Mit der Slider-Ansicht kann man im Netz zwischen alt und neu wechseln. Foto: StZ/StN

Unsere neue Luftbild-Serie „Stuttgart von oben“ schärft den Blick für den Flächenverbrauch. Es wäre gut, meint Kommentator Uwe Bogen, wenn sie Diskussionen über Stadtentwicklung und Naturschutz auslöst.

Stuttgart - Mit Abstand ist die Welt von oben am schönsten. Hätten wir Flügel, um abzuheben, könnten wir es den Vögeln gleichtun und aus ihrer Perspektive den Überblick gewinnen, der uns unten oft verloren geht.

Schwebend in der Luft wirkt alles leichter. Die Distanz hilft, Dinge besser einzuordnen. Reinhard Mey hat es gewusst und sich doch geirrt. Wird tatsächlich alles nichtig und klein, was uns groß und wichtig erscheint? Die öffentlich noch nie gezeigten Luftaufnahmen des Stadtmessungsamtes, die wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in unserer neuen Serie „Stuttgart von oben“ bieten dürfen, sind ohne Zweifel ein Genuss. Doch der Vergleich der Ansichten von 1955 und 2015 verdeutlicht, dass sich im Laufe der Jahrzehnte etliches im Ballungsraum zu sehr geballt hat. Das sorgenfreie Gefühl am Horizont mag sich nicht immer einstellen. Stuttgart und sein Umland sind zusammengewachsen, die Natur hat verloren, der berühmte Flächenfraß wird sichtbar. Vor allem Stadtränder und Speckgürtel haben sich verdichtet. Einst kleine Gemeinden sind heute eng mit der Metropole verflochten. Politisch müsste man noch enger zusammenrücken, um Mobilitätspläne und vieles mehr zu entwickeln.

Nach dem Krieg war schnelles Aufbauen wichtig

Wer seine Heimat von der Luft aus erforscht, kann sich ausmalen, was passiert, wenn die Entwicklung der vergangenen 60 Jahre, die wir mit „Stuttgart von oben“ dokumentieren, ungebremst weitergeht, wenn immer noch mehr Grün zubetoniert wird. Doch verdankt eine boomende Wirtschaftsregion ihren Erfolg nicht gerade immer neuen Produktionsstätten? Sollte man nicht die Expansion zum Wohle der Arbeitsplätze dem Stillstand vorziehen? Nach dem Krieg war schnelles Aufbauen wichtig. Aufbruch und Erfindergeist haben uns weit nach vorne gebracht.

Die Bilder unserer Serie könnten neue Diskussionen über Stadtentwicklung und Naturschutz auslösen. Das Abwägen wird neu entfacht, wie weit man bauen darf, womöglich lieber in die Höhe als in die Breite, und wo man besser stoppen sollte.

Dass mit der Ausweitung der Gewerbegebiete der Bedarf an Wohnraum wächst, ist klar. Neue Messe, neue Straßen, neue Wohngebiete – in den nächsten Wochen werden wir mit historischen und heutigen Luftbildern den verbauten Fortschritt offenlegen, wie dies keine Google-Earth-Ansicht kann. Bei uns sind Zeugnisse der analogen Zeit zu sehen, die in Archiven schlummerten. Ein wahrer Schatz!

Ein Dankeschön an das Stadtmessungsamt

Bis 1990 bestand in Deutschland eine Genehmigungspflicht für Luftaufnahmen. Das Stadtmessungsamt ermöglicht es unserer Zeitung nun, diese Foto-Kostbarkeiten öffentlich zu machen, die Interessenten einzeln kaufen können. Die Behörde hat uns den kompletten digitalisierten Datensatz zur Verfügung gestellt. Ein Dankeschön an dieser Stelle!

Unsere Leserinnen und Leser können sich auf ausgewählte Quartiere der Stadt, Vororte, auf das Daimler-Werk, den Killesberg, den Hafen, den Flughafen, den Bahnhof, das Europaviertel und vieles mehr freuen. Im Internet lässt sich alles weiter vertiefen. Vielleicht entdecken Sie das Haus von oben, in dem Sie wohnen.

Fliegen wir also los! Von ganz oben ist Wunderbares zu sehen – wir sehen die Ästhetik und Geografie der Distanz. Wir können mit den Augen zum Stadtspaziergang und zur Zeitreise aufbrechen. Alles ist eine Frage des Standpunktes. Wer es schafft, von seiner gewohnten Perspektive abzurücken, wird Neues entdecken – und Altes anders gewichten können.

uwe.bogen@stzn.de