Bringt alle Kraftreserven auf, um es ans Ziel zu schaffen: Leonardo DiCaprio in einer Szene von "The Revenant - Der Rückkehrer". Foto: 20th Century Fox

Mitreißend und gewaltig: Leonardo DiCaprio kämpft sich in „The Revenant“ von Regisseur Alejandro González Iñárritu zurück ins Leben.

Stuttgart - Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) tut, was in den 1820ern mitunter üblich war: Er arbeitet als Trapper, legt Fallen aus, jagt Pelztiere. Zudem scoutet er, um seine Truppe an skalpierenden Indianerstämmen vorbei zu lenken. Sohnemann Hawk (Forrest Goodluck) ist ebenfalls Teil der Crew. Dessen Aussehen verrät, dass die Mutter eine der Native Americans war, mit denen sich der Vater so viel besser auskennt als die Kollegen.

Bei einer einsamen Erkundungstour trifft Glass auf eine Bärin. Aus Angst um ihre Jungen fällt sie den Fremden an. Sie zerbeißt ihm den Nacken, schlägt ihn nieder, reißt ihm die Muskeln vom Knochen. Kurz: Sie richtet ihn dermaßen zu, dass es für einen Geier keinen Grund gäbe zu warten. Glass überlebt zwar, doch bewegungsunfähig und fast ohnmächtig stellt er für die anderen eine extreme Belastung dar. Der Scheintote bleibt allein zurück.

Eine Wahnsinnsszene! All die Reputationsarbeit, die Balu, Puh und Yogi über Jahrzehnte geleistet haben – dahin in ein paar Sekunden! „The Revenant“ erweist den Comichelden einen echten Bärendienst. Einem solchen Vieh will man nie mehr über den Weg laufen. Der geniale „Birdman“-Regisseur Alejandro González Iñárritu hat mit dieser Grizzlyattacke ein sich einbrennendes Kinoerlebnis geschaffen. Gespenstisch ruhig harrt die Kamera aus, während das Raubtier den hilflosen DiCaprio fleddert. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lässt es von ihm ab.

Die Drehrarbeiten waren eine Tortur

Die wahre Geschichte hinter „The Revenant“ fasziniert. Irgendwie kämpfte sich dieser Hugh Glass schließlich doch zurück ins Leben. Aber wie? Genau da setzt Iñárritu an. Er hält drauf, wenn der Rückkehrer Wurzeln genießt und frisches Fleisch zernagt. Ihn interessiert der Weg, nicht das Ziel.

Großartiges liefert einmal mehr Kamerachef Emmanuel Lubezki: Im Gemetzel zwischen bogenschießenden Indianern und flintentragenden Eindringlingen dreht er gelassen die Perspektive, er latscht Flüchtenden gemächlich hinterher oder fliegt an Pferdeherden vorbei. In diesem unaufgeregten Blick auf das Brutale und den Nervenkitzel steckt brillante Kinematografie. Schnee und Regen garnieren die Aufnahmen. Kein Wunder, dass mancher Mitarbeiter Iñárritus kündigte: Der eigenwillige Regisseur ließ an Originalschauplätzen drehen, die Widrigkeiten nahm er in Kauf. Zum Höhepunkt der kuriosen Filmerschaffung untersagte er Produzent Jim Skotchdopole nach Scherereien, den Dreharbeiten beizuwohnen.

Und, ja, ja, sprechen wir drüber: Wird’s was mit dem Oscar für DiCaprio? Da er nun unter Iñárritu mimt, kann dem ewigen Zweiten der Triumph kaum noch zu nehmen sein, oder? Das Internet spottet schon, zeigt etwa besagten Grizzly mit der Academy-Awards- Trophäe und entschuldigendem Gesichtsausdruck à la „Sorry, Leo!“.

DiCaprio gibt alles

DiCaprio macht seine Sache jedenfalls anständig. Nebenakteure wie Tom Hardy, der den hinterlistigen, gerissenen John Fitzgerald gibt, gehen notwendigerweise unter. Die Dreifaltigkeit Lubezki, Iñárritu und DiCaprio trägt diesen Film. In mancher Aufnahme ringt der Protagonist mitreißend mit dem Tod. Schaum dringt durch seine Lippen, die Augen verabschieden sich in die Höhlen. DiCaprio gibt alles und formt Hugh Glass zu einer einmaligen Leinwandfigur. Allein: Diese Rolle erzwingt einseitiges Spiel. Man verfolgt hier schließlich einen Totgesagten, der halbverendet durch den bitterbös kalten Schnee stapft und sich an einen dünnen Lebensfaden klammert. Das schränkt den schauspielerischen Facettenreichtum ein.

Daraus folgt auch die einzige Schwäche des Streifens: Der 147-Minüter muss sich Monotonie vorwerfen lassen. Innerhalb der ersten Stunde verfeuert „The Revenant“ seine eindrücklichsten Momente. Mit der Glaubwürdigkeit dieser nun mal unglaublichen und vielfach überlieferten Geschichte schwindet auch die Spannung.

Glücklicherweise machen die spektakulären Bilder immer wieder Lust auf die nächste Einstellung. So verzeiht man, dass das höchst verwundete Häufchen Elend letztlich doch recht flott zur Ein-Mann-Büffelherde avanciert.

Wer’s pathetisch mag, sieht in „The Revenant“ auch den Kampf eines Darstellers, der wirklich alle Kraftreserven aufbringt, um es ans Ziel zu schaffen. Der in Tierkadavern nächtigt, durch fast zugefrorene Flüsse krault und rohe Bison-Leber mampft. Nicht auszudenken, sollte er erneut scheitern, welche Opfer er noch auf sich nehmen würde. Dann gebt dem Mann halt einfach das goldene Ding, Herrgott noch mal!