Franz Fehrenbach Foto: Petsch

Bosch-Chef Franz Fehrenbach fordert verantwortungsvolles Verhalten der Finanzbranche ein.

Stuttgart - Schuldenkrise und Energiewende verändern den wirtschaftlichen Rahmen für die Autoindustrie, die sich ihrerseits im Wandel befindet. Wohin geht die Entwicklung? Darüber sprachen wir mit Bosch-Chef Franz Fehrenbach.

Herr Fehrenbach, nach der Finanzkrise wurden viele Banken vom Staat gerettet, jetzt rufen sie wegen der Griechenland-Krise erneut um Hilfe. Haben Sie dafür Verständnis?

Mein Eindruck ist, dass sich beim Verhalten von Banken nach der Finanzkrise schon etwas getan hat. Dennoch ist es grundsätzlich bedenklich und auch nicht in Ordnung, wenn es Teilnehmer in unserem Wirtschaftssystem gibt, die Risiken eingehen, ohne hinterher für ihre Entscheidungen geradestehen zu müssen. Das gibt es in keiner Branche, und das darf es auch bei Banken nicht geben. Es fällt auf, dass auch unsere Landesbanken viele Anleihen von Ländern gekauft haben, die jetzt in Schwierigkeiten sind. Es gibt nach wie vor zu geringe Kontrollmechanismen.

Warum gehen Banken immer wieder solche Risiken ein?

Die Renditen auf spekulative, riskante Papiere sind überdurchschnittlich hoch - mit ihnen kann man glänzende Zahlen präsentieren. Aber ich meine: Eine Bank muss grundsätzlich darauf achten, dass sie die Folgen ihrer Geschäfte selbst tragen kann. Unabhängig davon beunruhigt mich, wie stark im vergangenen Jahr schon wieder die Bonuszahlungen bei Investmentbanken gestiegen sind. Die Finanzkrise hat hier offenbar keinen nachhaltigen Lernprozess ausgelöst.

Hängt die Krise auch mit dem Euro zusammen? Schließlich haben die Hilfen für Griechenland die Verschuldung anderer Staaten in die Höhe getrieben.

Augenscheinlich wurde vor der Währungsunion nicht ausreichend darüber nachgedacht, was geschehen soll, wenn sich die Länder in ihrer Produktivität stark auseinanderentwickeln und schwache Länder dies nicht mehr durch eine Abwertung ihrer Währung ausgleichen können. Genau das ist jetzt eingetreten. Dazu haben auch die Strukturhilfen für wirtschaftsschwache Länder beigetragen, mit denen die EU solche Ungleichgewichte ausgleichen wollte. Das hatte häufig einen gegenteiligen Effekt. Denn für viele Projekte gab es zwar von der EU einen Zuschuss, den Rest aber musste das jeweilige Land über eigene Kredite finanzieren. Dadurch ist die hohe Verschuldung vieler Länder sogar noch befördert worden.

Ist der Euro also eine Fehlkonstruktion?

Nein - durch ihn ist ein riesiger Wirtschaftsraum entstanden, der in der Welt Gewicht hat. Deutschland profitiert davon sehr. Ohne den Euro würde dieser Wirtschaftsraum zerfasern, und die Aufbauarbeit vieler Jahre wäre schnell zerstört. Der hohe Wechselkurs des Euro zeigt, dass der europäische Wirtschaftsraum auch jetzt ein hohes Ansehen genießt.

Aber führt nicht gerade der Euro dazu, dass die EU Rettungsschirme über einzelne Länder aufspannt und damit andere Staaten in Schwierigkeiten bringt?

Um genau dies zu verhindern, hat die EU vor Einführung der Währung strenge Regeln für eine Begrenzung der Staatsverschuldung aufgestellt. Dass diese aufgeweicht wurden, liegt auch an Deutschland und Frankreich. Beide haben diese Regeln früher nicht ausreichend ernstgenommen und damit keine Vorbildfunktion für die anderen übernommen. Jetzt kommt es darauf an, strikte Regeln zu schaffen, die konsequent durchgesetzt werden. Gleichzeitig ist es wichtig, die schwachen Euro-Staaten wettbewerbsfähiger zu machen.

Wie sollte das gelingen?

Wir haben seit 35 Jahren gemeinsam mit Siemens eine Fertigung für Haushaltsgeräte in Griechenland, die 700 Mitarbeiter beschäftigt. Allerdings ist deutlich, dass Griechenland seine Arbeitszeiten, seine Löhne und seine politischen Rahmenbedingungen auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bringen muss. Das Land hat noch Hausaufgaben zu erledigen.

Griechenland als Fotovoltaik-Standort

Und wie können andere Länder helfen - außer dadurch, dass sie immer neue Rettungsschirme aufspannen?

Griechenland hat etwas, das Deutschland in dem Maße fehlt - viel Sonne. Warum sollte man das Land nicht zum Musterland für die Gewinnung von Strom aus Sonnenenergie machen? Als Fotovoltaik-Standort könnte das Land zum Stromlieferanten Europas werden. Dadurch entstehen Einnahmen, die dem Land wieder auf die Beine helfen würden.

Der Bedarf an Energie aus erneuerbaren Quellen wird ja weiter steigen, nachdem Deutschland den beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat. Doch ist es realistisch, die Atomkraft innerhalb von rund zehn Jahren durch alternative Energiequellen zu ersetzen?

Ich bezweifle, dass dies möglich ist. Die Entscheidung der Politik stimmt in zweierlei Hinsicht nachdenklich. Zum einen stellt sich die Frage, ob wir nach 2020 in Deutschland noch Energiepreise haben, die unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigen. Zum anderen hat man sich in Deutschland bisher zu wenig Gedanken gemacht, wie sich eine kontinuierliche und stabile Energieversorgung sicherstellen lässt. Bisher denkt man, der Strom sei einfach da. Wenn man die Atomkraft abschaltet, muss die Versorgungssicherheit unverändert gewährleistet bleiben. Und dieses Problem muss jetzt angegangen werden und nicht erst in zehn Jahren, wenn es zu spät ist.

Stromausfälle gibt es überall mal. Warum ist eine störungsfreie Versorgung für Sie so wichtig?

Nehmen Sie nur unsere Halbleiterfabrik in Reutlingen, die wir vor zwei Jahren für 600 Millionen Euro in Betrieb genommen haben. Das ist eine extrem energieintensive Fertigung, die man nicht durch Notstromaggregate aufrechterhalten kann. Wenn der Strom eine Stunde lang ausfällt, werden große Mengen von Chips zerstört, die sich gerade in der Fertigung befinden. Der normale Herstellungsprozess eines Mikrochips dauert fast acht Wochen. Das heißt, durch einen größeren Stromausfall ginge die Produktion mehrerer Wochen verloren. Das hätte immense Auswirkungen - nicht nur auf uns, sondern auch auf die gesamte Autoindustrie, für die wir in hohem Maße liefern.

Wenn in zehn Jahren die verbliebenen Atomkraftwerke abgeschaltet sind - woher wird unser Strom dann kommen?

In dieser kurzen Zeit wird es nicht möglich sein, die Stromversorgung umfassend auf erneuerbare Energien umzustellen. Also wird man den Atomstrom zunächst voraussichtlich durch Energie aus modernen Gas- und Kohlekraftwerken ersetzen. Selbst wenn man diese technisch weiter verbessert, wird in Summe mehr Kohlendioxid ausgestoßen. Gerade das will man jedoch durch den Umstieg auf die erneuerbaren Energien senken. Dies ist in sich ein Paradox.

Sie haben ja kurz nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima davor gewarnt, unabsehbare Risiken, wie sie von der Atomkraft ausgehen, überhaupt noch einzugehen. Brauchen wir die Atomkraft nun doch noch länger?

Ich war zu keinem Zeitpunkt für einen vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie, sondern für eine individuelle Abschätzung der Risiken der einzelnen Atomkraftwerke je nach Umfeldbedingungen. Beispielsweise gibt es Gegenden in Europa, da kommen praktisch keine Erdbeben vor - etwa in Skandinavien. Hier ist eine Technik wie die Atomkraft auch weiterhin nutzbar, obgleich ich sie nicht als die nachhaltigste Technologie beurteilen würde, da die Endlagerung noch ungeklärt ist. Und auf einer erdbebengefährdeten Insel wie Japan mehr als 50 Atomkraftwerke zu betreiben, halte ich dagegen für mehr als riskant, zumal es dort alle 30 Jahre zu einem Tsunami mit Wellenhöhen von mehr als zehn Metern kommt. Eine ehrliche Bewertung der Risiken ist angesagt - auch in Deutschland.

Bosch investiert massiv in erneuerbare Energien - erst vor kurzem haben Sie angekündigt, für mehr als 500 Millionen Euro eine Solarfabrik in Malaysia zu bauen. In Thüringen investieren Sie bereits in einen großen Standort für Solartechnik. Warum bauen Sie die Fabrik nicht ebenfalls in Deutschland?

Wir investieren in erheblichem Umfang in Arnstadt in Thüringen und stellen dort bis Ende 2012 rund 1200 neue Mitarbeiter ein. Bei der Sonnenenergie haben wir allerdings eine ähnliche Aufgabenteilung wie in unseren anderen Geschäftsfeldern: Die Entwicklung der nächsten Produktgenerationen und der Fertigungsprozesse ist die Kompetenz der deutschen Standorte. Auf dieser Basis werden anschließend die Produkte in aller Welt für die jeweiligen Regionen hergestellt, während in Deutschland schon an der nächsten Generation gearbeitet wird. Wer glaubt, auf dem hart umkämpften Welt-Solarmarkt mit einer rein deutschen Produktion mithalten zu können, der hat nach unserer Einschätzung kein langfristig erfolgreiches Konzept.

"Daimler geht seinen eigenen Weg"

Bei der Batterie fürs Elektroauto gehen Daimler und Bosch dagegen getrennte Wege. Bosch arbeitet mit dem südkoreanischen Samsung-Konzern zusammen, Daimler mit dem deutschen Evonik. Ihr Nachbar will seine Batterien aber nicht nur für sich bauen, sondern auch anderen Autoherstellern anbieten - in Konkurrenz zu Ihnen. Wie passt das zusammen?

Die einzelnen Hersteller verfolgen hier ganz unterschiedliche Ansätze. Daimler geht seinen eigenen Weg. BMW, Fiat und Chrysler haben sich für eine Zusammenarbeit mit SB LiMotive entschieden, unserem Gemeinschaftsunternehmen mit Samsung. Natürlich müssen die Hersteller bei allen Zukunftsentscheidungen auch die Beschäftigung in ihren Werken im Auge haben. Sie müssen für Ersatzarbeitsplätze sorgen, wenn die Fertigung von Diesel- und Benzinmotoren einmal ausläuft. Sollten sie zusätzlich eine eigene Getriebefertigung haben, stellt sich diese Frage noch intensiver. All diese Überlegungen beeinflussen die Entscheidung, welchen Weg man bei der Fertigung von Batterien und Elektromotoren einschlägt. Wir sind jedoch mit unserem Partner Samsung davon überzeugt, aufgrund des Automobil-Know-hows von Bosch und der großen Kompetenz von Samsung in der Batterie-Massen-Fertigung im Gebrauchsgüter-Bereich hervorragend aufgestellt zu sein.

Nach dem Willen der Bundesregierung soll Deutschland zum Leitmarkt für die Elektromobilität werden. Wie realistisch ist dieses Ziel?

Es ist auf jeden Fall ehrgeizig. Das Ziel ist nur zu erreichen, wenn es gelingt, das Gewicht und die Kosten für die Batterie zu senken und die Reichweite zu erhöhen. Daran arbeiten wir intensiv. Auch der geplante Atomausstieg spielt eine Rolle bei der Frage, welche Technologien im Auto der Zukunft sinnvollerweise zum Einsatz kommen.

Wieso das?

Wenn der verbrauchte Strom jetzt wieder vermehrt aus Kohle und Gas hergestellt wird, beeinflusst dies die Umweltbilanz eines Elektroautos erheblich. Wirklich umweltfreundlich ist ein Elektroauto nur, wenn sein Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird. Auf der anderen Seite kann der Verbrauch von Diesel- und Benzinmotoren noch um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden. Beides zusammen kann dazu führen, dass sich die Umweltbelastung von Autos mit Verbrennungs- oder Elektromotor kaum noch unterscheidet. Wir sollten den Verbrenner daher nicht zu schnell abschreiben.

Wie wird sich der technologische Wandel auf die Zahl der Beschäftigten von Bosch in Deutschland auswirken?

Wir haben heute in Deutschland über 20.000 Beschäftigte mehr als im Jahr 2000. Allein in diesem Jahr haben wir schon nahezu 3000 Arbeitsplätze aufgebaut, davon 1400 in Baden-Württemberg. Wir haben in Deutschland Stellen geschaffen, und das tun wir auch weiter. Unsere heute etwa rund 300.000 kompetenten Mitarbeiter weltweit sind in unserer 125-jährigen Geschichte immer die Erfolgsgaranten für unser Unternehmen gewesen.

Welche Art von Stellen sind das?

Wir suchen hauptsächlich hochqualifizierte Mitarbeiter, vor allem Akademiker. In diesem Jahr wollen wir 1200 Akademiker in Deutschland einstellen - das gelingt uns trotz des Fachkräftemangels noch gut. Lediglich bei sehr spezifischen Qualifikationen wie der Leistungselektronik und auch bei IT-Experten müssen wir schon intensiver suchen. Deutschland ist unser wichtigster Entwicklungsstandort, und dafür brauchen wir hochqualifizierte Mitarbeiter. Aber wir erwarten von der Bundesregierung bessere Rahmenbedingungen, um auch ausländische Fachkräfte mit Know-how schneller in Zukunft einstellen zu können.

Und wie wird sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Produktion entwickeln?

Dank der erstaunlich robusten Weltkonjunktur haben wir derzeit eine gute Auslastung. Allerdings planen wir keinen weiteren nennenswerten Aufbau. In der Vergangenheit haben die deutschen Werke stark vom stürmischen Wachstum in den Schwellenländern profitiert - denn so schnell, wie die Nachfrage wuchs, konnten wir die Kapazitäten in den jeweiligen Ländern gar nicht hochfahren. Doch auch wenn wir dort neue Kapazitäten schaffen, nützt dies den Arbeitsplätzen in Deutschland - denn während im Ausland die Fertigung aufgebaut wird und Produkte vor Ort auch in teils viel größeren Märkten als Deutschland vertrieben werden, arbeiten die Beschäftigten in Deutschland schon wieder an der Weiterentwicklung der Produkte oder auch an neuen, nicht nur für den deutschen Markt.

Auch die neue Landesregierung pocht darauf, dass die Wirtschaft intensiv in Richtung umweltschonender Technologien forscht. Ministerpräsident Kretschmann kündigte an, die Wirtschaft im Land mit der "Innovationspeitsche" auf den richtigen Weg zu bringen. Was halten Sie von der bisherigen Wirtschaftspolitik des Landes?

Natürlich ist es richtig, wenn die Landesregierung darauf achtet, dass sich das Land weiterentwickelt. Die Industrie hat es aber sicher nicht nötig, sich von der Landesregierung antreiben zu lassen. Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten deutlich bewiesen, dass sie von sich aus ständig an neuen, verbesserten Produkten forscht und diese auch erfolgreich weltweit vermarktet. Allein bei Bosch entstehen pro Arbeitstag 15 neue Patente. Wenn die Landesregierung sich als verlässlicher Partner der Wirtschaft erweist, kann daraus eine gute Zusammenarbeit entstehen. Für uns als großen Arbeitgeber und Fertigungsstandort in der Region ist es von Interesse, dass die Landesregierung die überlastete Verkehrsinfrastruktur in Ordnung bringt. Jeden Tag müssen Zehntausende unserer Mitarbeiter zu ihrem Arbeitsplatz und wieder gut nach Hause kommen. Zudem müssen Materialien und Bauteile unsere Fertigungsstandorte erreichen. Hier erwarten wir klare Entscheidungen. Und generell gilt: Jede neue Landesregierung wird an ihren Taten gemessen, aber erhält zunächst einmal auch eine faire Chance.