Die „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus 1492 löst eine globale Kettenreaktion aus, die in einem Gemetzel endet. Statt der erhofften Goldschätze liefert der Seefahrer Sklaven nach Europa. Den Rest besorgen Pocken, Grippe und Masern.
Valladolid/San Salvador - Valladolid, 20. Mai 1506: In der Hauptstadt des Königreichs Kastilien geht alles seinen gewohnten Gang. Niemand nimmt Notiz davon, dass an diesem Tag ein alter, gichtgebeugter und verbitterter Mann die Augen für immer schließt. Kein Wort über ihn in der Stadtchronik. Dabei war sein Name zehn Jahre zuvor in aller Munde: Cristoforo Colombo, oder, wie er nach der Erhebung in den Adelsstand hieß: Don Cristobal Colón, wurde zum gefeierten Europäer. Er hatte, so glaubten er und die meisten, den westlichen Seeweg nach Indien gefunden.
Geboren um 1451 in Genua verlässt er 1476 seine Heimat und geht nach Portugal, der damals führenden Seefahrernation. Er studiert nautische Schriften, zeichnet Landkarten und heuert auf Sklavenhändlerschiffen an. Um 1484 wartet er am Hof mit einem abenteuerlichen Plan auf: Er will auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien gen Westen segeln, wird aber höhnisch abgewiesen.
Am spanischen Hof findet Kolumbus Gehör
Mehr Glück hat Kolumbus Jahre später am spanischen Hof. Es gelingt ihm, die katholischen Majestäten vom Mehrwert seiner Mission zu überzeugen. Seit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen war der Fernhandel über Land erheblich kostspieliger geworden; zudem hatten die Portugiesen seit 1479 den maritimen Handel entlang Afrikas Westküste monopolisiert. Wäre da nicht ein Zugang von Westen her von Vorteil?
Vielversprechend klingt auch, was der ehrgeizige Navigator in seinen Bittschriften in Aussicht stellt: sagenhafte Reichtümer, die Inbesitznahme neuer Länder für die Krone – und die Verbreitung des christlichen Glaubens.
Der Preis des Emporkömmlings ist hoch
Ferdinand und Isabella sind nicht abgeneigt, doch der Preis, den der Emporkömmling verlangt, ist ebenso hoch wie das Risiko seiner Reise: Geadelt will er werden, Admiral und Vizekönig der Neuen Welt sein, ein Erbrecht auf diesen Titel und zehn Prozent von allem Gewinn haben, den Spanien durch seine Entdeckung macht. Schließlich willigen Ferdinand und Isabella ein. Der Auftrag ist großzügig dotiert und eindeutig definiert: Entdeckung und Eroberung.
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Die entscheidende Voraussetzung für Kolumbus’ verwegene Fahrt, dass nämlich die Erde eine Kugel ist, war unter den Geografen seiner Zeit bekannt. Man hatte das den wiederentdeckten Schriften des antiken Mathematikers Ptolemaios entnommen. Nur dass auf dem Meer zwischen Europa und Indien noch genug Platz war für einen Kontinent, damit hatte keiner gerechnet. Denn der Erdumfang wurde weit unterschätzt.
Auf die erste Euphorie folgt schnell Ernüchterung
Am 3. August 1492 sticht Kolumbus in Palos mit drei Schiffen und knapp 100 Mann Besatzung in See. Für die Fahrt über das offene Meer navigiert er mit Kompass, Sextant und Astrolabium, letzteres ein Gerät zur Berechnung des Breitengrades. Die geografische Längenbestimmung ist noch unbekannt, sodass Kolumbus nicht sicher ermessen kann, wie weit er gen Westen vorgedrungen ist.
Am 12. Oktober 1492 landet Kolumbus auf Guanahani (heute: San Salvador) auf den Bahamas und nimmt die Insel für die spanische Krone in Besitz. Nach der ersten Euphorie kehrt bald Ernüchterung ein. Diese nackten Kreaturen, Kolumbus nennt sie „Indier“, können unmöglich Untertanen des Großkhans sein.
Kolumbus sieht, was er sehen will
Auf der Suche nach dem Reich der Mitte und nach Gold segelt Kolumbus weiter nach Westen und sieht dabei nur das, was er sehen will: Kuba hält er für China und die Insel Hispaniola (heute: Dominikanische Republik und Haiti) für Japan.
Im März 1493 ist der Mann, der mit der Inbrunst eines Franziskanermönchs davon überzeugt war, die „indischen Länder“ gefunden zu haben, zurück in Spanien. Was er mitbringt, ist zwar ausgefallen – sechs Eingeborene, sprechende Papageien, Tabak, exotische Früchte –, doch Gold ist kaum darunter.
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Trotz der mageren Ausbeute ermöglicht das spanische Königspaar seinem Günstling weitere Expeditionen. Auf seinen nächsten Fahrten – 1493 bis 1496 und 1498 bis 1500 – bringt Kolumbus Siedler in die Neue Welt. Aus Entdeckung wird Eroberung. Mit der Zahl der Neuankömmlinge mehren sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen, zumal die Suche nach Gold ergebnislos verläuft.
Statt Gold liefert er Sklaven
Kolumbus betrachtete die fremdartigen Menschen als leicht auszubeutende und zu missionierende Untertanen. Als er nicht auf den Reichtum stieß, den er sich erhofft und anderen versprochen hatte, hielt er sich an das, was im Überfluss vorhanden war: Arbeitskraft. Statt Gold liefert er Sklaven.
Zur wirtschaftlichen Ausbeutung ließ Kolumbus Ländereien an die Kolonisten verteilen. Diese Praxis des „repartimiento“ – Zuteilung – führte zur faktischen Versklavung der indigenen Bevölkerung, weil die „nudos primitivos“ als lebendes Inventar gleich mit in den Besitz der weißen Herren übergingen. Diese nahmen Kolumbus beim Wort, wonach man die indigene Bevölkerung „zu allem zwingen könnte“, und etablierten ein brutales Ausbeutungsregime.
Die Insel Hispaniola wird praktisch entvölkert
Wie entsetzlich das Schreckensregiment unter Kolumbus auf den Inseln gewesen sein muss, zeigt das Beispiel Hispaniola: Als Kolumbus die Insel 1492 entdeckt, leben dort drei Millionen Menschen, zehn Jahre später sind es nur noch 60 000.
Mitverantwortlich für das Massensterben ist ein unsichtbarer Feind, den die Europäer mitgebracht haben: winzige Mikroorganismen, die Krankheiten wie Pocken, Grippe und Masern auslösten, und gegen welche die indigene Bevölkerung keinen Immunschutz hatte.
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Diese „biologische Conquista“ war die Ursache für eine der größten demografischen Katastrophen der Neuzeit. Der von Alfred W. Crosby als „Columbian Exchange“ bezeichnete Austauschprozess zwischen Kulturen erstreckte sich nicht nur auf Menschen und Wirtschaftsgüter, sondern auch auf deren Ökosysteme.
Die letzte Rückfahrt erfolgt in Kette
Als sich die Lage auf den karibischen Inseln verschärfte, entsandte Spanien einen Aufseher nach Westindien, der Kolumbus wegen angeblicher Verfehlungen absetzte. Der eben noch gefeierte Entdecker wird 1500 in Ketten nach Spanien gebracht. Der Rest der Geschichte ist eine Tragödie. Die Tragödie eines Mannes, der bis zu seinem Tod ein Gefangener seines Wunschdenkens ist.
Noch während Kolumbus in seinem Glauben verharrt, einen neuen Weg in die alte Welt gefunden zu haben, liefert ein Landsmann von ihm den Gegenbeweis. 1502 entdeckt der florentinische Seefahrer Amerigo Vespucci bei seiner Fahrt entlang der Küste Brasiliens einen neuen Kontinent. Vier Jahre später verzeichnet der Kartograf Martin Waldseemüller diese „Neue Welt“ in seiner Weltkarte und nennt sie, Amerigo zu Ehren, „America“.
Für die Völker Amerikas ist Kolumbus eine Tragödie
Es ist aber auch eine Tragödie für jene Völker, die Kolumbus für Europa „entdeckt“. So gesehen ist an dem Satz Georg Christoph Lichtenbergs sehr viel Wahres: „Der Indianer, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“