Der Dokumentarfilm „Real Life“ über den Youtuber Philipp Mickenbecker kommt in Böblingen beeindruckend und bedrückend gut an. Das Kino zeigt außerdem ein besondere Erinnerung an den verstorbenen Youtube-Star.
Movie ist das englische Wort für Film. Abgeleitet von dem englischen Verb „to move“ für bewegen. Das war einst als Abgrenzung zu den bewegungslosen Fotos gedacht. Eine ästhetisch hochkomplexe Mischung aus fast stehenden Bildern und vorsichtigen Bewegungsabläufen gab es jetzt im Böblinger Filmzentrum Bären zu sehen. Gezeigt wurde in einer Sondervorstellung der Dokumentarfilm „Real Life“ der Regisseure Lukas Augustin und Alexander Zehrer.
Das U-Boot bleibt noch in Böblingen
Thema dieses zweistündigen Dokumentarfilms ist das Lebensende und das Sterben eines jungen Mannes namens Philipp Mickenbecker. Er und sein Zwillingsbruder Johannes waren extrem erfolgreiche Youtuber: Als The Real Life Guys begeisterten sie ihre Follower mit ausgefallenen, banalen und verrückten Bastel-Ideen. Sie hatten für ihre Serie bis zu 1,6 Millionen Abonnenten. Zu ihren kreativen Produkten zählten Schlittschuhe aus Kettensägen, ein U-Boot aus einer Badewanne und das Fliegen mit einer Badewanne zum Bäcker. Das U-Boot ist noch etwa 14 Tage im Böblinger Kino zu sehen.
Nach einigen Jahren größter Erfolge bekommt Philipp schließlich zwei Krebsdiagnosen, die er der Öffentlichkeit zunächst vorenthält. Scheinbar überwindet er die Krankheit sogar und startet neu durch. Erst bei der dritten Diagnose teilt er seinen unheilbaren Gesundheitszustand mit.
Warum lässt Gott so etwas zu?
Lukas Augustin wurde durch eine Talkshow auf Philipp Mickenbecker aufmerksam. Im Norddeutschen Rundfunk gibt es die Serie „deep und deutlich“, in der Mickenbecker auftrat. Er hatte die Diagnose Lymphdrüsenkrebs erhalten und nur noch kurze Zeit zu leben. Ein scheinbarer Kontrast dazu war seine auffällige Gläubigkeit an Jesus und Gott.
„Meine Motivation war es zu verfolgen und zu verstehen, wie sich jemand mit solchen Lebensfragen auseinandersetzt“, sagt der unter anderem mit mit einem Emmy ausgezeichnete Augustin. Obwohl Mickenbeckers jugendlich-frisches Erdenleben in kürzester Zeit zum Ende gekommen sei, habe er seine gute Stimmung und den Glauben an die höheren Mächte nicht verloren. Der Film sei eine introvertierte Auseinandersetzung mit dem Thema Tod, der in unserer Gesellschaft fast ein Tabuthema darstellte. „Letztlich konnte man aber die Frage, warum ein angeblich guter Gott solch ein Schicksal zulässt, nicht beantworten.“
In sparsam bewegten Bildern dokumentiert dieser Film die Lebensstationen des jungen Mannes, der alles andere haben will als Mitleid von seiner Freundesclique und um fröhliche Anteilnahme bittet. Der Dokumentarfilm beeindruckt durch seine kontemplative Art. Manchmal stockt der Film ähnlich einer musikalischen Pause. Der so sympathisch verrückte Youtuber Philipp Mickenbecker stirbt im Kreise seiner Freunde an den inneren Blutungen, die diese Krankheit nach sich ziehen kann.
Ein berühmter Grabredner
Eingebunden in den Dokumentarfilm sind auch Aussagen Mickenbeckers über seine Kindheit, in der Glauben von den Eltern eingefordert wurde, aber eher eine äußerst strenge Einhaltung von Regeln durchgesetzt wurde. So stellte sich ihm die Frage des Öfteren, ob Gott die Menschen liebt oder ob sie ihm gehorchen sollen. Augustin war es wichtig, die Höhen und Tiefen eines Menschen schonungslos, aber empfindsam zu dokumentieren – stets in Übereinstimmung mit der Hauptperson. So wurde der Augenblick des Todes wurde zwar gefilmt, aber letztlich wieder herausgeschnitten.
Für den Regisseur war es der persönlichste Film, den er je fertiggestellt hat. Durch die lange Zeit des Kontaktes zu seinem Protagonisten dem ungewöhnlichen Charakter hat sich bei ihm eine tiefe Freundschaft zu Mickenbecker entwickelt. Augustin: „Die Fertigstellung des Films hat mir sehr geholfen, die Geschehnisse zu verarbeiten. Ich konnte ein halbes Jahr lang danach das Material nicht anschauen.“ Die Grabrede hielt übrigens Samuel Koch, der bei „Wetten, dass. . .“ einen vierfachen Genickbruch erlitt, seitdem im Rollstuhl sitzt, aber bis zu 100 Mal pro Jahr auf Bühnen agiert.
Ein beeindruckter Geschäftsführer
Diese bemerkenswerte Auseinandersetzung mit menschlichem Charakter und Leid wurde am vergangenen Donnerstag in Böblingen gleich dreimal im Filmzentrum Bären gezeigt. Vormittags war eine größere Gruppe von Schülern anwesend, die dieses Thema im Ethik- und Religionsunterricht behandelt haben. Nachmittags waren es überwiegend Konfirmanden und Firmlinge und abends das interessierte Publikum. Im Anschluss an die Filmvorführung gab es eine Diskussion mit dem Regisseur, moderiert von Jörg Litzenburger, dem Präventionsbeauftragten des Landkreises Böblingen. Litzenburger ist zudem Filmkritiker und kombiniert diese zwei Tätigkeiten oft, wenn Schulen Probleme mit Gewalt, Sucht oder Rassismus haben.
Andreas Zienteck, der Geschäftsführer des Böblinger Filmzentrums, war begeistert von der Resonanz dieses Films und dass sich vor allem so viele Jugendliche der Problematik gestellt haben. „Das schwierige Dreieck Religion, Glaube und reales Schicksal ist selten so feinsinnig und eindrucksvoll realisiert worden“, sagte er. Das habe auch die Podiumsdiskussion, an der sich die drei Publikumsgruppen rege beteiligt haben.“ Fazit: Obwohl der Protagonist über eine schwindende Lebenskraft verfügt, erzählt dieser Film vor allem von seinem Willen, mit seiner Umwelt, seinen Freunden und seiner Familie in positiver Stimmung zu leben und so von diesem Leben Abschied zu nehmen.
Am Dienstag, 31. Oktober, ist der Film um 19.30 Uhr im Metropol zu sehen, am Mittwoch, 1. November, läuft er um 19 Uhr im Bären.