McLaren-Fahrer Jenson Button jubelt über seinen Formel-1-Auftaktsieg in Melbourne. Teamkollege Lewis Hamilton kann sich über seinen dritten Platz nicht wirklich freuen Foto: AP

McLaren setzt auf die Gleichberechtigung seiner Fahrer – das könnte auch nach hinten losgehen.

Melbourne - Der Zweite ist der erste Verlierer – so wird es in der Formel 1 häufig dargestellt. Wenn schon der Zweite ein Verlierer ist, muss das Wort Drittplatzierter eigentlich eine freundliche Umschreibung für einen totalen Versager sein. Wer das Gesicht von Lewis Hamilton gesehen hat, als der nach dem Großen Preis von Australien oben auf dem Podium starr wie eine Rodin-Plastik ins Leere blickte, der könnte gespürt haben, dass sich der Dritte dieses Rennens gerade tatsächlich wie ein Nichtskönner fühlte – denn Jenson Button hatte triumphiert, ausgerechnet der Teamkollege, den es gemäß Formel-1-Knigge als Ersten zu schlagen gilt. Schließlich setzte McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh noch einen drauf, er lobte Button über den grünen Klee: „Jenson wurde im Winter immer stärker und stärker – er darf jetzt daran glauben, in dieser Saison eine echte Titelchance zu haben.“

Nach dem Saisonauftakt der Eliteliga des Motorsports am vergangenen Sonntag scheint klar: 2012 werden die beiden McLaren-Piloten Button und Hamilton die erbittertsten Jäger von Red-Bull-Weltmeister Sebastian Vettel und dessen Teamkollegen Mark Webber sein. Die erste Trophäe hat sich Button in Melbourne bereits gesichert, doch den Mitgliedern von Whitmarshs munterer Jagdgesellschaft aus Woking ist klar, dass das Fell des roten Bullen nach Rennen eins von 20 noch längst nicht verteilt werden kann. „Wenn sich die Tendenz von Australien bestätigt“, sagt der Teamchef aber ganz unbescheiden, „dann haben wir auch in Malaysia gute Karten.“ Bereits an diesem Sonntag (10 Uhr MESZ/RTL) steht der Große Preis in Sepang auf dem Terminplan.

Jenson Button befindet sich nach seinem 13. Grand-Prix-Sieg auf Wolke sieben. Sein mit den Händen geformtes W für das englische Winner sah zwar eher kläglich aus, auf der Strecke hatte er aber keine Zweifel gelassen: Der Vizeweltmeister befindet sich in der Form seines Lebens, sein Auto ist eine spitze Waffe im Kampf um Tausendstelsekunden – erstmals seit dem 15. Mai 2010 übernahm Button wieder die WM-Spitze. Der überraschende WM-Erfolg 2009 mit Brawn-GP hat aus dem damals 30 Jahre alten Engländer einen anderen Rennfahrer gemacht – er ist locker, fast immer gut gelaunt, und er scheint es auch zu genießen, sich mit Model-Freundin Jessica Michibata in der Öffentlichkeit zu zeigen. „Man darf nicht den Fehler machen“, bemerkt aber sein Vorgesetzter Whitmarsh, „aus seiner Art zu schließen, dass er nicht um jeden Preis den Erfolg will.“

McLaren bläst zum Angriff

Den will Hamilton ebenfalls, und der Champion von 2008 hat in der vergangenen Saison deshalb weder sich noch seine Mitmenschen geschont. Zahlreiche Unfälle und unbeherrschte Aktionen, vor allem gegen Ferrari-Mann Felipe Massa, brachten ihm den Ruf eines Pisten-Rambos ein. Daher hat der 26-Jährige Mika Häkkinens ehemaligen Ratgeber Didier Coton verpflichtet, er soll ihn zurück auf den richtigen Weg führen; der Belgier wird Hamilton nach einem Jahr voller sportlicher und privater Probleme als Seelsorger und Berater zur Seite stehen. Außerdem hat sich der Rennfahrer mit Ex-Freundin Nicole Scherzinger versöhnt – neuerliche Liebe nicht ausgeschlossen, die Musikerin fieberte in Melbourne in der McLaren-Box mit. Leider vergeblich. Ob die Wandlung vom Saulus zum Paulus gelingt, darauf kann noch gewettet werden.

Dass Hamilton nach dem Rennen emotionslos wie ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle dreinblickte, will Whitmarsh nicht überbewerten. „Das ist doch ganz normal“, sagt der Brite, „der Sieger strahlt, der Verlierer ist enttäuscht. Würde er sich über ein verlorenes Teamduell freuen, wäre er nicht der Lewis, den wir haben wollen.“ Mit diesen Worten ist der interne McLaren-Zweikampf eröffnet, was nicht unbedingt ein Vorteil bei der Jagd auf Vettel und Red Bull sein muss. 2007 lieferten sich Fernando Alonso und Hamilton einen so erbitterten Stallkrieg, dass Kimi Räikkönen heimlich den Titel im Ferrari stibitzte. Auch die Intrigen in den 1980ern zwischen den McLaren-Stars Ayrton Senna und Alain Prost waren nicht immer leistungsfördernd. „Ich bin die Nummer eins im Team“, sagte Button bereits vor einiger Zeit selbstbewusst, „Lewis sieht sich selbst ebenfalls als Nummer eins. Wir haben anscheinend zwei Nummer-eins-Fahrer.“

McLaren bläst zum Angriff. Zwei Toppiloten und ein Auto, das für eine langdauernde Jagd bestens geeignet ist – Sebastian Vettel muss in diesem Jahr das Letzte aus sich und seinem Red Bull herausholen.