Exzentriker zwischen den Welten: der Pianist Fazil Say Foto: Borggreve

Im Beethovensaal hat der türkische Pianist Fazil Say die Reihe der „Meisterpianisten“ eröffnet – mit einem Abend zwischen Genie und Wahnsinn.

Stuttgart - Manchmal kann er fliegen. Dann lässt Fazil Say nicht nur die linke Hand über den Tasten in die Luft schnellen, sondern verleiht auch dem Flügel Flügel. Dann findet einer der Kreativsten unter den pianistischen Exzentrikern Klänge, die Welten öffnen.

Als der türkische Pianist am Dienstagabend im Beethovensaal die Reihe der „Meisterpianisten“ eröffnet, bleibt er allerdings erst einmal am Boden. Mozarts (viel zu) oft gegebene A-Dur-Sonate KV 331 hat er nicht nur gespielt, er hat sie hingerichtet, vor allem im ersten Satz: mit willkürlich gesetzten Verzögerungen und Beschleunigungen des Tempos, mit grobschlächtig auf Effekt getrimmten Akzenten. Im „Türkischen Marsch“ darf die linke Hand zwar Widerborstiges akzentuieren, aber die bombastischen Fortissimo-Akkorde zum Schluss machen glauben, hier öffne sich gleich das große Tor von Kiew.

Folgerichtig wäre es eigentlich gewesen, wenn Say hier seine eigene, jazzige Version des Stücks dargeboten hätte – so frei ist seine Darbietung und so weit weg auch von Mozarts Singen, das ja oft dann am eindrucksvollsten und stimmigsten wirkt, wenn es schlicht bleibt und ohne Mätzchen. Genau so ist es anschließend in der F-Dur-Sonate des Komponisten (KV 332) immer wieder zu hören. Der erste Satz mit seinen metrischen Verschiebungen, der zweite mit seinen weiten Bögen: Sie werden hier Sang und Klang, und bei seiner eigenen, politisch motivierten, hoch energetischen Programmmusik-Sonate „Gezi Park 2“ wie auch bei vier Préludes von Debussy, in denen lustige Spielleute („Ministrels“) vorüber torkeln und ein sommernachtsträumender Puck über die Bühne huscht, fliegt Fazil Say weiter in unerhörte Welten. Zwischen Genie und Wahnsinn liegen manchmal nur wenige Takte oder Noten. Aber sich bei diesem Künstler zu langweilen, ist schlicht unmöglich, denn er wagt etwas. Und beweist, dass selbst das objektiv Falsche um Welten besser ist als ein Solides, das nichts zu sagen hat.