Ralf und Michael Nagel waren das erste Paar in Baden-Württemberg, das im Landratsamt Böblingen eine Lebenspartnerschaft eintragen ließ. Das ist mehr als 20 Jahre her. Wie geht es ihnen? Und vor welchen Herausforderungen stehen sie heute?
In ihrem Wohnzimmer blicken Ralf und Michael Nagel tagtäglich auf das besondere Ereignis, das sie selbst als Meilenstein bezeichnen: Auf einem mannshohen Banner ist ein Foto der beiden Männer abgebildet, wie sie in einer Amtsstube des Landratsamtes Böblingen ihre eingetragene Lebenspartnerschaft unterzeichnen. Es war der 1. August 2001 um 11 Uhr, und die Nagels waren das erste Paar in Baden-Württemberg, das diesen Schritt vollzog.
Bevor das Banner kürzlich Einzug in ihr Wohnzimmer hielt, war es einige Wochen in einer Ausstellung zu „70 Jahre Baden-Württemberg“ zu sehen. Spätestens da dürfte den Nagels klar geworden sein: Sie verkörpern ein Stück Zeitgeschichte. Zuvor war es homosexuellen Paaren nicht möglich, offiziell den Bund fürs Leben einzugehen. „Uns war immer klar, wir wollen das machen, sobald es möglich ist“, sagt Michael Nagel. Das hieß für sie: gleich am erstmöglichen Tag.
Verwaltungsakt im Hinterzimmer
Wohnhaft waren sie damals in Leonberg, für den Verwaltungsakt mussten sie ins Landratsamt Böblingen fahren. Wirklich feierlich sei es dort nicht zugegangen, erinnern sich die beiden Männer, die seit 1989 ein Paar sind. „Angeblich wurden alle Sitzungsräume zu dem Zeitpunkt renoviert und der zuständige Oberaufsichtsbeamte meinte, er kriege sein Büro nicht aufgeräumt“, erzählt Michael Nagel. Deshalb sei das Ganze in irgendeinem kleinen, stickigen Raum vollzogen worden. Die Gebühr in Höhe von 174,06 D-Mark beglichen die Nagels in bar. Auf der Quittung, die sie aufgehoben haben, sitzt das Kreuzchen der Empfangsbescheinigung bei der Rubrik Sonstiges, „direkt unter der Müllgebühr“, sagt Ralf Nagel. Fanden sie das zum Lachen oder hat es sie verletzt? „Beides“, sagt Michael Nagel. Doch ihre Einstellung war klar: „Für uns war das eine Hochzeit. Man durfte es halt nicht so nennen.“
Mit ihrer Verpartnerung gingen die Männer – genau wie mit ihrer Homosexualität – offen um. „Dann nimmt man den Leuten den Wind aus den Segeln“, sagt Ralf Nagel. Deshalb schalteten sie im Gemeindeblatt eine Anzeige, in der sie kundtaten, den Bund fürs Leben geschlossen zu haben. Denn: „Wenn die Leute nichts zum Tuscheln hintenrum haben, macht’s weniger Spaß.“ Und tatsächlich: Hass oder Häme begegnete ihnen nie, stattdessen gab es Glückwünsche von Leuten, die sie bis dato gar nicht kannten. Auch ihre heutige Vermieterin wurde auf sie aufmerksam und bot ihnen eine Wohnung in Neuhausen an, in der sie noch immer leben.
2017, als es homosexuellen Paaren möglich wurde zu heiraten, ließen die Nagels ihre Verpartnerung in eine Ehe umschreiben. Die Trauung fand diesmal im Trausaal des Standesamts Neuhausen statt. „Es war wie eine richtige Hochzeit“, sagt Ralf Nagel. „2001 haben wir uns noch als Menschen zweiter Klasse gefühlt, dann nicht mehr.“ Doch auch wenn sich viel getan hat beim Thema Gleichberechtigung und Toleranz, sei noch viel zu tun, meinen die beiden 58-Jährigen. Sprüche wie: „Wer von Ihnen ist die Frau und wer der Mann?“ finden die beiden völlig unangebracht. „Diese klassischen Rollen gibt es doch auch bei heterosexuellen Paaren nicht mehr“, sagt Michael Nagel.
Dem schwulen Paar fällt auf, dass die Gesellschaft zwar insgesamt toleranter geworden sei, sich gleichzeitig aber auch manche Dinge rückwärts entwickelten. „Einerseits werden alle aufgeschlossener, aber das rechte Spektrum nimmt leider auch zu“, sagt Ralf Nagel. Anschlagswarnungen bei der Schwulen- und Lesbenparade CSD etwa hätten sie früher nicht gefürchtet, heute schon. Sie laufen trotzdem jedes Mal mit.
Adoption: „Da muss sich noch viel tun.“
Ein dickes Brett, das in ihren Augen zu bohren bleibt, ist das Thema Adoption. Das sei damals nicht möglich gewesen, sagt Michael Nagel, und bedauert das bis heute. „Wir hätten einem Kind viel zu bieten gehabt. Jetzt sind wir zu alt.“ Doch selbst heute führe für schwule Paare der Weg zu einem Kind fast nur über eine Leihmutter im Ausland. „Da muss sich noch viel tun“, findet er.
Das Thema Kinderlosigkeit holt die beiden auch nun wieder ein, da sie älter werden. Vor allem Michael Nagel, der in der Altenpflege tätig ist, hat täglich vor Augen, dass später niemand da sein wird, der sich kümmert. „Das macht einem schon Angst“, sagt er. Wie Homosexuelle im Alter versorgt werden, darüber mache sich kaum jemand Gedanken. In Köln hingegen gebe es bereits in einem Altersheim eine Station mit schwulen Senioren. „Wer trifft einmal für uns die Entscheidung, dass es Zeit für ein Heim ist? Das soll kein Fremder tun“, sagt Ralf Nagel. Eine Idee, die das Ehepaar im Hinterkopf hat, ist es, später zusammen mit anderen Schwulen eine Wohngemeinschaft zu gründen. „Dann sind wir wieder Vorreiter. Ich habe das Gefühl, da kommt wieder was auf uns zu.“
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