Sportliche Talfahrt, immense Verschuldung und ein Aufsichtsratchef Clemens Tönnies, der mit seinem Fleischimperium und der Corona-Pandemie erneut dem 04-Ruf schadet. Die Fans beklagen den Ausverkauf der Schalker Werte.
Gelsenkirchen/Stuttgart - Die Glückaufkampfbahn als altehrwürdig zu bezeichnen, ist aus Sicht eines jeden Schalkers eine unverschämte und maßlose Untertreibung. Auf einem Zechengelände in den 1920er-Jahren gebaut, steht die in Gelsenkirchen liebevoll genannte „Alte Dame“ für die großen Zeiten des einst riesengroßen FC Schalke 04. Denn in der Glückaufkampfbahn wurde nicht nur das berühmte Kurzpassspiel namens Schalker Kreisel geboren, hier holte Königsblau in den 1930er- und 40er-Jahren auch sechs deutsche Meistertitel. Und Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, die Erfolgsgaranten von damals, sind bis heute die größten Schalker Club-Legenden. Die alten Kumpel erlebten in der Kampfbahn ihre Hochzeit.
Das Schalker Herz blutet
Hier, am Herzen des Vereins, wurde am Dienstag deutlich, warum das Schalker Herz blutet. Am Eingang des alten Stadion brachten einige Fans ein frisch gepinseltes Plakat an. Darauf stand: „Keine Ausbeutung bei S04 – Tönnies raus!“ An einer Brücke unweit der Kampfbahn hing noch ein Banner mit der Forderung: „Keine Rassisten auf Schalke!“
Das zeigte, dass es brodelt auf Schalke, und das nicht nur aufgrund der desaströsen Rückrunde, die Wasser auf die Mühlen der verärgerten Fanseele ist. Denn nicht nur sportlich laufen die Dinge im Juni 2020 schief – Eigentore schießt Schalke auch neben dem Platz.
Clubführung im Zentrum der Kritik
Längst ist die Clubführung des Revierclubs im Zentrum der Kritik. Und aktuell, na klar, konzentriert sich die Wut der Anhängerschaft mal wieder auf den Aufsichtratsvorsitzenden Clemens Tönnies. Der Fleischfabrikant aus Rheda-Wiedenbrück, der wegen der massenhaften Corona-Infektionen in seinem Unternehmen den von diesem Mittwoch an wirksamen Lockdown im Kreis Gütersloh zu verantworten hat und ums Überleben seines Imperiums kämpft, steht im Fokus der Attacken der Anhänger. Viele treibt die Sorge um, dass sich die Krise im Tönnies-Unternehmen auf den Club ausweiten könnte.
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„Schalke ist kein Schlachthof! Gegen die Zerlegung unseres Vereins“, lautet das markige Motto mehrerer Fanorganisationen, die für Samstag eine Demonstration ankündigt haben. Mit einer Menschenkette rund um das Vereinsgelände am Berger Feld und die Veltins-Arena wollen die Anhänger von 15.30 Uhr an während des Spiels beim SC Freiburg demonstrieren.
Ultras melden sich zu Wort
Bereits am Montag hatten sich die Ultras Gelsenkirchen in einem offenen Brief zu Wort gemeldet und mit den Clubchefs abgerechnet. Die mit rund 1000 Mitgliedern größte Schalker Fangruppierung bezeichnet die gesamte Saison als „moralische Bankrotterklärung“ und beklagt den „Ausverkauf der Schalker Werte, die zu Marketing-Zwecken zwar gern benutzt, ansonsten aber mit Füßen getreten werden“. Für die desaströse sportliche Entwicklung mit 15 Spielen ohne Sieg wird nicht Trainer David Wagner verantwortlich gemacht, im Gegenteil: „Die elementaren Probleme unseres Vereins liegen nicht auf dem Platz“, heißt es.
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Die Schalker Führung reagierte am Dienstagmittag mit einer Erklärung. „Wir haben Verständnis für die Fans und Mitglieder“, so die Vorstände Jochen Schneider und Alexander Jobst. Und weiter: „Wir glauben, nur im Dialog lässt sich das Vertrauen für eine bessere Zukunft zurückgewinnen, wir sind dazu jederzeit bereit.“
Wie auch immer – die Liste der Vorwürfe an die Clubführung ist lang. Da ist der nicht nur in der Fanszene als unfair und unverschämt wahrgenommene Umgang mit Karteninhabern, die ihren Anspruch auf Rückzahlung bereits bezahlter Ticketgelder in der Corona-Pandemie mit einem Härtefallantrag begründen sollten. Da ist auch die Kündigung von 24 geringfügig Beschäftigen im Fahrdienst der Nachwuchsabteilung Knappenschmiede.
Ausgliederung im Wartestand
Und da ist auch die von Tönnies befeuerte Diskussion um die von den Fans abgelehnte Ausgliederung der Profi-Abteilung. Angeblicher Kandidat als Geldgeber und Teilhaber ist, genau: Clemens Tönnies. Das Thema – falls es eines war – dürfte sich nun in Anbetracht der Turbulenzen in seiner Firma und Tönnies’ Imageschaden erst mal erledigt haben.
Der 64-Jährige ist seit der Debatte um seine von vielen als rassistisch wahrgenommenen Äußerungen gegen Afrikaner als Gastredner bei einem Unternehmer-Treffen in Paderborn im August 2019 und dem merkwürdigen Umgang damit durch Schalkes Ehrenrat ohnehin längst angezählt – was auf finanzieller Ebene auch für den gesamten Verein gilt.
Denn die Finanznot ist groß, fast 200 Millionen Euro Schulden belasten die Knappen, die die Corona-Krise an den Rand der Existenz gebracht hat. Dazu kommt die desaströse Rückrunde, die den Sportvorstand Jochen Schneider (ehemals Sportdirektor des VfB Stuttgart) nicht davon abhält, ein Treuebekenntnis zum Coach abzugeben: „Ich stehe weiter bedingungslos hinter David Wagner“, sagte Schneider nun unserer Zeitung.
Ansonsten ist von einem Zusammenhalt im Revier der alten Kumpel gerade recht wenig zu spüren.