Stolz auf die „schwarze Null“: Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid. Foto: dpa

Vier Jahre ohne neue Schulden, beste Noten für die Kreditwürdigkeit, und die Reform des Finanzausgleichs ist auch in Sicht: Auf den ersten Blick glänzt die grün-rote Finanzpolitik. Doch man hätte auch sparsamer wirtschaften können.

Stuttgart - Für die Finanzpolitik hält sich die Koalition zugute, dass sie in vier von sechs Etatjahren keine neuen Schulden gemacht hat – und dies, obwohl die Personalkosten gestiegen und hohe Summen in Bildung und Infrastruktur geflossen sind: „Einmalig“ sei das in der Landesgeschichte, lobt sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Woher kam das viele Geld? Es ist eine Folge der guten Konjunktur, der Erhöhung der Grunderwerbsteuer und letztlich auch von zusätzlichen Krediten.

Welche Situation hat Grün-Rot 2011 vorgefunden?
Die Finanzkrise war überstanden, die Steuerquellen sprudelten wieder – und das gilt bis heute. Kamen anfangs 27,3 Milliarden Euro herein, so rechnet Finanzminister Nils Schmid für 2016 mit 34,5 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Allerdings erbte die Koalition auch 45 Milliarden Euro Altschulden. Allein für Zinsen sind jedes Jahr gut 1,7 Milliarden nötig. Hinzu kommen Pensionsverpflichtungen von 70 Milliarden. Grün-Rot lastet der Vorgängerregierung außerdem Versäumnisse bei der Sanierung von Straßen und Gebäuden sowie ein „strukturelles Defizit“ an.
Wo lässt sich der Etat überhaupt verändern?
Die Hauptausgaben des Landes lassen sich kaum verändern: Sie umfassen die Besoldung der 181 000 Landesbeamten und die Pensionen. Dieser Posten macht im Etat aktuell mehr als 36 Prozent aus – und wächst mit der Höhe der Tarifabschlüsse. Außerdem schlägt der Länderfinanzausgleich zu Buche: 2014 zahlte das Land dafür 2,4 Milliarden. Wenig variabel sind auch die Kosten für Flüchtlinge. 2015 und 2016 sind dafür allein 3,15 Milliarden eingeplant. Grün-Rot argumentiert, all diese Fixkosten seien der Hauptgrund, dass das Ausgabevolumen seit Regierungsantritt 2011 um rund 30 Prozent anstieg – auf aktuell 46,8 Milliarden Euro. Die Opposition hingegen spricht von einem aus dem Ruder laufenden Etat.
Wo hat Grün-Rot Duftmarken gesetzt?
Bereits im ersten „eigenen“ Haushalt 2012 hat Grün-Rot neue Akzente gesetzt. Da den Hochschulen die Studiengebühren fehlten (Grün-Rot hat sie abgeschafft), musste man 117 Millionen aus dem Landeshaushalt zuschießen. Darüber hinaus gab das Land 315 Millionen zusätzlich für die Kleinkindbetreuung aus – finanziert aus einer Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 1,5 Punkte auf fünf Prozent. Auch Kliniken und Hochschulen erhielten mehr Geld. Alles in allem war der Koalition der Wechsel 800 Millionen Euro wert – vorerst.
Was sind die größten Ausgabeposten?
Der Finanzminister wiederholt wie ein Mantra den Dreiklang „Konsolidieren, Sanieren, Investieren“. Bleiben wir bei Letzterem: In Bildung und Wissenschaft fließt das meiste Geld. So hat das Land mit den Hochschulen einen neuen Solidarpakt bis 2020 besiegelt, der 1,7 Milliarden Euro zusätzliche Grundsicherung und 200 Millionen Euro für Gebäude vorsieht. Andere Länder sorgen sich, ob sie da mithalten können. Weil behinderte Kinder das Recht haben, Regelschulen zu besuchen (Inklusion), sind außerdem 400 neue Lehrerstellen nötig: Macht weitere 25 Millionen Euro. Auch Gemeinschaftsschulen kosten zusätzliches Geld – auch wenn Grün-Rot versucht, dies kleinzurechnen. Hinzu kommen zweistellige Millionenkosten für den Nationalpark und für die Polizeireform. Wegen der Terrorgefahr hat Grün-Rot außerdem die Polizei aufgestockt – was den Rechnungshof zur Mahnung veranlasste: „Das Land kann nicht auf jedes Problem mit einer Stellenvermehrung antworten.“
Hat die Landesregierung auch irgendwo gespart?
Hier sind vor allem die Beamten zu nennen, deren Besoldung und Beihilfe gekürzt wurde. Tariferhöhungen wurden nur mit Verzögerung ausbezahlt. Schon zu Beginn der Regierungszeit sparte man bei den Staatsdienern so 130 Millionen Euro. Den größten Brocken wollte Grün-Rot eigentlich bei den Lehrern einsparen: Mehr als 11 600 Stellen standen bis 2020 zur Disposition. Doch dann korrigierten die Statistiker die Schülerprognosen um mehr als 80 000 nach oben. Außerdem erfordern Ganztagsschulen und die Inklusion zusätzliches Personal. Jetzt sollen nur noch 3100 Stellen wegfallen. Und die anderen Ministerien? Sogenannte Orientierungspläne sagen ihnen, wo sie sparen müssen. Im Doppelhaushalt 2015 und 2016 sollen so 960 Millionen Euro zusammenkommen. Den größten Einspareffekt erzielte Grün-Rot aber unfreiwillig: durch die historisch niedrigen Zinsen.
Waren überhaupt neue Schulden nötig?
2013 und 2014 nahm Grün-Rot drei Milliarden Euro zusätzlich am Kreditmarkt auf. Die Opposition, aber auch der Rechnungshof hielten das für unnötig. Acht der 16 Bundesländer zahlten damals immerhin schon Schulden zurück. Grün-Rot rechtfertigte das neuerliche Drehen an der Kreditschraube mit einer „Deckungslücke“ nebst mehreren unterfinanzierten Vorhaben der Vorgängerregierung. Das geliehene Geld wurde allerdings nie vollständig abgerufen, sondern als Rücklage im Etat verbucht.
Wann tritt Baden-Württemberg auf die Schuldenbremse?
„Schuldenbremse“ nennt man die Verfassungsvorgabe, dass Bund und Länder mit ihren Einnahmen auskommen müssen. Ab 2020 dürfen die Länder keine Kredite mehr aufnehmen. Damit die Rechnung aufgeht, fehlen im Südwesten aber noch jährlich zwei Milliarden Euro – auch wegen der Ausgaben für Flüchtlinge. Bisherige Einspareffekte wirken zwar mit rund 1,6 Milliarden Euro, und das Land hat auch die gute Kassenlage genutzt, um Rücklagen zu bilden – so hat sie 2016 mehr als eine halbe Milliarde auf der hohen Kante. Doch das wird nicht reichen. Der Rechnungshof meint jedenfalls: „Eine aktive Haushaltskonsolidierung findet noch nicht in ausreichendem Umfang statt.“
Wie lange drückt der Finanzausgleich noch?
Baden-Württemberg ist eins von derzeit vier Zahlerländern. Jedes Jahr fließen zwei bis drei Milliarden Euro seiner Einnahmen in das Verteilsystem. Jahrelang haben die Länder erfolglos versucht, sich auf einen neuen Mechanismus zu einigen, und sich gegenseitig mit Klagen bedroht. Kurz vor Weihnachten präsentierten die Regierungschefs dann aber einen Kompromiss. Baden-Württemberg soll nach dem neuen Modell um jährlich eine Milliarde Euro entlastet werden. Der Haken daran: Der Bundesfinanzminister hat noch nicht zugestimmt.