der langfristige Prozess einer positiven Image-Positionierung auch den Umsatz steigern wird“. Um flugs die Tragweite dieser Aussage wieder mit einem kleinen Späßchen zu relativieren: „Ich sage das, auch wenn ich nur ein halber Marketing-Experte bin.“

In der Formel 1 kennt er sich aus, da kann er die Chancen seiner Mannschaft einschätzen. Mercedes hat das nötige Personal, besitzt Anlagen und Technologien, um auch für die Formel 1 ein Premiumfahrzeug zu bauen. „Unsere Fahrer können Weltmeister werden, wenn wir ihnen das richtige Auto hinstellen“, sagt Wolff, „wenn unsere Maßnahmen richtig greifen, werden wir Weltmeister.“

Diesen Satz lässt er stehen, ohne ihn mit einem Lächeln zu verwässern. Er hat ja nicht gesagt, ob 2014 oder 2015.