Bereit für die erste Liga: Ingolstadts Trainer Ralph Hasenhüttl. Foto: Getty

Tradition gibt es kaum, viele Anhänger sind auch nicht da, und der große Sponsor zahlt alles. Dieses Bild zeichnen viele Fans vom FC Ingolstadt. Dabei lohnt es sich, genauer hinzusehen – denn die Schanzer überzeugen mit Leidenschaft und mit Weitsicht.

Stuttgart/Ingolstadt - Es muss schwer sein, sich für einen Erfolg rechtfertigen zu müssen. Wer fast alles richtig gemacht hat in der jüngeren Vergangenheit, wer einen klugen Plan verfolgte und diesen umsetzte, der will hinterher eigentlich nur erzählen, warum alles so gut geklappt hat. Und nicht hören, dass das ja eigentlich jeder geschafft hätte. Mit all dem Geld. Mit dem großen Sponsor im Rücken. Bei diesem Plastikclub.

Ralph Hasenhüttl (47) ist ein leidenschaftlicher Mensch, was sich im täglichen Training und an der Seitenlinie zeigt, wenn er seine Profis mit Herzblut nach vorne treibt. Der Trainer des FC Ingolstadt, er ist emotional, und er ist auch dann voll in seinem Element, wenn es darum geht, mit den Vorurteilen aufzuräumen, mit denen der Erstliga-Aufstieg des FCI gerne mal verbunden wird. Audi pumpt ordentlich Geld in den Verein, und nur deshalb ist jetzt der nächste Retortenclub ohne Tradition in der ersten Liga gelandet – das sind sie, die recht weit verbreiteten Ansichten über den FC Ingolstadt. Ralph Hasenhüttl sagt: „Damit habe ich ein Problem.“

"Wir sind kein Werkverein"

Und dann packt sie ihn, die Leidenschaft. Im Staccato-Takt nimmt er den Kampf gegen die Kritiker auf. „Wir sind kein Werkverein. Wir werden nicht von einem Unternehmen gesteuert.“ Klar sei mit Audi ein großer Partner im Rücken, ergänzt der Coach: „Aber ich verstehe nicht, was verwerflich daran sein soll, wenn ein Sponsor sich im Fußball engagiert. Mich nervt diese Doppelmoral.“ Das Geld des FCI, es scheine zu stinken, meint Hasenhüttl: „Aber Dortmund und Bayern leben auch nicht von den Zehn-Euro-Karten auf der Stehtribüne. Schalke wird von einem Unternehmen aus Russland gesponsert. Bei uns investiert eine Firma, die ihren Sitz in der Region hat, und das soll dann schlecht sein.“

Nun wird es allerdings auch Ralph Hasenhüttl nicht wegdiskutieren können, dass beim FCI verdammt viel im Zeichen der vier Audi-Ringe steht. Ingolstadt ist Audi-Stadt. Es gibt 130 000 Einwohner – und 31 000 Audi-Mitarbeiter. Dem größten Arbeitgeber der Region gehört das Stadion mit seinen 15 000 Plätzen, das Trainingsgelände und das Vereinszentrum. Der Audi-Anteil an den gesamten Sponsoreneinnahmen des FCI beträgt rund 50 Prozent, was einen geschätzten Betrag von rund acht Millionen Euro bedeutet. Die Profifußball-Abteilung ist ausgegliedert in die FC Ingolstadt Fußball GmbH, die hundertprozentige Audi-Tochter Quattro GmbH hält 19,94 Prozent der Anteile.

Ist der FC Ingolstadt also ein Retortenclub, bei dem alles mit dem Großsponsor steht und fällt und den die Konkurrenz in der ersten Liga aufgrund horrender Sponsoreinnahmen fürchten muss? Mitnichten.

Jahresetat lag zuletzt bei 8,5 Millionen Euro

Wer genau hinschaut, der stellt schnell fest, dass der FCI kein Verein ist, der mit dem Sponsorengeld nur so um sich wirft. Der Jahresetat lag zuletzt bei 8,5 Millionen Euro – unteres Zweitliga-Mittelfeld. Zum Vergleich: Der mit Red-Bull-Millionen gestopfte Mitkonkurrent RB Leipzig gab diese Summe allein in der vergangenen Winterpause für Verstärkungen aus. Und stieg am Ende nicht auf.

„Das Geld von Audi“, sagt Ralph Hasenhüttl, „fließt bei uns vorrangig in infrastrukturelle Dinge, in die Nachwuchsabteilung und unser Jugendhaus.“ Die Zweitliga-Meisterschaft ist das eine – dass das Nachwuchsleistungszentrum des FCI zuletzt die Topbewertung von drei Sternen durch den DFB erhielt, ist die andere, noch verborgene Seite des FC Ingolstadt. Dass der Verein jährlich rund 3,5 Millionen Euro an Kaltmiete für die Nutzung der Sport- und Büroflächen an Audi zurücküberweist, ist auch nicht landläufig bekannt.

Sind die Schanzer – so werden die Ingolstädter genannt, weil die Stadt im 16. Jahrhundert zur bayerischen Landesfestung (einer Schanz) ausgebaut wurde – also ein Plastikclub? Sämtliche Verantwortliche des FCI bestreiten das, sie betonen gebetsmühlenartig, dass Audi keinen politischen Einfluss auf den Verein ausübe. Der Österreicher Hasenhüttl, früher Trainer des VfR Aalen, sagt: „Ich kann das beurteilen – denn in Aalen hat der Großsponsor Imtech die Vereinspolitik bestimmt.“

Ist das in Ingolstadt wirklich anders?

Doch ist das in Ingolstadt wirklich anders? Um sich ein Urteil bilden zu können, braucht es den Blick in die jüngere Vereinsgeschichte. Im Jahr 2004 erst ging der FC Ingolstadt aus einer Fusion des ESV und des MTV Ingolstadt hervor. Der Unternehmer Peter Jackwerth, ein Selfmade-Millionär aus Nördlingen, unterstützte den neu gegründeten Club finanziell, 2006 gelang dann der Aufstieg in die Regionalliga. 2008 glückte unter dem damaligen Trainer Thorsten Fink der Sprung in die zweite Liga. Audi entdeckte erst zu diesem Zeitpunkt das Potenzial und stieg als Sponsor ein.

Die Entwicklung in Ingolstadt verlief dann schneller, als alle Verantwortlichen gedacht haben. Im Jahr 2006 saßen die Mitarbeiter in einem Wohnhaus. Heute steht am Rand der Stadt die moderne Geschäftsstelle. Ex-Trainer Fink sagt: „Der FCI ist das Baby von Peter Jackwerth.“ Und nicht von Audi.

Der Sponsor traf auf einen – dank der Unterstützung Jackwerths – wachsenden Verein. Audi schuf den FCI nicht selbst, der Sponsor kam erst mit ins Boot, als der Zweitliga-Aufstieg schon geglückt war. Und seitdem ging es gemeinsam nach oben – ohne horrende Sponsoring-Einnahmen für den Club. „Wir haben wenig Tradition, aber mit dem MTV und dem ESV unsere Wurzeln“, sagt Ralph Hasenhüttl, „und seit 2004 schaffen wir eine eigene Tradition.“

Der FCI, er ist so etwas wie ein ganz normaler Profiverein – mit der Anbindung an einen Großsponsor. Trainer wie Thorsten Fink, Michael Wiesinger oder Tomas Oral kamen und gingen in den vergangenen Jahren. Vater des aktuellen Erfolgs ist Ralph Hasenhüttl. Der Coach übernahm den FCI im Oktober 2013, als der Club in Abstiegsgefahr schwebte. Auch jetzt gibt es keine Hochkaräter im Kader, doch Hasenhüttl formte ein gefestigtes Team, in dem jeder für den anderen rennt und kämpft.

Er schaffte ein motivierendes Klima ohne Angst, mit Freiheiten und einem hohen Maß an Verantwortung für jeden Einzelnen. Diese Grundidee übertrug der Coach auf das gesamte Umfeld. „Man muss die Leute mitnehmen, um sie zu begeistern“, sagt er. Wenn er an die Entwicklung seiner Mannschaft denke, müsse er sich manchmal kneifen, meint Hasenhüttl: „Das ging alles so wahnsinnig schnell, das hat keiner so erwartet.“

Nun steht der FCI in der ersten Liga – und will an der Kaderstruktur festhalten. Große Investitionen auf dem Transfermarkt sind nicht geplant. „Wir wollen mit den Jungs, die aufgestiegen sind, weitermachen“, sagt Vereinschef Peter Jackwerth, und Sportdirektor Thomas Linke, ehemals Verteidiger beim FC Bayern, ergänzt: „Das Team hat noch ein, zwei, drei Jahre Zeit, um in der Form miteinander zu spielen.“ Junge, aufstrebende Profis wie Pascal Groß (23), Mathew Leckie (24), Lukas Hinterseer (24) oder Danilo Soares (23) bilden das Gerüst des Teams. Der Etat des FCI wird dank steigender TV-Einnahmen auf rund 20 Millionen Euro angehoben. Und Ralph Hasenhüttl sagt: „Es soll bloß keiner sagen, dass wir hier nachlassen.“

Zulegen will der FCI, was den Fan-Zuspruch angeht. Einem 2004 gegründeten Oberliga-Verein laufen die Anhänger nicht gerade zu, der Zuschauerschnitt in der zweiten Liga betrug zuletzt 9891. Eine Klasse höher soll das besser werden. „Die Kinder“, sagt Peter Jackwerth, „sind unsere Zukunft. Die fangen an, sich für uns zu begeistern.“