Die Exporte von Baden-Württemberg nach Russland sind angesichts der Krise rückläufig – besonders betroffen ist der Maschinenbau Foto: tashatuvango/Fotolia

Politikexperten haben wenig Hoffnung, dass der von Kanzlerin Angela Merkel mitvereinbarte Waffenstillstand in der Ukraine lange anhält. Michael Harms, Chef der Auslandshandelskammer in Moskau, sagt, warum er an das Abkommen glaubt.

Herr Harms, die Europäische Union will die Sanktionen gegenüber Russland trotz des vereinbarten Waffenstillstands nicht lockern. Was halten Sie davon?
Wenig. Die Sanktionen schaden der Wirtschaft auf beiden Seiten. Insgesamt halten 42 Prozent der deutschen Unternehmen in Russland Sanktionen für ein ungeeignetes Mittel, um Konflikte zu lösen. Wenn Russland im Sinne eines Waffenstillstands auf die Europäische Union (EU) zugeht, sollte die EU auch die Sanktionen gegenüber Russland lockern.
Allerdings halten die meisten Experten den Waffenstillstand für sehr wackelig.
Ich halte es für einen Erfolg, dass es gelungen ist, die Parteien an einen Tisch zu bekommen und einen Kompromiss zu finden. Dass viele das Ergebnis jetzt gleich schlechtreden, ist der Situation nicht zuträglich. Ich bin optimistisch, dass sich alle Beteiligten an das Abkommen halten und dass der Waffenstillstand der erste Schritt bei der Befriedung des Konflikts ist.
Viele sehen in Putin den Sieger, der bei den Verhandlungen das letzte Wort gehabt hat.
Ich finde es nicht wichtig, ob es bei den Verhandlungen einen Sieger gibt und wer das sein könnte. Wichtig ist doch nur, dass sich die Lage in der Ukraine so schnell wie möglich entspannt. Was die Zusammenarbeit mit den russischen Geschäftspartnern hier vor Ort betrifft, kann ich sagen, dass der Einsatz von Kanzlerin Angela Merkel insgesamt als positiv wahrgenommen wird und dass sie als zentraler Verhandlungspartner anerkannt und respektiert wird.
Der ukrainische Botschafter hat gesagt, dass von den Abkommen, die Russland in der Vergangenheit unterschrieben hat, am Schluss nur ein Fetzen Papier übrig geblieben ist. Warum sollte sich Russland dieses Mal an die Abmachung halten?
Ich verstehe das Misstrauen des ukrainischen Botschafters nur in Teilen. Denn Russland hat doch keinerlei strategisches Interesse an den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine. Für Russland stellt dies einen Unsicherheitsherd direkt vor der Haustür dar. Und außerdem ist der Konflikt unheimlich teuer für Russland.
Wegen der Kosten für die militärische Unterstützung?
Das liegt zum einen an den Kosten für humanitäre Hilfsleistungen, aber offensichtlich auch an den Kosten für die militärische Unterstützung der Separatisten. Außerdem ist Russland durch die Krise wirtschaftlich in die internationale Isolation geraten.
Mit welchen Folgen?
Die Investitionen ausländischer Wirtschaftspartner in Projekte in Russland sind eingebrochen. Auch die rund 6000 deutschen Unternehmen, die in Russland einen Standort haben, investieren nicht mehr. Insgesamt haben deutsche Unternehmen aufgrund der Krise Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe zurückgestellt. Gleichzeitig leidet die Wirtschaft natürlich unter dem Ölpreisverlust. Öl ist für die russische Wirtschaft eine der wichtigsten Einnahmequellen. Und dazu kommt der Einbruch des Rubel, der dazu führt, dass importierte Güter für die Russen fast unerschwinglich werden.
Wie lange kann Putin noch mit dem Rückhalt der russischen Wirtschaft rechnen, angesichts der katastrophalen Lage, in die er das Land wirtschaftlich bringt?
Das muss man von zwei Seiten sehen. Auf der einen Seite gibt es wirtschaftspolitische Entscheidungen, die von der russischen Wirtschaft seit Jahren – auch offen – kritisiert werden. Da geht es beispielsweise darum, dass dringend notwendige Reformen nicht umgesetzt werden, oder auch um staatlichen Protektionismus. Was allerdings Putins außenpolitische Linie betrifft – wie etwa Gegensanktionen –, da steht die Wirtschaft weitgehend geschlossen hinter ihm.
Viele Unternehmen rechnen damit, dass 2015 wirtschaftlich noch viel schwerer wird.
Dieses Jahr geht die Krise richtig los. Aufgrund der Sanktionen und des Rubelverfalls werden die Exporte von Deutschland nach Russland weiter einbrechen. Das ist für exportstarke Länder wie Baden-Württemberg natürlich besonders schmerzhaft. Aber auch, was die Absatzmöglichkeit der Unternehmen betrifft, die sich hier vor Ort befinden, wird 2015 noch schwieriger, als es im vergangenen Jahr war. Denn die Sanktionen gegenüber Russland sind ja erst im Sommer in Kraft getreten. Außerdem hat der Rubelverfall gegen Ende des Jahres noch einmal dazu geführt, dass die Menschen in der Befürchtung steigender Preise noch mehr bei deutschen Unternehmen eingekauft haben als sonst. Dieser Effekt fällt in diesem Jahr weg. Was bleibt, ist die Rezession, in der Russland steckt, und die Unsicherheit, wie es weitergeht.
Welche Konsequenzen hat das für die deutschen Unternehmen vor Ort?
Ich habe bisher von keinem deutschen Unternehmen gehört, dass es den russischen Markt verlassen will. Allerdings müssen die Unternehmen extrem Kosten sparen.
Das heißt: Stellenabbau?
Ja. 30 Prozent der Unternehmen sagen, dass sie ihr Personal reduzieren müssen.
Sie persönlich sind seit 2007 vor Ort in Moskau. Sind dies die schwierigsten Zeiten, die Sie in Russland je erlebt haben?
Ehrlich gesagt ist es zurzeit sehr schlimm vor Ort. Wir sind hier in Moskau natürlich viel näher an den Geschehnissen als in Deutschland, wo man sich vielleicht gar nicht so bewusst ist, dass in der Ukraine ein Krieg herrscht. Jeden Tag gibt es neue Meldungen von Toten und Verletzten – und aufgrund der Nähe zur Ukraine befinden sich in meinem Umfeld einige Menschen, die direkt von Verlusten betroffen sind.