Ob es einem passt oder nicht: Gendern gehört immer mehr zum guten Ton. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Wie gehen Unternehmen, Kommunalverwaltungen, Kultur und Hochschule mit Genderstern und Co. um? Eine Umfrage ergibt ein uneinheitliches Bild. Eine Firma will sich überhaupt nicht zu dem Thema äußern.

Kreis Esslingen - Gendern ist in aller Munde. Vielleicht (noch) nicht der Glottisschlag, jene Pause mit Knackanlaut, die die diversen grafischen Zeichen vom Sternchen bis zum Gender-Gap vertreten soll. Aber was jede(r) in den Mund nimmt, ist wahlweise das Zetern über angebliche Sprachverhunzung oder das Klagen über angebliche Diskriminierung derer, die sich einer nicht-binären Geschlechtlichkeit oder einer Diversität ganz ohne Geschlechterschema zugehörig fühlen. Gendern ist so oder so ein Aufreger. Und wem das Thema schnuppe ist, der oder die hat sich trotzdem schon entschieden. Und zwar falsch, da sind sich die Empörten beiderlei Couleur ausnahmsweise einig: weil er oder sie sich nicht für oder gegen das Gendern ereifert.

 

Unter Jüngeren fast schon normal

Kurzum: Man kommt nicht drumherum. Außer bei der Firma Pilz in Ostfildern: „Ich bitte um Verständnis, dass wir uns an der (polarisierenden) Diskussion zum Gendern nicht beteiligen möchten“, teilt Martin Kurth mit, PR-Mann des weltweit tätigen Automatisierungstechnik-Unternehmens. Auskunftsfreudiger gibt sich ein anderer Global Player im Kreis Esslingen, die Firma Festo, auf die Frage unserer Zeitung, wie man mit dem Gendern in der internen wie externen Kommunikation umgehe. Der besseren Lesbarkeit halber wähle man meist die männliche Form, sagt Festo-Sprecherin Sibylle Wirth. Also das sogenannte generische Maskulinum, das im Deutschen für beide Geschlechter stehen kann; eine Regel, gegen die die Gender-Fraktion Sturm läuft. Anlassbezogen, ergänzt Wirth, verwende Festo aber auch eine gendersensible Sprache, zum Beispiel bei Stellenausschreibungen. „Wir sind überzeugt: Eine offene, tolerante Denkweise fördern wir nicht, indem wir eine strikte Schreib- oder Ausdrucksweise vorgeben.“

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In vielen kommunalen und anderen öffentlichen Verwaltungen ist das Thema Gendern derzeit Gegenstand von noch nicht abgeschlossenen Diskussionsprozessen. Dabei geht es oftmals nicht um eine Grundsatzdebatte, sondern um die von Festo-Sprecherin Wirth beantwortete Frage, wie verbindlich Regelungen für alle Mitarbeitenden festgelegt werden sollen. Apropos Mitarbeitende: Das – nämlich das im Deutschen geschlechtsneutrale substantivierte Partizip – ist ein Lösungsansatz im Landratsamt. „Wir nutzen vorrangig genderneutrale Formulierungen“, sagt die Pressesprecherin Andrea Wangner. Also Mitarbeitende statt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende statt Studenten und Studentinnen, Pflegekraft statt Pflegerin oder Pfleger. Diskutiert wird trotzdem noch, und zwar kontrovers unter den Mitarbeitenden, erklärt Wangner. Gerade unter Jüngeren sei Gendern auch in der mündlichen Kommunikation fast schon normal. Generell mache man die Erfahrung, dass die hauseigene Praxis als Leitfaden Sicherheit biete. Dazu zähle auch der Verzicht auf grafische Symbole, weil sie „nicht barrierefrei darstellbar“, aber auch weil sie laut Deutschem Rechtschreibrat nicht normgerecht seien. Notfalls begnüge man sich mit der männlichen und weiblichen Form. So verfährt auch die Stadt Ostfildern in ihrem Amtsblatt, teilt Sprecherin Petra Giacopelli mit. Ansonsten habe die Verwaltung nach einer Diskussion im Gemeinderat Leitfäden ins Intranet gestellt, vorerst aber gilt noch Gender-Freestyle: Die Kolleginnen und Kollegen entscheiden selbst, „in welcher Art und Weise sie gendern möchten.“

Auf der Landesbühne geht der Genderstern auf

Dieselbe Sprach-Lage herrscht in der Esslinger Stadtverwaltung, wo ebenfalls ein Leitfaden entwickelt werde, über den „die Verwaltungsspitze voraussichtlich Mitte März entscheiden wird“, sagt Sprecherin Nicole Amolsch. Andreas Baur, Leiter der Esslinger Städtischen Galerien, beruft sich allerdings auf eine bereits existierende Vorgabe des Kulturdezernats, die man befolge: Gendern mit Doppelpunkt. Reaktionen geben es fast nur aus den jüngeren Generationen – „wenn wir das Gendern mal vergessen. Es wird dann eingefordert.“

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Bei der Esslinger Landesbühne geht seit 2019 in allen öffentlichen Mitteilungen der Genderstern auf. Dramaturg Knut Spangenberg spricht denn auch von der „neuen Normalität“ des Genderns – einer Normalität allerdings auf Probe, denn: „Sollte sie sich als eine Art unbeholfene Sprachverbesserung oder gar als Akt einer Symbolpolitik erweisen, müssen wir sie überdenken.“ Allen gefällt sie sowieso nicht, einige Abonnenten reagierten mit „Unmut“. Die Grenze des Genderns ist an der WLB bei alten Stücken erreicht, deren Umtexten nicht in Frage kommt: „Einen historischen Text vor das Gericht der Gegenwart zu zerren, wäre eine unzulässige retrospektive Säuberung.“

Generisches Maskulinum ist tabu

An der Hochschule Esslingen gibt es verbindliche Regelungen, das generische Maskulinum werde nicht mehr verwendet, teilt die Gleichstellungsbeauftragte Gabriele Gühring mit. Die Ziele des Genderns – eine „wertschätzende Sprache“ für alle – stehen fest, die Mittel und Wege sieht man an der Hochschule durchaus noch in einer Erfahrungsphase. Bei der Suche nach der praktikabelsten Schreibweise gehe es auch darum, durch Ausschluss von Diskriminierung nicht neue Diskriminierung zu schaffen – etwa von sehbehinderten Menschen, denen das Lesen von bestimmten Symbol-Buchstaben-Kombinationen schwer fallen könnte.

Wie wird gegendert?

Männlich/weiblich
 Eine Vorform des Genderns ist das Binnen-I (AutorInnen).

Grafische Zeichen
 Im Gebrauch sind drei grafische Zeichen für die Nicht-Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht: Stern (Kolleg*innen), Doppelpunkt (Chef:innen) und Unterstrich, der sogenannte Gender-Gap (Erzieher_innen).  

Genderneutralität
Substantivierte Partizipien (Studierende, Geflüchtete) oder Worte, die keinen Geschlechtsbezug herausbilden (Pflegekräfte), werden teilweise als Ausweg aus dem Genderdilemma gebraucht. Dies ist umstritten, da jene Indifferenz die geschlechtliche Identität der Personen unterschlägt.