Foto: dpa

Die FDP muss sich nach elf Jahren Opposition wieder in der Regierungspolitik beweisen. Auf Angela Merkel kommt damit eine neue Rolle zu.

Berlin - Die FDP muss sich nach elf Jahren Opposition wieder in der Regierungspolitik beweisen. Auf Angela Merkel kommt damit eine neue Rolle zu. Statt auf die Moderation der Regierungsarbeit zu setzen, wird sie stärker führen müssen.

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Ach, warum kann es denn nicht einmal einfach perfekt sein? Wenigstens an diesem Abend, an dem alles bereitet ist: 1500 Gäste im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Bundesparteizentrale, sind da. Gut gelaunt, siegesgewiss. Und sie haben ja auch Grund zur Freude: Die Kanzlerschaft ist gesichert, die quälende Große Koalition abgewählt, Schwarz-Gelb eindeutig etabliert. Heraus also mit all dem aufgestauten Jubel und dem Stolz und der Genugtuung.

Nun ja. Es ist alles da. Die "Angie!"-Rufe, der riesige Applaus, als - ziemlich spät - die Kanzlerin, die alte und zugleich neue, vors Parteivolk tritt. Alles da: das Glänzen in den Merkels Augen, das Siegerlachen, auch das außergewöhnlich emotionale Bekenntnis, "glücklich" zu sein.

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Und doch. Und doch. Es ist dieser kleine Vorbehalt, dieses ungute Gefühl, dieser unangenehm nagende Zweifel, dass trotzdem nicht alles 100 Prozent richtig läuft. Klar, Kanzlerschaft, Regierung, erste bürgerliche Mehrheit seit 1994. Schön, sehr schön. Aber etwas über 33 Prozent! Das schlechteste Ergebnis seit 1949. Viele erinnern sich: Es herrschte blankes Entsetzen, als die Union 2005v mit 35,2 Prozent gerade noch eine weitere Schröder-Amtszeit verhindern konnte. Diesmal hat sie das locker unterboten.

Kanzlerin von Guidos Gnaden

Zum Glück gibt's die Liberalen! Die können vor Kraft kaum laufen. Das beste Ergebnis seit 1949: Für 2000 Liberale gibt es ab dem Augenblick kein Halten mehr, an dem die erste Prognose das Rekordergebnis unters Parteivolk bringt. Hier in den Römischen Höfen, die die Partei in der Nähe der "Linden" für die Siegesfeier angemietet hat, machen ausgelassene Scherze die Runde: "Schauen wir mal, ob Merkel das Koalitionsangebot der FDP annehmen wird."

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Ganz anders die Parteispitze: Sie hält sich in der Öffentlichkeit zurück. Nur hinter verschlossenen Türen knallen die Champagnerkorken. Punkt 17.50 Uhr weiß Parteichef Guido Westerwelle, dass er sein ganz großes Ziel erreicht hat und ihm niemand mehr diesen Sieg nehmen kann. Aber Westerwelle zügelt seine Euphorie. Jetzt ja nicht auftrumpfen. Er wartet anderthalb Stunden ab, bevor er auftritt. Er will auf Nummer sicher gehen, die zweite Hochrechnung abwarten. Dann lässt er noch der Kanzlerin drüben in der Unionszentrale den Vortritt vor die Kameras. Erst danach geht er, der große Wahlsieger des Abends, als letzter der Parteichefs vor seine Leute. "So sehen Sieger aus", grölt der Parteinachwuchs, als Westerwelle, nach ihm Hans-Dietrich Genscher, dann das Präsidium sich einen Weg durch die Menge bahnen. "Wir bleiben auf dem Teppich, wir heben nicht ab", verspricht Westerwelle. Bei aller Freude, das Ergebnis bedeute vor allem Verantwortung. Er nennt drei Projekte: ein faires Steuersystem, bessere Bildungschancen und dass Bürgerrechte wieder respektiert werden.

Kanzlerin von Guidos Gnaden

Das kann die Christdemokraten nicht so richtig froh machen. Gut 33 Prozent. Niemand hat mehr zu bieten, ja, das stimmt schon. Aber die Ansprüche sind eigentlich höher - Volkspartei will man doch sein.

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Was also macht man mit so einem Ergebnis? Man kann es ignorieren. Darin ist die Union geübt. Eine Aufarbeitung des 2005er-Wahlkampfes ist nie erfolgt. Warum dann jetzt, wo sogar die Wunschkoalition herausgekommen ist? Weil diese Erosion so konstant ist. Vielleicht ist die desolate SPD der Union nur einen Schritt zum Abgrund voraus? "Ein Warnschuss" sei das, sagt einer, der am Kabinett Platz nehmen könnte. Merkel, die Siegerin, kann das nicht ignorieren. Sie braucht eine Strategie.

Wolfgang Bosbach hätte eine. Der Fraktionsvize findet das Ergebnis zwar "unterm Strich sehr gut", aber den Sekt lässt auch er lieber im Kühlschrank. Er sieht die bedenkliche Entwicklung: "Die Union muss zeigen, dass sie Maß und Mitte hält, die Interessen des kleinen Mannes in der schwarz-gelben Koalition im Blick hat. Als letzte Volkspartei muss sie sich auf die ganze Breite der Gesellschaft konzentrieren."

Das ist der Kurs, den die Kanzlerin einschlagen will. Sie will bei all den kommenden Debatten in ihrer Partei die Richtung vorgeben. Und die heißt Vorwärts-Verteidigung. So ist zu verstehen, dass sie schon gestern Abend ein Leitmotiv anklingen lässt: Sie wolle "die Kanzlerin aller Deutschen" sein. Und die Union wolle "Volkspartei bleiben". Also vertrete sie "die Mitte", die "Arbeitnehmer wie die Arbeitgeber". Immerhin, das ist ein erster Ansatz, der funktionieren kann. In Nordrhein-Westfalen verfolgt Jürgen Rüttgers nicht ohne Geschick genau dieses Ziel: das Vakuum zu füllen, das die schwindsüchtige SPD lässt. Soll die FDP ihre Klientel bedienen und liberale Parolen hochhalten, soll die Union das Zentrum besetzen. Leicht wird das nicht. Merkel wird Kompromisse schließen müssen. Natürlich zuerst mit der selbstbewussten FDP. Aber wenn Merkel wirklich "die Kanzlerin aller Deutschen" sein will, muss sie weiter auch jenes Milieu bedienen, das außerhalb des konservativen Spektrums steht.

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Die Folge ist absehbar: In der beunruhigten Partei wird man Forderungen hören, dass auch mal jemand ohne die dauernde Rücksichtnahme "CDU pur" präsentieren müsse. Rein und unverfälscht. Im Idealfall macht das der Generalsekretär, und da beginnt sich schon das Personalkarussell zu drehen. Franz Josef Jung, der zuletzt glücklose Verteidigungsminister, hätte Spaß daran. Der smarte Niedersachse David McAllister - sein Vater war ein in Deutschland stationierter britischer Soldat - auch. Das ist die für Merkel günstige Variante.

Kanzlerin von Guidos Gnaden

Falls ihre neue Regierung aber einen schweren Start hat, was angesichts der Haushaltslage möglich ist, dann werden die radikalen Rufe lauter. Dann könnte der Parteivorsitz zur Neuverhandlung anstehen. Was tatsächlich eine Entmachtung wäre, ließe sich als Entlastung verkaufen. Merkel aber wäre entscheidend geschwächt. Bosbach warnt davor: "Das wäre ein kapitaler Fehler. Dann würde jede Differenz in den Äußerungen von Vorsitzenden und Kanzlerin zum Streit stilisiert."

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Vorerst wird es so weit nicht kommen. Auch wenn die Union unter Merkels Führung schrumpft, dürfte es bei jeder anderen Konstellation noch schlimmer werden. Und außerdem kann Merkel in einer Wahlanalyse darauf verweisen, dass auch andere Fehler gemacht haben. Deftige Fehler! CSU-Chef Horst Seehofer versucht erst gar nicht, das trostlose bayerische Ergebnis schönzureden. 41 Prozent! Man möchte den himmlischen Wutausbruch von Franz-Josef Strauss selig über transzendentaler Hotline übertragen bekommen. Die CSU hat die FDP so massiv attackiert, dass der Verdacht aufkommen kann, die Angriffe hätten die Liberalen erst stark gemacht.

Das wird Konsequenzen haben. Jetzt stehen Koalitionsverhandlungen an. Da geht es nicht nur um Programme, auch um Positionen und Posten. Da hat die CSU wenig zu fordern. Die FDP wird auf das Wirtschaftsressort zugreifen wollen, wenn sie das Finanzministerium - ihre erste Option - nicht kriegt. Dann muss Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) weichen - womöglich auf die Hardthöhe, wo man wenig gewinnen, aber viel verlieren kann. Das schwache CSU-Abschneiden gibt Merkel freie Hand. Und sonst? Viel hängt von Wolfgang Schäuble ab. Will er EU-Kommissar werden? Dann rückt wohl Kanzleramtsminister Thomas de Maizière ins Innenressort, der längst als ministrabel geltende Norbert Röttgen könnte ihn im Kanzleramt ersetzen. Fragen bleiben: Erfüllt die Kanzlerin den Wunsch von Ursula von der Leyen und gibt ihr das Gesundheitsressort? Bleibt Annette Schavan Bildungsministerin? Sie möchte es.

Und bei den Liberalen? Schon gehen auch bei ihnen die personellen Begehrlichkeiten los. "Bei dem Bomben-Ergebnis haben wir Anspruch auf fünf Ministerposten", fordert ein Liberaler. Westerwelle dürfte sich zügeln. Schließlich ist es nicht so gut, in vier Jahren für fünf statt vier Fachbereiche haftbar gemacht zu werden. Zudem macht es aus FDP-Sicht Sinn, bei der Zahl der Ministerposten nicht in die Vollen zu gehen, um für die Sachverhandlungen noch ein Faustpfand zu haben.

Klar, Westerwelle wird Vizekanzler und nach dem Auswärtigen Amt greifen. Wen er noch berufen wird, ist sein Geheimnis. Hoffnungen machen sich drei aus der älteren Garde. Hermann-Otto Solms (69) würde gern Finanz-, Rainer Brüderle (64) Wirtschafts- und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (58) wieder Justizministerin werden. Auch die Jungen scharren mit den Hufen: Silvana Koch-Mehrin (38) will das Familien-, Daniel Bahr (33) das Gesundheits- und Otto Fricke (43) das Finanzressort. Einen kleinen Hinweis gibt Westerwelle, wer besonders hoch bei ihm im Kurs steht: Als er auf der Bühne steht, weist er ausdrücklich darauf hin, dass einige Spitzenliberale "die Ehre haben, mit hier zu stehen". Mit dabei sind Solms, Brüderle, Leutheusser-Schnarrenberger und Koch-Mehrin.

Die Ergebnisse, die Sitzverteilung und weitere Infos in unserem Wahl-Special

Immer noch zu viele. Aber so ist es eben. Nichts ist an diesem Abend ganz perfekt.