Flugblatt Luthers, in dem der Papst als Antichrist geschmäht wird. Foto: Mauritius images/Alamy Stock Photos

Die Erfindung des Buchdrucks war mehr als ein neues Handwerk. Sie brachte eine andere Art von Öffentlichkeit. Die revolutionäre Technik machte sich vor allem Martin Luther zunutze, um seine Ideen unter das Volk zu bringen.

„Das Blei in den Setzkästen hat die Welt mehr verändert als das Blei in den Kugeln.“ Mit diesem Satz hat der Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg die Bedeutung der von Johannes Gutenberg erfundenen „Schwarzen Kunst“ pointiert zum Ausdruck gebracht. Ähnlich wie die vierte industrielle Revolution der Digitalisierung heute löste die Drucktechnik mit beweglichen Metalllettern vor rund 570 Jahren eine Medienrevolution aus, die den Alltag der Menschen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit grundlegend veränderte.

 

Die Druckerpresse beschleunigte die Ausbreitung neuer Ideen, wissenschaftlicher Erkenntnisse und geistiger Strömungen, die Mitte des 15. Jahrhunderts durch gewaltige Entdeckungen und grundstürzende Erfahrungen den menschlichen Horizont erweiterten. Einer, der das Potenzial der neuen Technik schnell erkannte, war Martin Luther. Der protestantische Reformator, der dem Politikwissenschaftler Francis Fukuyama zufolge „mit einem Hammerschlag die Welt veränderte“, verstand es, seine theologischen Anliegen mithilfe des neuen Kommunikationsmittels weit über Wittenberg hinaus publik zu machen und so die Autorität der katholischen Kirche in aller Öffentlichkeit infrage zu stellen.

Ohne Buchdruck keine Reformation

Vor der Erfindung des Buchdrucks war die Herstellung von Büchern ein mühsames Geschäft. Text für Text musste von Hand vervielfältigt werden. Diese Manuskripte (von lateinisch „manus“, die Hand, und „scribere“, schreiben), von Mönchen in langwieriger Arbeit verfasst, waren Meisterwerke und auf einen exklusiven Kreis Lesekundiger beschränkt. Gutenbergs Erfindung änderte dies mit einem Schlag: Durch den mechanischen Buchdruck konnten Bücher schnell, preiswert und in hoher Stückzahl vervielfältigt und das in ihnen vermittelte Wissen massenhaft verbreitet werden.

Das neue Medium brachte – nicht anders als die Digitalisierung heute – neue Wahrheiten hervor und stellte althergebrachte Autoritäten infrage. Ohne den Buchdruck wäre die Reformation nicht möglich gewesen, hätte Luther sein Programm – eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern – nicht verwirklichen können. Seine 95 Thesen, in denen er unter anderem den ausschweifenden Lebenswandel der Kirchenoberen und deren korruptes Gebaren kritisierte, erfuhren eine so große Resonanz, weil sich der Buchdruck Anfang des 16. Jahrhunderts bereits als Alltagstechnik etabliert hatte. Damals gab es im Heiligen Römischen Reich rund 400 Druckereien.

Wissen hinter Klostermauern

Jahrhundertelang hatte die „unfehlbare Mutter Kirche“ das Deutungsmonopol über die Auslegung des wahren Glaubens für sich reklamiert. Im Mittelalter schlummerte tradiertes Wissen hinter dicken Klostermauern, war nur einer kleinen Elite zugänglich, vornehmlich Geistlichen. Bis ins 15. Jahrhundert kannten die wenigsten die Bibel durch eigene Lektüre. Zum einen, weil viele nicht schriftkundig oder des Lateinischen nicht mächtig waren, zum anderen, weil die Kirche Laien verbot, die Heilige Schrift zu lesen.

1376 hatte Papst Gregor XI. verfügt, dass Schriften über die Bibel nur unter der Leitung der Kirche verfasst und verbreitet werden dürfen. Biblisches Wissen sollte den Laien über die Predigt vermittelt werden. Unangepasste Denker, die theologische Lehrsätze infrage stellten und Kritik an der Kirche übten, wurden mundtot gemacht, als Ketzer verfemt und mussten ihre „Irrlehren“ widerrufen.

Kirche verliert ihr Monopol

Erst das neue Druckverfahren ermöglichte es, dass sich die Schriftkultur auch außerhalb der Kirche verbreitete und vormals sorgsam gehütetes Wissen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Mit dem Resultat, dass die Kirche ihr Monopol auf die Köpfe und Herzen der Christen verlor.

Ein Prozess, der sich dadurch beschleunigte, dass Luther seine reformatorischen Schriften nicht in elitärem Latein, sondern in der Sprache des Volkes verfasste und somit „die Reformation zu einem öffentlichen Ereignis machte“, wie der Historiker Heinz Schilling schreibt.

Ob sein „Sermon von dem Ablass und der Gnade“, in dem er das Geschäft mit der Sünde anprangert, ob in „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“, in dem er dem Papst das Recht absprach, letztgültig über Glaubensfragen zu entscheiden, oder in „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, in dem er seine Zeitgenossen aufrief, in Glaubensfragen ihrem Gewissen zu folgen und nicht klerikalen Dogmen.

Luther sorgt für Gesprächsstoff

Mit seinen rasch aufeinanderfolgenden Publikationen gelang es Luther, binnen kurzer Zeit so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Wie schnell seine Schriften aus der Druckerpresse flossen, verdeutlicht ein Päpstlicher Gesandter, der 1521 vom Wormser Reichstag dem Heiligen Vater in Rom schrieb, dass es in der Nibelungenstadt „täglich Lutherschriften regne“.

Wer nicht lesen konnte, der erfuhr auf Marktplätzen oder in Wirtshäusern vom Inhalt der Flugschriften. Luther sorgte für Gesprächsstoff, weil er das, was er dachte, zu Papier brachte. Hinzu kam, dass der Medienwandel nicht allein eine grundlegende Veränderung der Reproduktion und Präsentation von Texten bedeutete, sondern auch eine sprunghafte Vermehrung von Bildern.

Der Papst als Wucherer

Neben dem gedruckten Wort waren Bilder ein wichtiges Instrument der Meinungsbildung. Um Gottes Wort zu veranschaulichen, ließ Luther seine 1522 in 3000 Exemplaren gedruckte Bibelübersetzung illustrieren. Zudem wurde mit den seit 1400 in Europa verwendeten Holzschnitten ein bestehendes Bildmedium dazu genutzt, um auf die Missstände in der Kirche aufmerksam zu machen.

Der Mann, der Luthers Botschaften ins Bild setzte, war Lukas Cranach der Ältere, Hofmaler des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen. Seine Werkstatt war Luthers Propagandamaschine. Ob in Kupfer gestochen oder in Holz geschnitten, in ihr wurden Tausende Flugschriften in Serie produziert. Die darin vermittelten Botschaften waren leicht verständlich und einprägsam.

Ein Holzschnitt zeigt den Papst als Wucherer, der das Haus Gottes entweiht, indem er dort Ablassbriefe verkauft und das Seelenheil kommerzialisiert, auf einem anderen ist er als Hure Babylon abgebildet. Luthers Erfolg beruhte letztlich darauf, dass er alle damals verfügbaren Medien nutzte und auf allen Kanälen präsent war.