Wer bleiben darf, soll möglichst schnell die deutsche Sprache lernen: Flüchtlingskind in einem Wohncontainer Foto: dpa

Die Reaktionen auf die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels vom Montag fallen überwiegend positiv aus. Zufrieden sind die Kreise allerdings nicht, dafür halten sie das Bauprogramm für viel zu klein. Auch die Arztkosten drücken sie - die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was hat der Flüchtlingsgipfel vereinbart?
Das Land machte einige Zusagen. So will es 30 Millionen Euro für ein Sonderbauprogramm ausgeben. Es sollen 3000 zusätzliche Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen entstehen, außerdem soll zusätzliches Personal verfügbar sein. Den Kreisen wird eine Erhöhung der Pauschale (derzeit 12 566 Euro pro Flüchtling) in Aussicht gestellt. Als Sonderkontingent will das Land außerdem bis zu 1000 sexuell missbrauchte Frauen aus dem Irak und Syrien aufnehmen. Die steigenden Flüchtlingszahlen erfordern nach Ansicht der grün-roten Landesregierung von allen gesellschaftlichen Kräften mehr Engagement. „Wir sind erst am Anfang der Reformen“, sagte Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD).
Wer soll die Flüchtlingsheime bauen?
„Unsere Mitgliedsunternehmen stehen bereit“, heißt es beim Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Zunächst soll der Finanzminister aber dem Kabinett ein Konzept dazu vorlegen. Der Landkreistag ist ohnehin skeptisch. 30 Millionen, verteilt auf zwei Jahre, seien keine wirkliche Entlastung, sagte Präsident Joachim Walter.
Kann man die Kreise gleichmäßig belasten?
Bisher werden die Flüchtlinge nach der Bevölkerungszahl der Kreise verteilt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schließt aber nicht aus, dass man auch andere Kriterien zugrunde legt, so etwa die Unterbringungsmöglichkeiten. Integrationsminister Öney schlägt dazu eine sogenannte Pooling-Lösung vor. Dabei würden sich die Landkreise gegenseitig aushelfen: „Da müssten sich aber die Kreise untereinander verständigen.“ Solche Alternativen habe der Landkreistag aber noch nicht vorgeschlagen.
Was wird vom Bund erwartet?
Er soll die Maßnahmen des Asylrechtskompromisses zügig umsetzen. Dazu zählt die Erlaubnis, Asylbewerber in Gewerbegebieten unterzubringen, aber auch die Aufhebung des strengen Arbeitsverbots. Flüchtlinge sollen künftig nur noch drei Monate warten müssen. Der Bund soll auch die Finanzierung der Integrationskurse sicherstellen. Eine Forderung von Kretschmann lautet außerdem, dass der Bund die Gesundheitskosten für die Flüchtlinge übernimmt.
Wie hoch sind die Gesundheitskosten?
Der Landkreis Tübingen rechnet vor: Für seine 570 Flüchtlinge sind in den ersten acht Monaten des Jahres Gesundheitskosten von 453 000 Euro aufgelaufen, denen aber nur 54 000 Euro aus den Pauschalen gegenüberstehen. So beträgt laut Landrat Joachim Walter das Defizit bereits Ende August rund 400 000 Euro. Allein die Behandlung eines an Blutkrebs erkrankten Siebenjährigen habe mit 300 000 Euro zu Buche geschlagen.
Wann können Flüchtlinge arbeiten?
Selbst wenn die rechtliche Basis dafür besteht: Ohne Sprachförderung und Qualifizierung läuft nichts. Das Problem ist aber, dass die Integrationskurse, die der Bund bezahlt, zu wenig Plätze haben. Das Land will darüber mit dem Bund reden. Vorgesehen ist außerdem, dass die Qualifikationen der Flüchtlinge bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen ermittelt werden. Rund 30 Prozent von ihnen, so schätzt die Bundesagentur für Arbeit, könnten als Fachkräfte arbeiten. Etwa 9000 Jugendliche kommen für die duale Ausbildung infrage.
Was passiert mit den Flüchtlingskindern?
Sie sollen möglichst schnell Deutsch lernen. Das Land beteiligt sich deshalb an der von 400 Trägern organisierten Sprachförderung für Grundschulkinder. Vorgesehen sind außerdem zusätzliche Mittel für den vorschulischen Bereich in Höhe von 1,2 Millionen Euro für 2015 und 2016.
Was ändert sich bei der Erstaufnahme?
Bisher gibt es nur die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe (Lea). Noch im Oktober soll aber Meßstetten in Betrieb gehen. Auch für Ellwangen ist eine Lea geplant, die im Februar in Betrieb geht. Künftig sollen in allen vier Regierungspräsidien solche Einrichtungen arbeiten. Über die Zahl der Plätze sagte Öney: „Mindestens 4500 plus x.“ Daneben sind 3000 Plätze als Puffer vorgesehen. Die Kreise, aber auch Stuttgarts OB Fritz Kuhn fordern, dass alle Lea mit Kompetenzen wie in den früheren Bezirksstellen für Asyl ausgestattet sind, also auch mit Entscheidern über Asylverfahren.
Was kostet das alles das Land?
Insgesamt sind 800 Millionen Euro im Doppelhaushalt 2015/16 vorgesehen. Außerdem soll es einen finanziellen Puffer von 149 Millionen pro Jahr geben.
Warum gibt es ein Frauen-Sonderkontingent?
Über die Aufnahme von bis zu 1000 sexuell missbrauchten Mädchen und Frauen aus Syrien und dem Irak laufen noch Gespräche mit dem Bundesinnenministerium. Diese müssten eine besondere Betreuung bekommen, da sie schwer traumatisiert seien, sagte Kretschmann. Wo genau sie untergebracht werden sollen, ist noch offen. Der Flüchtlingsrat fordert, die Trauma-Zentren müssten mehr Geld erhalten, es gebe heute schon Wartezeiten von bis zu neun Monaten.
Was sagt die Opposition zum Gipfel?
CDU-Fraktionschef Peter Hauk forderte, den Worten müssten nun Taten folgen – und zwar schnell. Er will einen Aktionsplan bis Mitte Dezember. Sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke begrüßte den konstruktiven Dialog, erwartet aber, dass Kretschmann zügig mit Lösungsvorschlägen für die Kostenerstattung auf die Kreise zugeht. CDU-Landeschef Thomas Strobl sprach sich dafür aus, ausreisepflichtige Ausländer konsequenter abzuschieben, um den tatsächlich Verfolgten besser helfen zu können.
Gibt es auch Vorstöße in Richtung EU?
Unter den 30 Teilnehmern des Flüchtlingsgipfels war auch ein hoher EU-Beamter. Dieser erklärte laut Öney, nicht alle EU-Länder seien bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, insbesondere die osteuropäischen Länder zögerten. Vier Länder nähmen derzeit 60 Prozent aller Flüchtlinge auf. Die Bereitschaft Brüssels, einen einheitlichen Schlüssel für die Aufnahme einzuführen, wird aber skeptisch beurteilt. Die Bundesregierung hat offenbar Sorge, dass Deutschland am Ende noch stärker belastet wird.
Wie geht Stuttgart mit Flüchtlingen um?
Die Landeshauptstadt bringt seine (derzeit 2245) Flüchtlinge dezentral in möglichst allen Stadtbezirken unter. Derzeit gibt es 67 Unterkünfte, darunter zwei Systembauten. Weil man mit weiteren Flüchtlingen rechnet, sollen weitere solche Systembauten errichtet werden.