Ein Zünder für ein Airbag: Der japanische Hersteller Takata stellt weltweit jeden fünften Airbag her – und musste wegen einem Fehler massenhaft Airbags zurückrufen Foto: dpa

Fehlerhafte Airbags, Mängel an Bremsen, schadhafte Motorabdichtungen oder Softwarefehler – kein Autohersteller ist vor Rückrufen gefeit. Und es werden immer mehr.

Stuttgart - Bereits im ersten Halbjahr 2015 wurden in Deutschland fast 940 000 Fahrzeuge in die Werkstätten zurückbeordert. Eine alarmierend hohe Zahl, die nicht zuletzt dem Spardiktat der Hersteller geschuldet ist. Um Kosten bei der Entwicklung zu sparen und die Produktion zu verschlanken, bedienen sich immer mehr Autohersteller eines modularen Baukastens. Das bedeutet, dass viele Modelle auf globalen Plattformen gebaut und von global agierenden Zulieferern bestückt werden. Bei den Zulieferern können damit größere Stückzahlen geordert werden – das senkt den Preis. Die Kehrseite der Medaille: „Ein fehlerhaftes Teil kann zigtausendfache Rückrufe auslösen“, sagt Stefan Bratzel, Chef des Centers of Automotive Management (CAM) an der Wirtschafts-FH in Bergisch Gladbach.

Wenn Autokonzerne ihren Kostendruck größtenteils an die Zulieferer weitergeben, müssten die sehen, wie sie ihrerseits die Produktivität steigern, um ihre eigenen Margen zu halten. Das könne dann auch mal auf Kosten der Qualität gehen, so der Autoexperte. Hinzu komme die zunehmende Komplexität, eine Vielzahl von Elektronik und Sicherheitstechnik im Fahrzeug, was die Autos auch anfälliger mache. „Wo viel drin ist, kann viel kaputt gehen“, sagt Bratzel. Gleichzeitig hält er aber die Autos für so sicher wie nie zuvor.

BMW musste wegen fehlerhafter Airbags 395 654 Fahrzeuge zurückrufen

Vor Qualitätsproblemen ist kein Autohersteller gefeit. Beispiel BMW. Der bayrische Autobauer musste wegen fehlerhafter Airbags seines Zulieferers Takata – die Japaner stellen weltweit jeden fünften Airbag her – allein im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland 395 654 Fahrzeuge in die Werkstätten zurückbeordern, wie aus einer Aufstellung des Bundesverkehrsministeriums hervorgeht. Diese Liste bezieht sich auf Daten des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) in Flensburg – Daten, die normalerweise Verbrauchern nicht zugänglich sind.

Anders als in den USA werden in Deutschland detaillierte, nach Marken aufgeschlüsselte Rückruflisten nicht veröffentlicht. Doch wegen einer Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Markus Tressel musste die Behörde die Liste herausrücken. „Die Liste wird gehütet wie ein Staatsgeheimnis, doch die Verbraucher haben einen Anspruch auf Transparenz“, findet Tressel. In der Antwort auf seine Anfrage weist die Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär aber vorsorglich darauf hin, „dass weder die Rückrufzahl noch die Anzahl der gelieferten Halteranschriften geeignet ist, um Hersteller sachgerecht miteinander zu vergleichen“. Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) hält von der Veröffentlichung solcher Listen nichts, schließlich weise sie in keiner Weise auf ein Qualitätsproblem hin, denn die Qualität der deutschen Modelle sei so hoch wie nie zuvor.

Mercedes kommt mit 21 764 zurückgerufnen Fahrzeugen (ohne Lkw) glimpflicher davon. Die Qualität der Fahrzeuge habe sich in den letzten Jahren deutlich gesteigert, sagt ein Daimler-Sprecher. Autos würden auf „Herz und Nieren geprüft“, damit der Kunde einwandfreie Fahrzeuge bekomme. Trete aber ein fehlerhaftes Teil auf, habe das Problem auf Grund des modularen Baukastens eine ganz andere Reichweite als früher.

50 Millionen Fahrzeuge von fehlerhaften Airbags betroffen

Im Fall des fehlerhaften Takata-Airbags waren übrigens weltweit mehr als 50 Millionen Fahrzeuge betroffen.

Der Abgeordnete Tressel will die KBA-Zahlen künftig jedes Jahr erfragen. Dass darunter das Image der deutschen Hersteller leiden könnte, sieht er nicht. Die Veröffentlichung müsse ein Ansporn für die Autohersteller sein, noch mehr auf Qualitätssicherung zu achten, was wiederum ein Wettbewerbsvorteil sei, findet er. Manchmal sei öffentlicher Druck nötig, nach dem Motto: „Schaut, was ihr einkauft.“ Ohne öffentlichen Druck wäre der Katalysator nie gekommen, sagt er.

Freilich, die Rückrufzahlen sind nur bedingt aussagekräftig. Der BMW-Rückruf etwa hängt mit einer Rückrufaktion zusammen, die schon vergangenes Jahr bekannt gegeben wurde. Doch weil es zunächst keine Ersatzteile gab, wurden die Fahrzeuge erst dieses Jahr in die Werkstätten geordert – somit blähen sie auch dieses Jahr die Rückrufstatistik auf. Zudem berücksichtigt die Liste nicht die Zahl der insgesamt verkauften Autos eines Herstellers.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 3,04 Millionen Autos zugelassen, produziert wurden 5,62 Millionen Fahrzeuge, zurückgerufen rund 1,9 Millionen – der bisher höchste Wert seit Einführung des Produktsicherheitsgesetzes im Jahr 1997. Im Jahr 2013 lag die Zahl der Rückrufe bei knapp 1,1 Millionen.

Die Rückrufquote ist in den USA höher als hierzulande

Je nach Land wird mit Technikproblemen bei Autos unterschiedlich verfahren. Mangelhafte Kabel der Rückleuchte bei der Mercedes-C-Klasse hatten im vergangenen Jahr zu Rückrufen in den USA geführt, nicht aber in Deutschland. Autoexperte Bratzel begründet dies unter anderem mit dem höheren Klagerisiko in den USA. Zudem hänge das mit unterschiedlichen Zulassungsverfahren zusammen. Bei Typenprüfungen – Erstkontrollen von Bauteilen – sowie der Abnahme des Autos sind in Deutschland die Behörden mit im Boot, in den USA dagegen sind die Hersteller selbst zuständig. Umso strenger sind die US-Behörden, wenn etwas schiefläuft.

Fakt ist, dass die Rückrufquote in den USA deutlich höher liegt als hier zu Lande. 2014 lag die durchschnittliche Rückrufquote aller Hersteller im US-Markt bei 369 Prozent, das heißt es mussten 3,7 mal so viele Autos zurückgerufen werden, wie neu zugelassen wurden. In Deutschland lag die durchschnittliche Rückrufquote bei 63 Prozent. Auf 100 neu zugelassene Autos kamen 63 Rückrufe – darin sind freilich auch ältere Modelle enthalten. Bratzel spricht von einer erheblichen Dunkelziffer, weil viele Fälle gar nicht bekannt werden. Ein Softwarefehler etwa wird häufig klammheimlich beim Routine-Check eines Autos behoben – ohne dass es der Kunde bemerkt und ohne dass es ihn was kostet.

Die Kosten für Rückrufaktionen müssen die Hersteller zahlen. Brancheninsidern zufolge sind sie im Fahrzeugpreis mit 300 bis 500 Euro schon eingepreist. Bei Daimler weist man solche Behauptungen zurück. Man gehe nicht von fehlerhaften Fahrzeugen aus, sondern wolle dem Kunden ein einwandfrei funktionierendes Auto verkaufen, so ein Sprecher.