Das Riechen gilt als das vermutlich älteste Sinnessystem. Foto: dpa

Auch in der Gegenwart hat der Geruchssinn mehr Macht, als man denkt. Wozu sind Gerüche da? Warum wecken Düfte Erinnerungen? Kann man geruchsblind sein? Wir klären wichtige Fragen.

Wie alt ist das Riechen?
Schon die primitiven Bewohner des Urmeers waren in der Lage zu riechen. Das war lange vor den Dinosauriern und Jahrmillionen bevor Geruchsmoleküle durch die Luft schwebten. Diese waren zunächst im Wasser zu Hause. Das Riechen gilt als das vermutlich älteste Sinnessystem. Als sich bei den Wirbeltieren die jüngeren Wahrnehmungsorgane bildeten und damit das Hören und Sehen ermöglichten, entwickelte sich das Riechhirn zugunsten der Großhirnrinde zurück. Längst wird der visuellen und auditiven Wahrnehmung eine höhere Bedeutung beigemessen als dem Riechen. Doch gerade weil der olfaktorische Sinn, wie der Riechsinn offiziell heißt, oft unbewusst wirkt, ist er machtvoller als angenommen.
Wozu sind Gerüche da?
Ob anziehend oder abstoßend: Gerüche dienen der nonverbalen Kommunikation und sind oft schon aus weiter Entfernung wahrnehmbar. Fruchtig-süß locken sie Lebewesen zu Nahrungsquellen, lenken unterschwellig die Partnerwahl oder warnen mit Fäulnisnoten vor Verdorbenem. Auch andere Gefahren lassen sich wittern: beispielsweise Brand- und Fäkalgerüche. In der Tierwelt steuern Duftnoten zudem das Sozialverhalten, etwa durch das Markieren von Revieren.
Wie funktioniert die Nase?
Das Riechen zählt wie das Schmecken zu den chemischen Sinnen, da sich Duft- und Geschmacksstoffe aus chemischen Molekülen zusammensetzen. Über die Luft gelangen die riechbaren Moleküle in die Nase, die zunächst kaum mehr als ein Kaminschacht ist. Hier wird die Atemluft gereinigt, erwärmt und befeuchtet, aber noch nicht gerochen. Die eigentliche Geruchswahrnehmung findet in den Riechepithelen in den oberen, seitlichen Nasenhöhlen statt. Diese Schleimhäute auf der Fläche einer Ein-Euro-Münze befeuchten die Duftmoleküle abermals, lösen sie und helfen beim Transport zu den Abermillionen Sinneszellen, die auf bestimmte Moleküle spezialisiert sind. Hat eine Riechsinneszelle – bestehend aus Nervenfaser, Zellkörper und verästelten Zilien – ihr passendes Duftmolekül gefunden, wird diese chemische Information mit Hilfe verstärkender Botenstoffe in ein elektrisches Signal übersetzt, in den Riechkolben weitergeleitet und ausgewertet. Direkt über der Nasenwurzel sitzt gewissermaßen das Rechenzentrum für Gerüche. Da jeder Geruch jedoch eine Komposition aus mehreren olfaktorischen Molekülen ist, reagieren dort auch verschiedene Riechknötchen, Glomeruli genannt. Diese bilden ein Geruchsmuster, das sich erneut abrufen lässt, wenn zu einer anderen Zeit der gleiche Duft in die Nase steigt. Besonders erstaunlich: Fehlen dann einzelne Duftmoleküle, entsteht das einmal gelernte Muster dennoch. Das Gehirn ergänzt die Leerstellen eigenständig.
Warum wecken Düfte Erinnerungen?
Oft fehlen einem in solchen Momenten die Worte, aber eines ist ganz klar: Gerüche aus der Kindheit erkennt der Mensch auch Jahrzehnte später wieder. Das lässt sich wissenschaftlich genauso erklären wie die Tatsache, dass manche Düfte unseren Verstand ausschalten. Vom Riechkolben aus gelangen Duftinformationen direkt ins Limbische System des Gehirns. Dort sitzen die Emotionen, Erinnerungen, Instinkte und Triebe. Der Geruchsforscher Hanns Hatt, Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum, über die Folgen: „Kein anderer Sinn kann so unmittelbare Veränderungen in unserem Hormonhaushalt und unserem Verhalten bewirken wie das Riechen.“ Dringen aus einem Küchenfenster verführerische Speisedüfte, läuft einem auch ohne Hunger das Wasser im Mund zusammen. Und noch bevor ein Geruch eingeordnet oder gar mit Worten beschrieben wird, hat das Gehirn sein Urteil längst gefällt: angenehm oder zum Davonlaufen.
Welches Säugetier hat die Nase vorn?
Fürs Schnuppern sind beim Menschen 347 Gene aktiv. Das ist nicht einmal halb so viel wie bei Hunden und ein Beleg dafür, dass der Homo sapiens auch ohne Geruchssinn überleben könnte. Allerdings sind zahlreiche fürs Riechen zuständige Gene im Menschen zwar stillgelegt, aber nicht gänzlich verloren gegangen. Im vergangenen Jahr veröffentlichten japanische Wissenschaftler, dass die Ratte mit 1200 Geruchsgenen zwar ein weitaus feineres Näschen hat als jeder Wauwau. Doch unter 13 Säugetieren (einschließlich Mensch) hat der Afrikanische Elefant mit 2000 olfaktorischen Genen den Rüssel vorn.
Wie schnuppern Ungeborene?
Im Mutterleib geht es zu wie im Urmeer. Die Duftmoleküle schwimmen im Fruchtwasser umher und werden vom Fötus durch Mund und Nase aufgenommen. Und mit jeder Mahlzeit der werdenden Mutter verändert das Fruchtwasser Duft, Aroma und Geschmack. Die gustatorischen und olfaktorischen Rezeptoren eines Fötus bilden sich parallel zum Gesicht heraus, also etwa ab dem dritten Monat nach der Zeugung. Zum Zeitpunkt der Geburt erkennt ein Neugeborenes seine Mutter bereits an ihrem Geruch. Auch den Weg zur Milch findet ein Säugling mit der Nase. Busen oder Flasche sieht er anfangs kaum.
Macht der Geruch den Geschmack?
Jeder, der je einen Schnupfen hatte, kennt die Erfahrung: Ist die Nase zu, kann man das Schmecken nahezu vergessen. Von Aromen keine Spur.
Sie steigen beim Essen und Trinken auch durch den Rachenraum in die Nase, nehmen quasi den Hintereingang. Ist die Nase aber verstopft, melden die Geschmacksknospen nur noch süß, salzig, bitter oder sauer, Scharfes wird mit Schmerzsignalen erkannt. Das Zusammenspiel von Geschmackssinn und Geruchssinn ist gestört. Auch jeder Weinverkoster weiß: Auf die Nase kommt es an, will man möglichst viele Nuancen eines guten Tropfens erfassen.
Was bringt schnüffeln?
Von vielen Tieren, aber auch von Sommeliers und Parfümeuren kann man das Schnüffeln lernen, um schwache Geruchsnoten besser zu erfassen. Während beim normalen Atmen und Riechen die rechte und linke Nasenhälfte abwechselnd Pause machen, damit sich ihre Riechzellen regenerieren, sind beim rhythmisch-schnellen Ein- und Ausatmen beide Nasenhälften und damit auch beide Riechschleimhäute in der oberen Nasenhöhle aktiv. So stehen doppelt so viel Sinneszellen zur Verfügung, um die eintreffenden Duftmoleküle zu erkennen. Reagieren nur wenige Sinneszellen, fällt die Reizung für ein Signal ans Gehirn zu gering aus. Auch wenn der Mensch mit jedem Atemzug Geruchsmoleküle aufnimmt, hat er daher nicht immerzu einen Duft in die Nase.
Hat jedes Ding seinen Duft?
Jedes Lebewesen und sehr viele Substanzen riechen irgendwie. Dabei gilt: Warmes riecht stärker als Kaltes, Weiches intensiver als Hartes. Feste Stoffe verflüchtigen sich schließlich weniger leicht. Glas, Stein und Metalle sind an sich geruchlos, können aber fremde Gerüche annehmen oder mit bestimmten Substanzen, etwa mit Schweiß, reagieren und dann Duftstoffe aussenden. Dass der Mensch dennoch meint, Eisen habe einen Eigengeruch, ist eine Täuschung und hängt mit einer olfaktorischen Erfahrung zusammen, die Gefahr im Verzug meldet. Kommt das Schwermetall mit einem bestimmten Enzym des Hautfetts in Berührung, oxidiert es. Das riecht dann ganz ähnlich, wie wenn sich eisenhaltiges Blut auf der Haut verteilt.
Wie stark riecht der Mensch?

Um die Luftqualität in Innenräumen, insbesondere in Büros, besser bestimmen zu können, hat der dänische Wissenschaftler Ole Fanger 1988 eine neue Maßeinheit für die Stärke einer Geruchsquelle geschaffen: den Olf (nach lateinisch Olfactus: Geruchssinn). Demnach ist die Geruchsemission einer Person, die pro Tag 0,7-mal duscht, bei leichter, sitzender Tätigkeit ein Olf. Ein spielendes Kind von zwölf Jahren bringt es auf zwei Olf, ein starker Raucher erreicht 25 Olf, ein Athlet nach dem Sport sogar 30 Olf. Die Maßeinheit sagt nichts darüber aus, ob die abgegebenen Gerüche dufte sind oder stinken, sie klassifiziert allein die Intensität.

Kann man geruchsblind sein?
Gemähtes Gras, frisch gebrühter Kaffee, ein Baby auf dem Arm, aber keinen Duft in der Nase. Der Verlust des Riechsinns wird Anosmie genannt und tritt etwa bei fünf Prozent der Bevölkerung auf. Je älter der Mensch wird, desto mehr nimmt der Geruchssinn ab oder schwindet sogar ganz. Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, wie das ist, kann das 2009 erschienene Buch „Wie riecht Leben? – Bericht aus einer Welt ohne Gerüche“ des österreichischen Schriftstellers Walter Kohl lesen. Autobiografisch beschreibt er dort das Fehlen der Gerüche als Folge eines Fahrradunfalls.
Gibt es das Maiglöckchen-Phänomen?
Der Bochumer Geruchsforscher Hanns Hatt wollte 1999 herausgefunden haben, dass Spermien mit Duft-Andock-Stationen ausgestattet sind. Vier Jahre später stand die These im Raum, Spermien würden vom Maiglöckchen-Duftmolekül eines fruchtbaren Eis angezogen. Doch das erwies sich als unhaltbar. Wissenschaftler aus Bonn und Jülich widerlegten die These und wiesen 2013 nach, dass Spermien von dem hormonellen Lockstoff Progesteron geleitet werden, der an sogenannte Cat-Sper-Kanäle andockt. Mit Duftstoffen und Riechsignalen hat das Wunder der Zeugung also doch nichts zu tun.