Gelegentlich ist Guido Lorenz im Stil eines Günter Wallraff unterwegs. Foto: Michael Käfer

Der katholische Betriebsseelsorger Guido Lorenz berichtet über seine Erlebnisse mit prekär Beschäftigten.Enthüllungs-journalist Günter Wallraff hat es vorgemacht.

Fellbach - Gelegentlich ist Guido Lorenz im Stil eines Günter Wallraff unterwegs. Als Türke Ali verkleidet hatte Wallraff Missstände in der Arbeitswelt aufgedeckt und in seinem Buch „Ganz unten“ verarbeitet. Im Gegensatz zu Günter Wallraff ist Guido Lorenz allerdings kein Journalist, sondern katholischer Betriebsseelsorger in Stuttgart. Gelegentlich allerdings tauscht er das Jackett mit dem Blaumann und ist als angelernter Beschäftigter oder als Leiharbeiter in Firmen unterwegs. Über diese Erlebnisse und seine Interviews mit vielen prekär Beschäftigten berichtete der 57-Jährige am Mittwochabend auf Einladung des Fellbacher DGB-Ortsverbands in den Räumen der Arbeiterwohlfahrt (Awo).

Günter Wallraff hat’s vorgemacht.dpa Unzureichender Lohn für viele Leiharbeiter

Die 15 diskussionsfreudigen Besucher hatten hinterher noch einiges zu besprechen, denn die Einblicke, die Guido Lorenz gewährte, waren selbst für einen ehemaligen Betriebsrat teilweise neu. In einem Kühlhaus etwa musste der Pastoralreferent Waren kommissionieren. Raumtemperatur: minus 27 Grad. Auf dem Weg zur Arbeit „habe ich mir noch für alle Fälle ein Angora-Unterhemd gekauft“, sagte der Schorndorfer. Das war offenbar auch nötig, denn der dienstlich bereitgestellte Kälteschutz war unpassend, abgetragen und ließ sich nicht vollständig schließen. Übler war allerdings, dass sich der Kühlhallenboden im Laufe des Tages in eine Art Eisbahn verwandelt hatte. Zudem wechselte der theologisch vorgebildete Arbeiter immer wieder von einem Kühlhaus in ein anderes. Dazwischen lag ein wärmerer Raum, was bei dem Brillenträger erhebliche Sichtprobleme verursachte. Am Ende des Tages wurde ihm auch noch eine halbe Stunde vom Lohn abgezogen, weil er sich angeblich zu lange aufgewärmt hatte. Angenehmer waren dagegen die Temperaturen in einem Stuttgarter Modegeschäft, wo Guido Lorenz Bekleidung sortierte. Auch das zwischenmenschliche Betriebsklima sei dort sehr ordentlich gewesen: „Wenn man sich sah, gab es Küsschen hier und Küsschen da – nur für den Leiharbeiter nicht.“

Neben dem unzureichenden Lohn für viele Leiharbeiter sieht der Betriebsseelsorger auch das zweite große Problem darin, dass sie oft nur kurz in einem Betrieb arbeiten. Im Gegensatz zu Stammbelegschaften könnten sie kein soziales Netz aufbauen. Berufliche Tätigkeit verkommt zur reinen Verdienstquelle, zumal nach den Erfahrungen von Guido Lorenz zumindest bei einem Teil der Leiharbeiter berufliche Entwicklungsmöglichkeiten fehlen.

Acht Millionen Menschen arbeiten für weniger als 9,15 Euro

Häufig genug ist es aber schlicht der mangelnde Lohn, der für Zündstoff sorgt. Nach einer von Guido Lorenz und dem Fellbacher DGB-Vorsitzenden Dieter Keller zitierten Studie arbeiten in Deutschland knapp acht Millionen Menschen für weniger als zwei Drittel des Durchschnittslohns, also für weniger als 9,15 Euro pro Stunde. Das ist zwar mehr als der von den Gewerkschaften geforderte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro, aber im Durchschnitt verdienen westdeutsche Niedriglöhner gerade mal 6,68 Euro. „Davon kann man nicht leben“, lautet das Fazit von Guido Lorenz. Folglich erhalten etliche prekär Beschäftigte trotz Vollzeitjob als Aufstocker Leistungen der Arbeitsagentur. Es sei denn, sie schämen sich vor dem Gang zum Amt. „Es ist immer wieder so, dass Menschen das nicht wollen“, sagt Guido Lorenz.