Emma Stone und Ramy Youssef in „Poor Things“ Foto: Atsushi Nishijima/Yorgos Lanthimos

Luc Bessons „Dogman“ erweist sich als Enttäuschung; auch „Ferrari“ mit Adam Driver als Sportwagengründer bleibt unbefriedigend. Nur „Poor Things“ mit einer großartigen Emma Stone strotzt unter den ersten Wettbewerbsfilmen nur so vor guten Ideen.

Durchwachsen hatten die Filmfestspiele in Venedig am Mittwoch ihren Anfang genommen, sowohl was die filmische Qualität als auch das Wetter angeht. Und nur an letzterem hat sich inzwischen Wesentliches geändert: Die Sonne ist am Lido inzwischen längst im Dauereinsatz.

Besuch aus Hollywood gab sich unterdessen auch die Ehre. Zur Weltpremiere des Films „Ferrari“ von Michael Mann durften der Hauptdarsteller Adam Driver und sein Kollege Patrick Dempsey trotz des Streiks ihrer Gewerkschaft mit einer Ausnahmegenehmigung anreisen, weil die an dem Biopic beteiligten Firmen nicht zum Produzentenverband AMPTP gehören, der aktuell mit den Gewerkschaften im Clinch liegt. Nicht nur die Fotografen am roten Teppich zeigten sich erfreut.

Der Film selbst, der aus dem Leben von Enzo Ferrari, dem Gründer der legendären Sportwagenfirma, erzählt, blieb derweil ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Regisseur Mann konzentriert sich auf das Jahr 1957: Ferrari verkauft kaum 100 maßgefertigte Wagen pro Jahr, das Hauptgeschäft ist der Rennbetrieb, der allerdings Unmengen an Geld verschlingt. Die noch junge Firma droht ins Schlingern zu geraten, und dass sie zu fünfzig Prozent Enzos Ehefrau gehört, erschwert die Lage. Denn nach dem tragischen Tod des gemeinsamen Sohnes existiert die Ehe eigentlich nur noch fürs Geschäft, derweil Enzo mit seiner heimlichen Geliebten längst ein neues Kind hat.

Visuell ist „Ferrari“ ein Vergnügen

Visuell ist „Ferrari“ – sonnendurchflutete Bilder und einige spektakuläre Rennszenen, nicht zuletzt von der Mille Miglia – ohne Frage ein Vergnügen, und mehr noch als Driver spielt vor allem Penélope Cruz in der undankbaren Rolle der trauernden Gattin groß auf. Und doch fährt der Film mit angezogener Handbremse. Die mit selten einheitlichen italienischen Akzenten vorgetragenen Dialoge holpern, und die Story gerät ins Ungleichgewicht, weil ausgerechnet der spannende Überlebenskampf der Firma zugunsten des privaten Dramas ins Hintertreffen gerät.

Mit einem Hunderudel am Rande der Gesellschaft

Als richtiggehend fehl am Platz im Wettbewerb um den Goldenen Löwen erwies sich derweil „Dogman“ von Luc Besson. Vier Jahre, die Pleite seiner langjährigen Produktionsfirma und einen Freispruch in einem Vergewaltigungsfall ist es her, dass der Franzose einen Film in die Kinos brachte, nun meldet er sich mit einer ziemlich trashigen Mischung aus Psychodrama und Actionthriller zurück. Douglas (Caleb Landry Jones), der die meiste Zeit seiner Kindheit in New Jersey vom Vater in einen Hundezwinger gesperrt wurde, sitzt als Erwachsener halbseitig gelähmt im Rollstuhl und lebt mit Dutzenden Hunden am Rand der Gesellschaft. Wenn er nicht gerade als Dragqueen auftritt oder sich mit der Hilfe der Tiere als Juwelendieb verdingt, legt er sich mit örtlichen Gangs an, was schließlich in ein überbrutales Finale mündet, das man auch als „Kevin – Allein zu Haus mit Vierbeinern“ bezeichnen könnte.

Womöglich steckt irgendwo in diesem Quatsch die Idee für einen originellen Film, und mindestens der Hauptdarsteller Jones (der ebenfalls nach Venedig kommen konnte, weil „Dogman“ als europäische Produktion nicht an Regularien der US-Gewerkschaften gebunden ist) und vor allem die Hunde müssen sich hier nichts vorwerfen lassen. Doch Besson als Regisseur und Drehbuchautor ist derart unsubtil und psychologisch schlicht unterwegs, dass man angesichts der fürchterlichen Dialoge und mitunter hochnotpeinlichen Klischees fast zu verzweifeln droht. Zumal er das visuelle Flair, das früher seine Filme auszeichnete, schmerzlich vermissen lässt.

Hang zum Abgründigen und Absurden

Von Letzterem hatte dafür der Regisseur Yorgos Lanthimos mit seinem Film „Poor Things“ umso mehr zu bieten. Der Grieche, der zuletzt für „The Favourite“ gleich doppelt oscarnominiert war, ist bekannt für seinen Hang zum Abgründigen und Absurden und hat sich nun gemeinsam mit dem Drehbuchautor Tony McNamara den Roman „Arme Dinger“ von Alistair Gray vorgenommen. Lose darauf aufbauend erzählen sie von einer jungen Frau namens Bella (Emma Stone), die vom ebenso visionären wie exzentrischen Wissenschaftler Baxter (Willem Dafoe) ins Leben (zurück-)geholt wurde und wie ein naives Kind ihr gesamtes Umfeld neu entdecken und selbst das Sprechen lernen muss. Anfangs behütet und eingesperrt, zieht es sie bald hinaus in die Welt, wo es Tag für Tag neue Erfahrungen zu machen gilt.

Kulissen, Kostüme, Kamera sind bei „Poor Things“ herausragend

Einmal mehr gelingt Lanthimos ein Film, der nur so strotzt vor Ideen, inhaltlicher wie visueller Natur. „Poor Things“ ist nicht nur eine wilde Mischung aus Coming-of-Age-Story, Gesellschaftssatire und historischem Wissenschaftsfuturismus, sondern vor allem ein Film über das Aufwachsen als Frau in einer Welt männlicher Blicke, Erwartungen und Zwänge. Emma Stone ist großartig als Protagonistin, die dagegen ankämpft, ohne es zu merken; ebenso herausragend sind Kulissen, Kostüme und Kameraarbeit.

Hanna Schygulla und Martin Feifel

Ebenfalls zum „Poor Things“-Ensemble gehört übrigens Hanna Schygulla, die in Venedig dieses Jahr längst nicht die einzige Deutsche auf der Leinwand ist. In „Dogman“ spielt Clemens Schick ausgerechnet den fanatischen White-Trash-Vater; in „Bastarden“, einem ungemein eindrucksvollen und brutalen Historiendrama aus Dänemark, geben sich in kleinen Rollen neben Hauptdarsteller Mads Mikkelsen auch Felix Kramer und Martin Feifel die Ehre.