Kundschaft mit Sinn für das Besondere: Kleine Geschäfte mit einem unverwechselbaren Angebot können sehr zur Attraktivität der Innenstadt beitragen. Foto: Ines Rudel/Roberto Bulgrin

Der Strukturwandel in den Innenstädten macht auch vor Esslingen nicht halt. Damit die Stadt rechtzeitig die richtigen Weichen für die Zukunft stellt, hat die Stadt 2021 einen Strategieprozess auf den Weg gebracht. Ein Leitbild soll den weiteren Kurs weisen.

Quer durch die Republik stehen Innenstädte vor großen Herausforderungen: Die Gesellschaft und der Einzelhandel sind im Wandel, die Verkehrspolitik wirft grundsätzliche Fragen auf, der Klimawandel zeigt Wirkung, ein gedeihliches Miteinander ist nicht mehr für alle selbstverständlich. Solche Entwicklungen machen vor Esslingen nicht halt. Damit der Wandel gelingt, arbeitet die Kommune seit 2021 an einem Konzept für die Innenstadt der Zukunft. Unterschiedlichste Akteure haben Ideen und Ziele entwickelt – das Zielbild mündet in den Slogan „Esslingen – Jahrhunderte jung“. Im Verwaltungsausschuss wurde das Leitbild nun vorgestellt – Mitte Juni hat der Gemeinderat das letzte Wort. Spannend wird es jedoch erst, wenn die Konturen in den kommenden Jahren mit Inhalten gefüllt werden.

 

Individualität ist gefragt

Stadtmarketing-Chef Michael Metzler betont, dieses Projekt habe Vorbildcharakter, die breite Beteiligung sorge für ein differenziertes Bild. Das sieht auch der Strategieberater Frank Heinze so, der die Stadt auf ihrem Weg begleitet hat. Er rät Esslingen zu einer multifunktionalen Innenstadt, in der sich unterschiedlichste Angebote und Interessen treffen. So ließen sich die Risiken struktureller Veränderungen besser verteilen. Eine wichtige Erkenntnis aus der Onlinebefragung, an der sich mehr als 2000 Menschen beteiligt hatten: Anders als früher sind die großen Handelsketten nicht mehr zwingend die starken Frequenzbringer – „individueller Handel ist gefragt“, so Heinze. Eine Erkenntnis, die manche Ratsmitglieder hellhörig gemacht hat, nachdem zuletzt eine ganze Reihe inhabergeführter Geschäfte mit prägendem Charakter für die Innenstadt die Segel streichen musste.

Acht strategische Ziele stehen im Fokus: Unter dem Motto „Draußen ist das neue Drinnen“ soll die Stadt verstärkt auf die Aufenthalts- und Begegnungsqualität setzen. „Ich kenne keine Stadt, die solches Potenzial hat“, bescheinigte Frank Heinze den Esslingern. Mobilität, Verkehr und Netzinfrastruktur sollen so gestaltet werden, dass Esslingen als „Stadt der kurzen Wege“ erlebt wird und die Innenstadt mit allen Verkehrsmitteln bequem und umweltfreundlich erreichbar ist. In einer guten Mischung soll die Innenstadt qualitätsvolles Wohnen, Teilhabe und ein entspanntes Zusammenleben für alle bieten. Ein weiteres strategisches Ziel ist „vitale Vielfalt“ – dafür bedürfe es einer intakten, innovativen und individuellen Einzelhandels-, Gastronomie- und Dienstleistungslandschaft. „Eine große Bandbreite begeisternder Kultur- und Freizeiterlebnisse“ soll die Innenstadt zum „Epizentrum der Emotionen“ machen. Sie soll sich als „Zentrum der Stadt und Region“ präsentieren und mit ihren Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen das Gemeinwesen symbolisieren und dessen Entwicklung fördern. Mit Blick auf den Klimawandel und seine Folgen soll die Innenstadt beispielgebend für eine nachhaltige und klimaresiliente Umweltanpassung stehen. Und sie soll ein Lebensgefühl zwischen historischen Wurzeln und modernem Lebensstil repräsentieren.

300 Ideen in der Schublade

Einiges, was diesen strategischen Zielen folgt, wurde bereits auf den Weg gebracht, anderes ist noch in der Schublade. Rund 300 mögliche Maßnahmen wurden bereits zusammengetragen. Gibt der Gemeinderat grünes Licht, wird es in den kommenden Jahren gelten, jeden Gedanken auf Mach- und Finanzierbarkeit hin zu begutachten und zu überlegen, was die größte Wirkung verspricht. Der Zeithorizont reicht bis ins Jahr 2032, wobei sich bis zum Stadtjubiläum 2027 schon einiges getan haben soll.

Im Verwaltungsausschuss zeichnete sich breite Zustimmung zu den grundlegenden strategischen Zielen ab, wobei allen Beteiligten klar war, dass es noch vieler Anstrengungen bedarf, das Motto „Jahrhunderte jung“ mit Leben zu erfüllen. „Manches liest sich in diesem Konzept wie die Vision eines Innenstadt-Paradieses“, fand Christa Müller (SPD). Und Sven Kobbelt (FDP) tat sich angesichts vieler allgemein gehaltener Formulierungen schwer, „die Individualität Esslingens herauszulesen“. Doch diesen Einwand sah Strategieberater Frank Heinze gelassen: „Es gibt Themen, die man in vielen Städten angehen muss, aber es gibt auch vieles, was Esslingen unverwechselbar macht.“

Mut zum Risiko

„Der Gemeinderat gibt die grundlegende Zustimmung zu diesem Kurs, und die Verwaltung macht dann konkrete Vorschläge für einzelne Maßnahmen und deren Finanzierung“, skizzierte OB Matthias Klopfer das weitere Vorgehen. Für ihn drängen sich bereits einige Themen auf – etwa die Attraktivität des Marktplatzes, die Aufwertung des Wochenmarktes oder die Nutzung des bislang meist brachliegenden Platzes vor dem Amtsgericht. Was Klopfer bei alledem wichtig ist: „Man muss vieles ausprobieren und dabei auch mal Fehler machen dürfen.“

Wegweiser in die Zukunft der Esslinger Innenstadt

Das Projekt
 Seit 2021 hat die Stadt Esslingen mit Bürgerschaft, Experten und Vertretern relevanter Interessengruppen intensiv darüber diskutiert, wie die Innenstadt den Strukturwandel meistern kann, wohin sie sich entwickeln soll und wie die Ziele erreicht werden. Daraus ist ein Zielbild entstanden, das grobe Linien vorzeichnet. Für die Stadt, die verschiedenen Akteure und die Bürgerinnen und Bürger wird die Kunst nun darin bestehen, diese Konturen mit konkreten Inhalten auszufüllen.

Die Wünsche
 In einer Onlinebefragung, an der sich 2000 Esslingerinnen und Esslinger beteiligten, sowie in verschiedenen Veranstaltungen wurden die Schwerpunkte ermittelt. Ganz oben auf der Wunschliste der Befragten standen grüne Oasen, Treffpunkte wie die Stadtbücherei, die die höchste Zustimmungsrate unter den öffentlichen Einrichtungen hat, individuelle Einkaufsangebote, Veranstaltungen, Angebote am Wasser sowie Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Interessant: Überraschend gering ist der Wunsch nach großen Marken – individueller Handel ist gefragt.